Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Spekulation oder Lüge?

Volksmudschaheddin mit neuen "Enthüllungen" gegen Iran. Washington reagiert skeptisch

Von Knut Mellenthin *

Die Volksmudschaheddin haben wieder einmal eine »geheime Atomanlage« im Iran entdeckt. Zwei ihrer Sprecher präsentierten am Donnerstag in Washington einen unglaublich detailreichen und farbigen Bericht über eine angeblich im Bau befindliche unterirdische Fabrik zur Urananreicherung. Sie soll sich in der Nähe der Stadt Abijek, 120 Kilometer westlich von Teheran, befinden. Mit dem Bau der Anlage sei im Februar oder März 2005 begonnen worden, inzwischen sei sie zu 85 Prozent fertiggestellt. 100 Millionen Dollar habe die Sache bisher gekostet, was nicht gerade viel erscheint. In einem 30 Quadratkilometer großen felsigen Gelände soll demnach ein 200 Meter langer Tunnel zu drei großen Hallen führen, die jeweils 200 Meter lang und 16 bis 20 Meter breit seien. Darüber liegen rund 100 Meter Gestein. Die von den Sprechern präsentierten Luftaufnahmen zeigen eine Felsenlandschaft mit einer Straße und vier angeblichen Tunneleingängen.

Veranstalter der Pressekonferenz in Washington war das Iran Policy Committee (IPC), ein neokonservativer Verein, der hauptsächlich zur Unterstützung der auch als PMOI/MEK und Nationaler Widerstandsrat (NCR) bekannten Volksmudschaheddin dient. Gründer und einer der beiden Direktoren des IPC ist Raymond Tanter, der für das Washington Institute for Near East Policy, eine Filiale der offiziellen Pro-Israel-Lobby AIPAC, arbeitet. Der andere IPC-Direktor ist der Ruhestands-General Thomas McInerney, ein Mitarbeiter des neokonservativen Senders Fox News.

Die PMOI/MEK steht in den USA seit 1997 auf der Terrorliste, der NCR seit August 2003. Wie hält man unter solchen Voraussetzungen eine Pressekonferenz in der US-Hauptstadt ab? Der damalige Bürochef und Sprecher des NCR, Ali Reza Jafarzadeh, gründete sofort nach dem Verbot mit Hilfe finanzkräftiger Hintermänner eine »unabhängige Firma« mit dem unverdächtig klingenden Namen Strategic Policy Consulting. Unter diesem Titel trat er auch am Donnerstag auf der Pressekonferenz auf.

Nach Jafarzadehs Angaben wurden die US-Regierung und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) vorab über die »neuen Erkenntnisse« informiert. Beide Stellen haben aber bisher nicht offiziell zu den Behauptungen Stellung genommen. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Philip J. Crowley, sagte gegenüber Fox News lediglich, man prüfe die Informationen, und setzte hinzu: »Die MEK hat in der Vergangenheit Erklärungen über iranische Anlagen abgegeben – einige zutreffend, anderen nicht.« Die Washington Post zitierte einen anonymen Regierungsbeamten mit der Aussage: »Die Anlage ist seit Jahren im Bau, und wir wissen das seit Jahren. (…) Es gibt zu diesem Zeitpunkt keinen Grund für die Annahme, daß es etwas Nukleares ist. (…) Die Leute sollten mit Schlußfolgerungen vorsichtig sein.«

Skeptisch äußerte sich auch David Albright, der das Institute for Science and International Security (ISIS) betreibt und oft selbst nicht zaghaft mit Spekulationen über das iranische Atomprogramm ist: »Auf den Bildern haben wir nichts gesehen, das nach einer Anreicherungsfabrik aussieht. Es gibt viele unterirdische Anlagen im Iran.«

Noch stehen Kommentare von den einflußreichen Freunden der MEK im amerikanischen Abgeordnetenhaus aus. Geführt wird diese Gruppe von der ranghöchsten Republikanerin im Außenpolitischen Ausschuß, Ileana Ros-Lehtinen, die dafür bekannt ist, keine Gelegenheit zu anti-iranischen Alarmrufen auszulassen.

Von seiten der iranischen Atomenergiebehörde wurden die Behauptungen der Volksmudschaheddin am Freitag zurückgewiesen.

* Aus: junge Welt, 11. September 2010


Zurück zur Iran-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage