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Angebote und Dementis

Gerüchte und Spekulationen im Streit um das iranische Atomprogramm

Von Knut Mellenthin *

Wieder einmal gibt es Unklarheit über angebliche neue Angebote Irans im Atomstreit. Jüngste Spekulationen knüpfen sich an ein Interview mit Teherans Außenminister Ali Akhbar Salehi in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Hauptsächlich beschäftigte sich dieses Gespräch mit der Lage in Syrien, aber auf eine gezielte Frage antwortete Salehi: »Wenn unser Recht auf Anreicherung anerkannt wird, sind wir zu einem Tauschgeschäft bereit. Wir würden auf freiwilliger Basis die Höhe unserer Anreicherung begrenzen. Allerdings bräuchten wir die garantierte Versorgung mit den entsprechenden Brennstoffen aus dem Ausland.«

Das ist, wie alle iranischen Äußerungen in dieser Richtung, sehr unbestimmt. Solange der Westen auf seinen Maximalforderungen – darunter an erster Stelle Teherans absoluter Verzicht auf jede Anreicherung von Uran, gleich welchen Grades – besteht und im Gegenzug noch nicht einmal die Aufhebung aller Sanktionen garantieren will, werden iranische Politiker sich hüten, konkrete Vorschläge zu machen, mit denen sie sich doch nur eine sichere Abfuhr und eine innenpolitische Blamage einhandeln würden. Zugeständnisse auf Kosten des zivilen Atomprogramms sind im Iran äußerst unpopulär. Nicht nur die Konservativen und Hardliner, sondern auch die Sprecher der »grünen« Opposition fielen in der Vergangenheit jedes Mal über Präsident Mahmud Ahmadinedschad her, wenn dieser neue Ideen zur Entschärfung des Atomstreits in Spiel zu bringen versuchte.

Am Donnerstag hatte die New York Times gemeldet, iranische »officials« – das könnten Diplomaten, aber vielleicht auch Politiker sein – hätten in der Vorwoche während ihres Aufenthalts in den USA am Rande der UN-Vollversammlung versucht, in Gesprächen für einen neunstufigen Vorschlag zu werben, der angeblich auch die Billigung von Revolutionsführer Ali Khamenei habe. Der Bericht des Blattes stützte sich, wie in solchen Fällen üblich, ausschließlich auf anonyme US-Geheimdienstler und -Diplomaten. Zudem war der Artikel auffallend unpräzis und der Autor, David E. Sanger, scheint mit der Materie nicht ausreichend vertraut.

Im Endeffekt sollte der angebliche Vorschlag offenbar auf die Einstellung der 20-Prozent-Anreicherung und die Aufhebung sämtlicher vom UN-Sicherheitsrat und einzelnen Staaten verhängten Sanktionen hinauslaufen. US-amerikanische »officials« hätten das iranische Angebot als von vornherein indiskutabel abgelehnt, schrieb Sanger. Ihrer Ansicht nach könne der Iran bei Realisierung dieses Plans trotzdem »in Sekundenbruchteilen« die Anreicherung wieder aufnehmen, während die USA »Jahre« brauchen würden, um die Sanktionen erneut durchzusetzen.

Der iranische Chefunterhändler im Atomstreit, Said Dschalili, dementierte am Sonnabend den Bericht der New York Times. Es kommt dabei allerdings auf die genaue Formulierung an: Der Iraner bestritt keineswegs, daß ein solches Angebot existiert. Er sagte lediglich, es gebe »keinen neuen Vorschlag« Teherans gegenüber dem, den die iranische Seite bei ihrem Treffen mit den 5+1 in Moskau Mitte Juni vorgelegt hatte. Die 5+1- oder Sechsergruppe bestehen aus den USA, Rußland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland.

Daß Iran in Moskau den Verzicht auf die 20-Prozent-Anreicherung angeboten hat, sofern im Gegenzug alle Sanktionen eingestellt werden, ist bekannt. Unbekannt sind jedoch die »detaillierteren Erläuterungen« dieses Vorschlags, die Iran der Sechsergruppe in der Zwischenzeit zukommen ließ. Sie könnten möglicherweise auf den angeblichen Neun-Stufen-Plan hinauslaufen.

Dagegen sieht das Forderungspaket der Sechsergruppe vor, daß Iran als »Sofortmaßnahme« die 20-Prozent-Anreicherung stoppen, alles bisher auf diesen Grad angereicherte Material abliefern und seine stark verbunkerte Anlage in Fordow demontieren soll – ohne daß sich an den bestehenden Sanktionen auch nur das geringste ändert.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 09. Oktober 2012


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