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"Natürlich kann der Iran Kernwaffen bauen. Heute kann das jedes hochentwickelte Land"

Interview mit Viktor Michailow, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften - Nachrichten aus dem UN-Sicherheitsrat

Im Folgenden dokumentieren wir ein hocheinteressantes Interview mit Viktor Michailow, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, einem der besten Kenner des iranischen Atomprogramms. Es wurde von der russischen Nachrichtenagentur Nowosti verbreitet.
Zunächst aber die neuesten Meldungen aus New York, wo die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sich seit Tagen um eine gemeinsame Linie gegenüber dem Iran bemühen.




Sicherheitsrat verschiebt Iran-Beratungen
Wegen anhaltender Uneinigkeit der fünf ständigen Mitglieder hat der UN-Sicherheitsrat seine geplanten Beratungen zum Thema Iran verschoben. Frankreich und Großbritannien benötigten mehr Zeit für einen neuen Resolutionsentwurf, der den Vorbehalten Russlands und Chinas Rechnung trage, sagte ein westlicher Diplomat in New York. Er konnte nicht sagen, wann die Beratungen wiederaufgenommen werden sollen.
Seit vorvergangener Woche bemüht sich der Sicherheitsrat um einen Resolutionsentwurf, mit dem er im Atomstreit Druck auf den Iran ausüben will. Strittig war bislang unter anderem, welche Frist dem Iran bis zur Erfüllung der Forderungen eingeräumt werden soll.
Aus: AFP, 21. März 2006

Diplomaten der Ständigen Mitgliedsländer des UN-Sicherheitsrates und Deutschlands berieten über Iran
NEW YORK, 21. März (RIA Novosti). Weitere Schritte der internationalen Völkergemeinschaft angesichts der andauernden Realisierung des Nuklearprogramms im Iran sind am Montag von ranghohen Diplomaten aus den fünf ständigen Mitgliedsländern des UN-Sicherheitsrates und Deutschland in New York behandelt worden.
Wie RIA Novosti in der russischen Delegation erfuhr, seien bei der Begegnung "alle Aspekte der Problematik, einschließlich einer möglichen Reaktion des UN-Sicherheitsrates, diskutiert worden". "Die Konsultationen werden fortgesetzt", hieß es.
So wird u. a. an Formulierungen der Erklärung des Vorsitzenden des UN-Sicherheitsrates zum Eintreffen des Berichts des IAEO-Direktors Mohammed El-Baradei gearbeitet. In dem Bericht wird zwar nicht gesagt, ob das Nuklearprogramm Teherans zivilen Zwecken dient oder auf die Schaffung eines Militärpotentials gerichtet ist, zugleich wird aber festgestellt, dass Iran nicht in vollem Umfang mit IAEO-Inspektoren kooperiert.
In einem britisch-französischen Erklärungsentwurf, der nach inoffiziellen Konsultationen aller 15 Mitgliedsländer des Sicherheitsrates zusammengestellt wurde, wird Iran aufgerufen, das Moratorium über die Urananreicherung und -verarbeitung wieder einzuführen und die Zusammenarbeit mit den internationalen Inspektoren wieder aufzunehmen.
Zu einzelnen Punkten des Dokuments gibt es allerdings keine einheitliche Meinung unter den ständigen Mitgliedsländern des Sicherheitsrates. Wie USA-Botschafter John Bolton erklärte, ist der Sicherheitsrat verpflichtet, bei der Entstehung des Risikos einer Verbreitung von Massenvernichtungswaffen selbständig zu agieren. Andererseits setzt sich Russland, so der Chefdelegierte Andrej Denissow, dafür ein, dass die Erklärung "ein kurzes politisches Dokument ist, mit dem Unterstützung für die IAEO bekundet wird, die der Hauptmechanismus der Regelung des iranischen Nuklearproblems bleiben muss". Peking wäre ebenfalls dafür, dass der Sicherheitsrat "nicht die IAEO ersetzt" und "genug Spiel- und Zeitraum für diplomatische Bemühungen übrig lässt", betonte der chinesische UNO-Botschafter.
Aus: Russische Naxchrichtenagentur RIA Nowosti, 21. März 2006; http://de.rian.ru

"Times": Großbritannien bemüht sich um harte Iran-Resolution
Im Atomstreit mit dem Iran bemüht sich Großbritannien im UN-Sicherheitsrat um eine möglichst harte Resolution, die Sanktionen gegen Teheran ermöglicht. Wie die Zeitung "The Times" am Mittwoch (22. März) berichtete, hofft der Politische Direktor im britischen Außenministerium, John Sawers, Russland und China in den kommenden Monaten zu einem härteren Vorgehen gegen Teheran gewinnen zu können. Das Blatt stützt sich auf ein vertrauliches Schreiben Sawers' aus der vergangenen Woche. Der Diplomat werbe für eine Resolution mit Bezug auf das Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, die den Iran zum Stopp seiner Nuklearaktivitäten auffordern solle. In Kapitel VII der UN-Charta sind Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen geregelt.
AFP, 22. März 2006




Akademiemitglied Michailow: Iran kann eine Atombombe bauen

Interview mit Viktor Michailow, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften*

Frage: Herr Michailow, Experten bezeichnen Sie als einen der Begründer der iranischen Atomenergie. Wissen Sie etwas davon, was heute die Kernindustrie dieses Landes darstellt und welchen Stand sie hat?

Antwort: Ja, das stimmt. Ich hatte an der Vorbereitung des Vertrages über den Bau des KKW von Bushehr teilgenommen und war einer seiner Initiatoren. Die USA wollten nicht mit uns zusammenarbeiten beziehungsweise knüpften unannehmbare Bedingungen an eine solche Zusammenarbeit, und so mussten wir "ostwärts" gehen: nach Iran, China und Indien. Es galt, die einheimische Kernindustrie zu retten sowie selten qualifizierten Fachleuten Arbeit zu geben, damit sie nicht in Länder ausreisten, wo ein starker Wunsch besteht, eine eigene Atombombe zu bauen.

Freilich war ich seit meinem Rücktritt vom Ministerposten nicht mehr im Iran. Aber damals, als ich dieses Land besuchte, sah ich: Ihre nuklearen Forschungen haben ein sehr hohes Niveau. Was auch nicht verwunderlich ist. Praktisch alle iranischen Wissenschaftler, Forscher und Ingenieure der Atomindustrie absolvierten Universitäten in den USA und in Westeuropa, wo ein ganz beachtliches Unterrichtssystem besteht. Dort studieren sie auch jetzt weiter. Soviel ich weiß, studieren etwa 10 000 junge Iraner im Ausland: in Europa und den USA. Außerdem stand in den iranischen Labors hochproduktive Rechentechnik, die die USA nicht einmal uns verkaufen durften, und auch andere Ausrüstung, hergestellt von führenden westlichen Firmen, etwa von Siemens. Ich denke also, auch heute befinden sich diese Anlagen auf dem höchsten wissenschaftlich-technischen Niveau.

Frage: Ist zu befürchten, dass der Iran in nächster Zukunft Kernwaffen aus eigener Kraft bauen kann?

Antwort: Ich höre diese Frage oft. Bisweilen in folgendem Kontext: "Was glauben Sie, wollen sie sie bauen oder denken sie daran?" Da antworte ich: "Gewiss, sie denken daran und sie wollen." Heute geht es nicht, ohne Kernwaffen die Selbständigkeit und Souveränität zu erhalten. Die US-Politik ist darauf ausgerichtet, die eigene Demokratie mit dem Schwert durchzusetzen. Dies nota bene in Ländern, die ihre eigene überaus reichhaltige Geschichte haben und denen die ganze Menschheit sehr viel verdankt. Washington aber versteht sich nicht darauf, auf diese Völker Rücksicht zu nehmen, will ihre Sitten und Gebräuche, ihre Traditionen nicht respektieren. Vielmehr versucht es, sie auf die amerikanische Lebensweise umzustellen, was unmöglich ist.

Frage: Und doch: Kann der Iran Kernwaffen schaffen oder nicht?

Antwort: Natürlich kann der Iran das. Heute kann das ein jedes hochentwickeltes Land. Selbst nach dem Internet. Dazu ist nur viel Geld und viel Zeit nötig. Wieviel? Wenn Sie mich nach der Zeit fragen, denke ich, dass sie die Waffe in fünf oder zehn Jahren gebaut haben werden. Natürlich werden diese Waffen nicht so modern sein wie bei uns oder in den USA, aber das ist belanglos. Die Amerikaner haben auch vor ihnen Angst, welche Raketenabwehrsysteme sie auch produzieren mögen. In Washington weiß man sehr wohl, dass eine Ladung nicht unbedingt über den Weltraum, sondern auch auf einem anderen Wege geliefert werden kann. Und sie haben Angst selbst vor einer einzigen Explosion auf ihrem Territorium.

Frage: Der Westen vertraut Teheran nicht. Zugleich verkauft Russland Iran nukleare Technologien. Wozu?

Antwort: Russland hat niemals wie auch immer geschaffene nukleare Technologien verkauft. Mehr noch, ich will Ihnen sagen, dass Russland - das hat sich bei uns noch zur Zeit der UdSSR so eingespielt - genau darüber wacht, dass sich die nuklearen Technologien nicht ausbreiten. Das konnte sich der Westen mit seiner jahrhundertelangen marktwirtschaftlichen Mentalität erlauben. Für den Markt geht der Gewinn vor. Alles, was die Iraner heute besitzen, ist westlicher Provenienz. Und was Sie mir auch sagen mögen: Es gibt dort nichts Russisches.

Wir werden selbst den Brennstoff, den wir für das KKW liefern, später wieder zurückführen und verarbeiten, statt dessen aber frischen Brennstoff liefern. Schon lange haben wir den Amerikanern vorgeschlagen, nicht nur ich, auch unsere anderen Fachleute, ein Leasingsystem für den Brennstoff zu schaffen. Das Land bezahlt den Brennstoff, wir transportieren ihn hin und dann zurück.

Heute serviert Bush diese Idee als eine große Entdeckung. Dabei ist es keine. Ich hatte das vor bereits mehr als zehn Jahren vorgeschlagen. Nur dass die Amerikaner uns damals nicht unterstützt hatten.

Frage: Was glauben Sie, warum sind in Teheran die Europäer mit ihren Initiativen gescheitert, als sie den Iran überreden wollten, die IAEO-Plomben nicht zu entfernen und keine Forschungen an Kernreaktoren durchzuführen? Warum zieht Iran die Vorschläge der Europäischen Drei nicht in Betracht?

Antwort: Ich glaube, es braucht seine Zeit, damit Iran beginnt, den Europäern zu vertrauen. Unter dem Druck der Amerikaner ließen sie ihre Arbeit in Bushehr nach 1979 liegen. Wo ist die Garantie, dass sie unter dem Druck von Washington ihre Vorschläge nicht wieder zurückziehen? In Teheran weiß man sehr wohl, dass sich das wiederholen kann. Und ich denke nicht, dass die Iraner die Gespräche mit der Europäischen Drei ernst nehmen. Da ist Russland anders. Sie sehen unsere Einstellung zu ihnen, sehen, dass wir die Kernenergetik, das friedliche Atom unterstützen, und dazu haben wir die Gründung eines Joint Venture vorgeschlagen. Das wäre für sie und für uns von Vorteil. Für uns, weil wir einen sehr guten Markt der Kernenergetik haben würden. Für sie, weil sie sehen werden, was das für Unternehmen sind und wie sie funktionieren. Es ist überflüssig, sie um eines Reaktors willen zu bauen. Das wäre sogar lächerlich, all die Anlagen - die Zentrifugen, die Anreicherung - hinzustellen... All das ist nicht rentabel. Solche Unternehmen werden sich nicht rentieren. Oder doch, aber erst in 100 Jahren.

Wir haben davon mit den Iranern gesprochen. Wenn sie sich aufraffen, etwa zehn Kraftwerke zu bauen, dann werden wir uns auch die Frage der Anreicherung genauer ansehen. Sie haben mich gebeten, ihnen einen eben solchen Betrieb zu bauen, wie wir ihn in China gebaut haben. Aber China ist ein anderes Land, die Chinesen haben Diffusions- und andere Betriebe, sie brauchen das für die Produktion.

Frage: Ist Teheran denn einverstanden, ein solches Unternehmen zusammen mit Russland zu bauen?

Antwort: Ich meine nicht, dass es für sie von Interesse ist, sich für ein Gemeinschaftsunternehmen zu verausgaben. Um aber die Leidenschaften, die sich jetzt um den Iran exponentiell steigern, zu dämpfen, um den Amerikanern den Vorwand zu gewissen militärischen Maßnahmen gegen den Iran zu nehmen... Bestimmt wissen Sie, dass die USA in Irak über 100 000 Soldaten, dazu Panzer und Flugzeuge haben, das ist in der Nähe des Iran, schon haben sie alles getan, um die Grenze zu überqueren... Und ich denke, dass die Iraner versuchen, Washington vor einem solchen Schritt zu bewahren. Zumindest in diesem Frühjahr. Im Sommer werden die Amerikaner wohl kaum einen Krieg vom Stapel lassen, dort sind die Naturbedingungen furchtbar.

Frage: Aber die Amerikaner könnten einfach einen Raketen- und Bombenschlag versetzen.

Antwort: Das wäre für sie gefährlich. Ihre Truppen in Irak sind ohnehin am Rande des Überlebens. Und da könnte auch noch die iranische Armee gegen sie zu handeln beginnen. Eine sehr gefährliche Variante. Etwas anderes ist, dass sie Israel bitten könnten, den Schlag zu führen. Aber auch das wird nichts verschlagen. Sie wissen nicht genau, was sich wo befindet, wissen nicht, ob diese Schläge das Ziel treffen können. Nicht von ungefähr arbeiten die Amerikaner so eifrig an der Entwicklung von durchdringender nuklearer Munition, die erst in einer Tiefe von hunderten Metern unter der Erde detonieren soll. Doch ist das ein noch nicht gelöstes Problem.

Frage: Wie kann Russland zur Lösung des "iranischen nuklearen Problems" beitragen?

Antwort: Wir könnten mit Iran ein Gemeinschaftsunternehmen gründen, das alle bedienen würde, die die Kernenergetik entwickeln wollen, sich dabei aber nicht mit der Isotopenanreicherung zu befassen wünschen. Hier liegt die Frage anders, und sie quält mich sehr. Vielleicht wird es keine Kampfhandlungen geben, doch könnten so genannte Wirtschaftssanktionen verhängt werden.

Frage: Welche Garantien kann Russland haben, dass der Iran in einer solchen Situation nicht seine eigenen Kernwaffen entwickelt?

Antwort: Russland ist nicht daran interessiert, dass der Iran Kernwaffen besitzt. Das brauchen wir nicht. Auch finden wir, dass das Streben von Teheran nach diesen Waffen einzudämmen ist. Aber hier hängt alles in erster Linie von den Amerikanern ab. Sie müssen sich endlich darüber klar werden, ob ihnen der Iran gefällt oder nicht. Und auch verstehen lernen, dass es sich um einen Staat mit einer kolossalen Geschichte handelt, er darf nicht unter Druck gesetzt, nicht bedroht werden. Es gilt, ihnen - vielleicht nicht ab sofort - Verhandlungen vorzuschlagen und diese anzubahnen... Das ist sicherlich ein langsamer Prozess, aber er muss sein. Und nur die USA können dieses Problem aus der Welt schaffen. Mittels Waffen werden wir jedoch nichts erreichen. Die Situation wäre noch schlimmer als in Irak oder Afghanistan.

Frage: Was wird, wenn der Iran die russischen Vorschläge ablehnt?

Antwort: Das wird der Iran nicht, wenn es auch die Sache unendlich lange hinziehen wird. Trotzdem denke ich, dass die Amerikaner selbst in diesem Fall zumindest ihre Sanktionen verhängen werden.

* Das Akademiemitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften Viktor Michailow ist Direktor des Instituts für strategische Stabilität der Föderalen Agentur für Atomindustrie Russlands, der wissenschaftliche Leiter des Russischen Föderalen Nuklearzentrums (Gesamtrussisches Forschungsinstitut für Experimentalphysik), Träger des Leninpreises und mehrerer Staatspreise der UdSSR und der Russischen Föderation, 1992 - 1998 Minister der Russischen Föderation für Atomenergie.

Das Interview führte Viktor Litowkin, RIA Novosti.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti, 20. März 2006; http://de.rian.ru



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