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Atomstreit mit Iran geht in eine neue Runde

Präsident Ahmadinedschad will direkte Debatte mit Barack Obama

Von Olaf Standke *

Im Schatten der Iran-Wahl ist gestern der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien zusammengetreten. Die 35 Mitgliedsländer des Gremiums wollen sich u.a. erneut mit dem umstrittenen Atomprogramm Teherans befassen.

Auch in diesem Punkt bleibt in Teheran alles beim Alten: Nach seinem umstrittenen Wahlsieg hat der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad bekräftigt, dass es in der Atompolitik seines Landes keine Änderung geben werde. »Die Verhandlungen über die Atomfrage sind Vergangenheit«, betonte er mit Blick auf die Forderung des Westens nach einer Einstellung des iranischen Programms zur Uran-Anreicherung. Die Bemühungen der IAEA sind bisher ebenso gescheitert wie Washington oder die EU mit ihrem diplomatischen und Sanktionsdruck. Schon vor der Wahl hatte Ahmadinedschad erklärt, man werde künftig nicht mehr mit den fünf ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat und Deutschland über das Nuklearprogramm reden. Während im Westen die Angst umgeht, Teheran könnte unter dem Deckmantel der zivilen Nutzung der Atomenergie heimlich an der Entwicklung von Kernwaffen arbeiten, hat die iranische Regierung ein solches Ziel stets energisch bestritten.

US-Generalstabschef Mike Mullen schenkt diesen Versicherungen keinen Glauben. Vielmehr nähere sich Iran der Fähigkeit, eine Atombombe zu bauen. »Die meisten von uns glauben, dass dies in einem bis drei Jahren der Fall sein wird.« Soweit geht die IAEA nicht. Doch konstatiert die UN-Atombehörde in ihrem jüngsten Report eine beschleunigte Uran-Anreicherung. Iran habe jetzt 4920 Gaszentrifugen in seiner Atomanlage Natans in Betrieb. Das seine knapp 1000 mehr als noch im Februar dieses Jahres. Dort wurden bisher etwa 1,4 Tonnen niedrig angereichertes Uran produziert. Das sind knapp ein Drittel mehr als vor drei Monaten. Zudem hätten Techniker weitere 2301 Zentrifugen installiert, die jedoch zum Zeitpunkt des Berichts noch nicht einsatzfähig waren. Die zusätzliche Produktion von angereichertem Uran sei vermutlich auf die höhere Zahl von operativen Gaszentrifugen zurückzuführen, so der IAEA-Report.

Der Weltsicherheitsrat hat in den sechs Jahren des Atomstreits vier Resolutionen beschlossen, in denen Teheran zur Aussetzung der Uran-Anreicherung aufgefordert wurde. In drei von ihnen sind auch diverse Sanktionen verankert, die dem Land nach Meinung von Beobachtern inzwischen spürbaren Schaden zugefügt haben. Zugleich hat die Sechser-Gruppe Anfang April eine Wiederaufnahme des Dialogs angeboten. Voraussetzung für eine Nutzung der Atomkraft zu zivilen Zwecke sei allerdings, dass Iran das Vertrauen in seine rein friedlichen Absichten wiederherstellen müsse. Präsident Ahmadinedschad zeigte sich nach seinem umstrittenen Wahlsieg allerdings allein zu einer direkten Debatte mit Barack Obama bereit.

Der USA-Präsident gehört gleichsam zu den Wahlverlierern und muss sich Vorwürfe der Hardliner in Washington gefallen lassen, er gehe zu nachgiebig mit Teheran um. Obama hatte »die legitimen Energiebedürfnisse und -sorgen« Irans durchaus anerkannt und militärische Mittel zur Durchsetzung der UN-Sanktionen abgelehnt. Schließlich braucht er die Kooperation Teherans im Rahmen seiner neuen Nahostpolitik. Zugleich hat er das »sehr konkrete Interesse« daran betont, ein atomares Wettrüsten in der Region zu verhindern.

»Obwohl ich keinen künstlichen Zeitplan vorlegen möchte, wollen wir doch sicherstellen, dass ein ernsthafter Verhandlungsprozess bis zum Jahresende in Gang kommt«, erklärte Obama noch vor der Wahl. Da ging man jedoch in Washington von einer Niederlage Ahmadinedschads aus -- und verdrängte wohl, dass Mir Hussein Mussawi die Uran-Anreicherung ebenfalls als ein verbrieftes Recht Irans betrachtet. Doch nun mit einem iranischen Präsidenten von zweifelhafter Legitimität über das umstrittene Atomprogramm zu verhandeln, das könnte so aussehen, als werfe man sich ihm an den Hals, befürchtet Thomas Pickering, ein ranghoher Beamter aus dem Außenministerium, in der der »New York Times«. Ein gefundenes Fressen für alle Hardliner. Doch haben auch Obama und Mullen in der Vergangenheit immer die Formel bemüht, dass in Sachen Iran »alle Optionen auf dem Tisch« blieben. Das Wahlergebnis könne nicht nur zu einer Eskalation der Gewalt im Lande führen, warnt deshalb Karim Sadjapour von der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden. Mit Ahmadinedschads Wiederwahl wachse auch die Gefahr eines Militärschlags gegen Iran deutlich, etwa durch die Atommacht Israel.

Auch Mohammed el Baradei bedauert, dass Teheran nichts zur Aufklärung offener Fragen zu seinem jahrzehntelang geheim gehaltenen Atomprogramm beigetragen habe. Allerdings hofft der IAEA-Chef , dass »ein wirklicher Dialog« zu einer umfassenden politischen Lösung der Probleme führen werde, wie er gestern vor dem Gouverneursrat in Wien betonte.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Juni 2009


Verhandeln statt drohen

US-Senator Kerry fordert Obama zur Neuorientierung im Atomstreit auf: »Iran hat das Recht zur Urananreicherung«

Von Knut Mellenthin **

Der Vorschlag eines führenden Politikers der US-Demokraten könnte Bewegung in den festgefahrenen Streit um das iranische Atomprogramm bringen. Im Gespräch mit der Financial Times kritisierte der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses der Senats, John F. Kerry, die Forderung der Bush-Regierung nach einer Einstellung der iranischen Arbeiten an der Urananreicherung sei »lächerlich« und »unvernünftig« gewesen. »Das war bombastische Diplomatie und verschwendete Energie. Es verfestigte irgendwie die Fronten, wenn man so will.« Sie, die Iraner, »haben das Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie und in diesem Zusammenhang auch zur Anreicherung.«

Nachdem die Bush-Regierung es nicht geschafft habe, ihre »rote Linie« gegenüber dem Iran durchzusetzen, müsse Präsident Barack Obama eine »internationale Koalition« um eine »durchsetzbare Forderung« herum aufbauen, erklärte Kerry, der 2004 Präsidentschaftskandidat der Demokraten war. Diese müsse zumindest das Verlangen nach mehr Informationen über Teherans Atomprogramm enthalten. Er habe Obama ein Memorandum mit seinen Vorschlägen geschickt, sagte der Senator.

Kerry hat damit den Finger auf eine wesentliche Schwachstelle nicht nur der bisherigen US-Politik, sondern auch der Taktik der EU gelegt. Letztlich trifft die Kritik sogar Rußland und China, die den Konfrontationskurs des Westens im UN-Sicherheitsrat mitgetragen und mitzuverantworten haben.

Selbstverständlich hat Iran als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags das Recht, Uran schwach anzureichern, um Brennstoff für Atomkraftwerke zu gewinnen. Voraussetzung ist die Überwachung des Prozesses durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA). Diese ist zweifelsfrei gegeben. Der Versuch, Iran unter ein diskriminierendes, nur für diesen einen Fall gemachtes Anreicherungsverbot zu stellen, entbehrt -- wie iranische Politiker in den vergangenen Jahren nicht müde wurden zu argumentieren -- jeglicher Rechtsgrundlage und ist daher geeignet, die Autorität des Sicherheitsrats zu beschädigen. Auch dieses Gremium muß im Rahmen des internationalen Rechts und geltender Verträge handeln, darf also nicht wie ein autokratischer Gesetzgeber handeln und dabei auch noch die elementaren Grundsätze der Gleichbehandlung aller Staaten verletzten.

Als die IAEA in den Jahren 2002/2003 in eine Auseinandersetzung über das iranische Atomprogramm eintrat, blieb die Behörde im Rahmen geltenden Rechts: Sie schlug zwar eine vorläufige Unterbrechung der Arbeiten an der Urananreicherung vor, stellte aber zugleich fest, daß Iran dazu nicht verpflichtet sei, sondern daß es sich um eine freiwillige vertrauensbildende Maßnahme bis zur Klärung aller offenen Fragen handeln würde. Erst der UN-Sicherheitsrat hat aus einer freiwilligen Maßnahme eine Verpflichtung gemacht, deren Einhaltung durch immer massivere Sanktionen -- und nach US-amerikanischer Ansicht sogar mit militärischen Mitteln -- erzwungen werden soll.

Die Forderung nach Aufgabe der Urananreicherung blockiert jeden Verhandlungsansatz. Denn Iran müßte damit nicht nur auf einen Teil seines zivilen Atomprogramms verzichten, sondern auch anerkennen, daß es zu Recht unter weltweit einmalige Ausnahmebestimmungen (und daraus resultierende Kontrollen) gestellt wird.

Barack Obama hat bisher nicht zu erkennen gegeben, daß er, abgesehen von einer zivilisierteren Tonart, auch in Sachfragen eine neue Politik gegenüber dem Iran beginnen will. Kerrys Vorschlag könnte der erste Schritt in eine andere Richtung sein. Der Ball ist jetzt in Obamas Spielfeldhälfte.

** Aus: junge Welt, 16. Juni 2009


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