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Kampagne gegen Teheran

Wenn es je ein iranisches Atomwaffenprogramm gegeben hat, dann unter Ahmadinedschads Amtsvorgängern. EU und USA haben den Nuklearstreit in die Sackgasse geführt

Von Knut Mellenthin *

Wann immer die angeblich vom Iran ausgehende ungeheure Gefahr für die gesamte Welt beschworen wird, darf ein vorsätzlich falsch übersetzter Satz nicht fehlen, der Präsident Mahmud Ahmadinedschad zugeschrieben wird: Israel müsse von der Landkarte gewischt werden. Die fragliche Äußerung fiel knapp drei Monate nach dem Amtsantritt am 3. 8., nämlich am 26. Oktober 2005. Da war jedoch die Lügen- und Haßkampagne gegen Irans ziviles Atomprogramm schon fast zwei Jahrzehnte alt. Das verfälschte Zitat dient der Verteufelungskampagne, aber es ist keineswegs ihre Ursache, so wenig wie diese überhaupt etwas mit der systematisch dämonisierten Person Ahmadinedschads zu tun hat. Denn, erinnern wir uns: Am 3. Dezember 2007 wurde ein Papier aller 16 US-Geheimdienste veröffentlicht, in dem ausgeführt wurde, daß Iran im Herbst 2003 – also fast zwei Jahre vor Ahmadinedschads Amtsantritt – »sein Atomwaffenprogramm gestoppt« hat. Diese Einschätzung wurde seither von den Diensten nicht widerrufen.

Man kann mit guten Gründen daran zweifeln, ob es überhaupt jemals ein iranisches Atomwaffenprogramm gegeben hat. Aber wenn, dann müßte das unter Ahmadinedschads Vorgängern gewesen sein, die sich jetzt als seine »reformistischen«, »gemäßigten« Gegenspieler des westlichen Wohlwollens erfreuen: Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (Präsident von 1989 bis 1997) und Mohammed Khatami (Präsident von 1997 bis 2005).

Schon am 30. November 1992 war in der New York Times zu lesen: »Der Entwurf eines CIA-Berichts kommt zu der Schlußfolgerung, daß der Iran bei seinem Nuklearwaffenprogramm Fortschritte macht und bis zum Jahr 2000 eine Atomwaffe entwickeln könnte. (...) Der Bericht widerspiegelt Ansichten, die erstmals von Robert M. Gates, dem Direktor der CIA, während einer Anhörung im Kongreß im März geäußert wurden.« – Es handelt sich dabei um denselben Gates, der vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush im November 2006 als Verteidigungsminister nominiert wurde und der sein Amt unter Barack Obama behalten hat.

Richtig in Schwung kam die Kampagne gegen das iranische Atomprogramm aber erst im Sommer 2002, nachdem der Sprecher der CIA.kofinanzierten exiliranischen »Volksmudschaheddin« (MEK) in den USA auf einer Pressekonferenz Material über die Existenz zweier »geheimer« iranischer Atomanlagen präsentiert hatte. Es ging dabei um die geplante Urananreicherung in Natanz und eine Fabrik zur Produktion von schwerem Wasser bei Arak. Beide Komplexe befanden sich zu dieser Zeit noch im Bau. Iran hatte die Vorhaben nicht bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) gemeldet. Aber dazu bestand nach den Bestimmungen des Vertrags über die Nichtweitergabe von Atomwaffen (NPT) auch keine Verpflichtung: Erst wenn ein Staat kurz davorsteht, tatsächlich mit der Urananreicherung zu beginnen, muß die IAEA davon in Kenntnis gesetzt werden. Und die Produktion von sogenanntem schweren Wasser, das unter anderem für Schwerwasserreaktoren, aber nicht nur für diese, benötigt wird, fällt überhaupt nicht in die Kompetenz der Atombehörde.

Dennoch forderte der Vorstand der IAEA am 12. September 2003 den Iran ultimativ auf, bis zum 31. Oktober folgende Bedingungen zu erfüllen: Erstens Vorlage eines »vollständigen« Berichts über sein gesamtes Atomprogramm und dessen historische Entwicklung. Zweitens Unterzeichnung eines Zusatzprotokolls zum NPT, durch das die Befugnisse der Inspektoren erheblich ausgeweitet werden. Drittens, seither im Zentrum des Streits: Einstellung aller Arbeiten an der Urananreicherung bis zum Abschluß der Überprüfung des iranischen Atomprogramms durch die IAEA.

An diesem Punkt trat das EU-Trio Deutschland, Frankreich und Großbritannien als vermeintlicher Vermittler in Erscheinung. Ergebnis war die gemeinsame Teheran-Erklärung vom 21. Oktober 2003. Die Unterbrechung aller Anreicherungsaktivitäten wurde darin als »freiwillige« Maßnahme für die Zeit der Verhandlungen definiert. Diese sollten den Weg zu einer »langfristigen Zusammenarbeit« bahnen, »die alle Seiten mit zufriedenstellenden Sicherheiten bezüglich des iranischen Atomenergieprogramms versorgen wird«.

Nach über einem Jahr waren die Gespräche kein Stück vorangekommen. Mit der Pariser Vereinbarung vom 26. November 2004 wurde ein neuer Anlauf unternommen. Iran stimmte zu, das Moratorium für die Dauer weiterer Verhandlungen beizubehalten, während das EU-Trio erneut anerkannte, daß es sich dabei um »eine freiwillige Maßnahme, nicht eine juristische Verpflichtung« handele. In den Verhandlungen sollte es um »objektive Garantien« für den friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms gehen. Außerdem sollten die drei europäischen Staaten den Entwurf eines Abkommens mit »festen Garantien für eine nukleare, technologische und wirtschaftliche Zusammenarbeit« sowie mit »festen Verpflichtungen in Sicherheitsfragen« vorlegen.

Unterdessen wurde am 17. Juni 2005 Ahmadinedschad zum Präsidenten gewählt. Ende Juli wurde deutlich, daß das EU-Trio die immer wieder verschleppte Vorlage seines »Angebotspakets« bis nach der Amtseinführung von Ahmadinedschad Anfang August hinauszögern wollte. Daraufhin drohte der noch amtierende Präsident Mohammed Khatami, die Arbeiten in Isfahan – an einer Vorstufe zur Anreicherung – würden wieder aufgenommen, falls die EU-Vorschläge nicht bis zum 1. August vorliegen sollten. Tatsächlich informierte Iran nach Verstreichen dieser Frist, noch vor Ahmadinedschads Amtsantritt, über die Wiederaufnahme von »einigen Teilarbeiten« in Isfahan.

Am 5. August übergab das EU-Trio seine Vorschläge, die von der iranischen Regierung als »völlig unzureichend« zurückgewiesen wurden. Sie enthielten keine konkreten »Anreize« und auch nicht die von Teheran gewünschten Sicherheitsgarantien gegen Angriffe der USA oder Israels. Statt dessen wurde vom Iran gefordert, für mindestens zehn Jahre – erst dann sollte eine Überprüfung des Abkommens erfolgen – vollständig auf alle mit der Urananreicherung verbundenen Arbeiten zu verzichten.

Drei Tage später nahm Iran unter Aufsicht der IAEA die Sicherheitsüberprüfungen und Wartungsarbeiten in Isfahan wieder auf. Die Europäer reagierten sofort mit dem Abbruch der Verhandlungen. Die »Iran-Sechs«, zu denen neben dem EU-Trio die USA, Rußland und China gehören – schlossen sich dieser Haltung an. Seither gilt Teherans Rückkehr zum Moratorium als Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Verhandlungen.

* Aus: junge Welt, 25. Juli 2009


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