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Angebot aus Teheran

Von Knut Mellenthin *

Iran, Brasilien und die Türkei haben sich auf ein gemeinsames Angebot zur Entspannung des Streits um das zivile Atomprogramm Teherans geeinigt. Erste Reaktionen aus den westlichen Hauptstädten lassen darauf schließen, daß die USA und die EU trotzdem ihren Konfrontationskurs fortsetzen wollen.

Die Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und Luiz Inacio »Lula« da Silva sowie Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan unterzeichneten am Montag eine aus zehn Punkten bestehende gemeinsame Erklärung. Vorausgegangen waren allein am Wochenende achtzehnstündige Verhandlungen, die hauptsächlich zwischen den Außenministern der drei Länder und sie unterstützenden Expertenteams geführt wurden. Der brasilianische Präsident, von dem die Initiative für die Einigung ausgegangen war, hatte sich in der vorigen Woche bei einem Besuch in Moskau Unterstützung von seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew geholt. Während dieser jedoch den Gesprächen in Teheran nur eine Chance von 30 Prozent einräumen mochte, gab sich »Lula« da Silva äußerst zuversichtlich: In einer Skala von 1 bis 10 bewerte er die Erfolgschance seiner Vermittlung mit 9,9, ließ der Brasilianer verlauten.

Der praktische Teil der gemeinsamen Stellungnahme der drei Staatsmänner sieht so aus: Iran erklärt sich bereit, 1200 Kilogramm schwach angereichertes Uran in die Türkei zu transportieren. Das ist ungefähr die Hälfte seines Lagerbestandes. Das in der Türkei deponierte Uran soll später gegen 120 Kilogramm Uran, das auf 20 Prozent angereichert ist, ausgetauscht werden. Iran benötigt dieses als Brennstoff für einen Reaktor in Teheran, in dem Isotope für die Behandlung von Krebspatienten produziert werden.

Bis zum Austausch bleibt das in der Türkei gelagerte Uran Eigentum des Iran. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) ist eingeladen, Beobachter zur Kontrolle zu entsenden, wie es auch der Iran tun wird. Ferner ist in der Stellungnahme festgelegt, daß Iran die IAEA innerhalb von sieben Tagen schriftlich über diesen Vorschlag informieren wird. Falls Rußland, das das auf 20 Prozent angereicherte Uran liefern soll, Frankreich, das daraus Brennplatten für den Reaktor herstellen soll, sowie die USA dem Teheraner Angebot zustimmen, verpflichtet sich Iran, innerhalb eines Monats das schwach angereicherte Uran in die Türkei zu liefern.

Sollte trotzdem der vereinbarte Austausch nicht innerhalb eines Jahres zustande kommen, soll die Türkei das Uran »zügig und bedingungslos« an Iran zurückgeben. Mit diesem Passus trägt die Stellungnahme der drei dem iranischen Wunsch nach »objektiven Garantien« gegen einen westlichen Betrug Rechnung. Viele europäische, gerade auch französische und deutsche Unternehmen hatten nach dem Sturz des Schah-Regimes 1979 abgeschlossene Verträge platzen lassen und vom Iran bereits bezahlte Gelder nicht zurückerstattet.

In ihrer Stellungnahme äußern Ahmadinedschad, »Lula« und Erdogan die Hoffnung, daß eine Einigung über das vorgeschlagene Tauschgeschäft auch als »Ausgangspunkt für eine beginnende Zusammenarbeit und eine positive, konstruktive Entwicklung zwischen den Nationen« dienen möge. Insbesondere wird der Wunsch nach einer Wiederaufnahme der Gespräche über das iranische Atomprogramm geäußert.

In ersten Stellungnahmen aus Berlin und Paris wird das Teheraner Angebot bis zur Bedeutungslosigkeit heruntergespielt. Entscheidend bleibe, daß Iran sich der Forderung nach vollständiger Aufgabe seiner Urananreicherung unterwerfen müsse.

* Aus: junge Welt, 18. Mai 2010


Konstruktiver Weg

Iran-Isolierung gescheitert

Von Knut Mellenthin **


Lange Gesichter statt Erleichterung. Die New York Times brachte die Reaktion der herrschenden Kreise Nordamerikas und Europas auf die Einigung von Teheran zum Ausdruck mit der Schlagzeile: »Iran bietet an, Uran abzuliefern, verkompliziert die Sanktionsgespräche«. Der gemeinsame Vorschlag Irans, Brasiliens und der Türkei, der am Montag morgen veröffentlicht wurde, verschlug den Politikern in Washington, Berlin, London, Paris und Jerusalem erst einmal für einige Stunden die Sprache. Ihre größte Sorge ist jetzt, daß Rußland und China, die man schon fast sicher »im Boot« für neue UN-Sanktionen zu haben glaubte, doch wieder abspringen könnten. Zumindest aber, daß das sensationelle iranische Entgegenkommen den westlichen Konfrontationsfahrplan um mehrere Wochen oder Monate zurückwerfen könnte. Ob die Einigung von Teheran wirklich zu einem »nicht-konfrontativen Klima des gemeinsamen Handelns und der Zusammenarbeit « führen wird, wie die drei Staats- bzw. Regierungschefs in ihrem gemeinsamen Kommunique formulierten, ist ungewiß. Die ersten westlichen Reaktionen lassen diese Hoffnung sogar als unwahrscheinlich erscheinen.

Dennoch könnte das gemeinsame Vorgehen Irans, Brasiliens und der Türkei eine wichtige politische Zäsur darstellen. Zum einen zeigt sie beispielhaft, wie Konflikte gelöst werden sollten. Nämlich mit Vernunft und Flexibilität, ohne Ultimaten und Strafmaßnahmen, ohne Androhung und Anwendung militärischer Gewalt. Daß die Initiative zu dieser Einigung nicht von den Großmächten Rußland oder China ausging, sondern von Staaten, die weltpolitisch nur in der »zweiten Liga« spielen, ist zwar einerseits bedauerlich und unverständlich. Es demonstriert aber andererseits auch die zunehmende positive Rolle, die solche Staaten künftig in der internationalen Politik spielen können, wenn sie ihre Zusammenarbeit und Solidarität weiter verstärken. Die Einigung von Teheran zeigt darüber hinaus, daß die Strategie der USA und der EU, Iran international zu isolieren, gescheitert ist. Die Behauptung der westlichen Regierungen, sie würden im Streit mit Iran die »internationale Gemeinschaft « repräsentieren, beruht nur auf Wunschdenken, Überheblichkeit und Propaganda. Die große Mehrheit der Staaten der Welt trägt den aggressiven Konfrontationskurs gegen Iran nicht mit, sondern lehnt ihn explizit ab. Das gilt letzten Endes auch für Rußland und China, selbst falls sie sich schließlich aus taktischen und opportunistischen Gründen entscheiden sollten, noch einmal Strafmaßnahmen gegen den Iran zuzustimmen.

Indessen ist dem Urteil des türkischen Außenministers Ahmet Davutoglu zuzustimmen, der am Montag feststellte, der Teheraner Dreier- Konsens öffne »einen konstruktiven Weg«, und: »Es gibt keinen Grund mehr für neue Sanktionen und Druckausübungen«. Verbal ist das auch der Standpunkt der Politiker in Moskau und Peking. Es bleibt zu wünschen, daß sie sich daran auch in der Praxis orientieren.

** Aus: junge Welt, 18. Mai 2010 (Kommentar)


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