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Und was nun mit dem Iran?

Von Uri Avnery *

Heute wütet ein ideologischer Kampf zwischen beiden Ländern – doch wird er hauptsächlich auf rhetorischer und demagogischer Ebene ausgefochten. Ich wage zu behaupten, dass Ahmadinejad der israelisch-palästinensische Konflikt völlig gleichgültig ist; er benützt ihn, um sich Freunde in der arabischen Welt zu machen. Wenn ich ein Palästinenser wäre, würde ich mich nicht auf ihn verlassen. Früher oder später wird die Geographie das Sagen haben, und die israelisch-iranischen Beziehungen werden zu dem, was sie waren – hoffentlich auf einer weit positiveren Grundlage.
EINES BIN ich bereit, mit Überzeugung vorauszusagen: wer immer einen Krieg gegen den Iran anzettelt, wird es bedauern.


EINE BEDEUTENDE amerikanische Zeitung brachte in dieser Woche einen Knüller: Vizepräsident Dick Cheney, der König der Falken, hat sich einen macchiavellistischen Plan für einen Angriff auf den Iran ausgedacht. Sein Hauptpunkt: Israel wird mit der Bombardierung einer iranischen Nuklearanlage beginnen, der Iran wird mit dem Abschuss von Raketen auf Israel reagieren – und dies wird als Vorwand für einen amerikanischen Angriff auf den Iran dienen.

Weit hergeholt? Nicht wirklich. Man erinnere sich an das, was 1956 geschah. Damals planten Frankreich, Israel und Großbritannien im Geheimen einen Angriff auf Ägypten, um Gamal Abd-al Nasser zu stürzen („Regime-Wechsel“ im heutigen Jargon). Man war übereingekommen, dass Israels Fallschirmspringer in der Nähe des Suezkanals abspringen würden und dass der folgende Konflikt den Franzosen und Briten als Vorwand dienen würde, die Kanalzone zu besetzen, um die Durchfahrt durch die Wasserstraße „abzusichern“. Dieser Plan wurde ausgeführt - und schlug völlig fehl.

Was würde passieren, wenn wir Cheneys Plan zustimmen würden? Unsere Piloten würden beim Bombardement der stark geschützten iranischen Anlagen ihr Leben riskieren. Dann würden iranische Raketen auf unsere Städte niederprasseln; vielleicht würden Hunderte oder gar Tausende getötet. All dies, um den Amerikanern den Vorwand zu liefern, einen Krieg zu beginnen.

Würde der Vorwand überzeugen? Mit andern Worten: sind die US verpflichtet, an unserer Seite in einen Krieg zu ziehen, selbst dann, wenn der Krieg von uns verursacht wird? Theoretisch wäre die Antwort „ja“. Die augenblicklichen Abkommen zwischen den USA und Israel besagen, dass Amerika Israel bei jedem Krieg zu Hilfe kommen muss – unabhängig davon, wer ihn begonnen hat.

Hat diese durchgesickerte Nachricht einen wahren Kern? Schwer zu sagen. Aber es stärkt den Verdacht, dass ein Angriff auf den Iran wesentlich näher gerückt ist, als die meisten Menschen wahr haben wollen.

BEABSICHTIGEN Bush, Cheney & Co wirklich, den Iran anzugreifen?

Ich weiß es nicht, aber mein Verdacht, dass sie dies tun, wächst.

Warum? Weil sich George Bushs Amtszeit ihrem Ende nähert. Wenn diese derart endet, wie es im Augenblick aussieht, wird er als einer der schlechtesten – wenn nicht gar der schlechteste – Präsident in die Geschichte der Republik eingehen. Seine Amtszeit begann mit der Katastrophe der Zwillingstürme am 11.9. – die den Nachrichtendiensten nicht gerade einen großen Vertrauensbonus einbrachten - und mit dem schweren Irakfiasko würde diese Amtszeit enden.

Es bleibt nur noch ein Jahr, um etwas Eindruckvolles zu tun und seinen Namen in den Geschichtsbüchern zu bewahren. In solchen Situationen neigt das politische Führungspersonal dazu, militärische Abenteuer zu begehen. Wenn man dann noch die speziellen Charakterzüge dieses Mannes berücksichtigt, scheint die Möglichkeit eines Krieges plötzlich beängstigend nah.

Die amerikanische Armee ist zwar im Irak und Afghanistan gebunden. Nur Leute wie Bush und Cheney können im Augenblick davon träumen, ein Land zu überfallen, das viermal größer ist als der Irak und mit einer dreimal größeren Bevölkerung.

Aber sicherlich flüstern Kriegstreiber in Bushs Ohr: warum machst du dir darüber Sorgen? Eine Invasion ist gar nicht nötig. Es genügt, den Iran zu bombardieren, so wie wir Serbien und Afghanistan bombardierten. Wir sollten die intelligentesten Bomben und die raffiniertesten Raketen gegen die etwa zweitausend Ziele verwenden, um nicht nur die iranischen Nuklearanlagen zu zerstören, sondern auch die militärischen Einrichtungen und Regierungsstellen. „Wir werden sie in die Steinzeit zurückbomben,“ wie ein amerikanischer General einmal über Vietnam sagte, oder „ wir werden ihre Uhren um 20 Jahre zurückdrehen“, wie der israelische Flugwaffengeneral Dan Halutz 2006 über den Libanon sagte.

Das ist eine verführerische Idee. Die USA werden nur ihre mächtige Luftwaffe benützen, Raketen aller Arten und die riesigen Flugzeugträger, die bereits im Persischen Golf stationiert sind. All dies kann zu jeder Zeit nach kurzer Vorbereitung in Gang kommen. Für einen gescheiterten Präsidenten am Ende seiner Amtszeit muss die Idee eines leichten, kurzen Krieges eine ungeheure Anziehung haben. Und dieser Präsident hat schon gezeigt, dass es für ihn schwierig ist, solchen Versuchungen zu widerstehen.

WÜRDE DIES wirklich eine leichte Operation werden, wie ein „Tortenstückchen“? (Wie die Amerikaner sagen.)

Ich bezweifle es.

Selbst „intelligente“ Bomben töten Menschen. Die Iraner sind ein stolzes, entschlossenes und hoch motiviertes Volk. Sie weisen darauf hin, dass sie seit 2000 Jahren kein anderes Volk angegriffen haben, aber während der acht Jahre des irakisch-iranischen Krieges gezeigt haben, dass sie entschlossen sind, die ihren bei einem Angriff zu verteidigen.

Die erste Reaktion auf einen amerikanischen Angriff würde die Schließung der Straße von Hormus sein, des Zugangs zum Golf. Das würde einen großen Teil der weltweiten Ölzufuhr drosseln und eine nie da gewesene weltweite wirtschaftliche Krise verursachen. Um diese Straße zu öffnen, (falls dies überhaupt möglich ist) wird die US-Armee große Gebiete iranischen Landes erobern und besetzen müssen.

Der kurze und leichte Krieg wird zu einem langen und harten Krieg werden. Was bedeutet das für uns in Israel?

Zweifellos wird der Iran, wenn er angegriffen wird, wie versprochen, reagieren: durch Bombardements mit Raketen auf Israel, die genau für diesen Zweck vorbereitet wurden. Das wird nicht Israels Existenz bedrohen, aber es wird sicher kein Vergnügen werden.

Wenn der amerikanische Angriff in einen langen Abnützungskrieg mündet und wenn die amerikanische Öffentlichkeit diesen als eine Katastrophe erkennen wird (wie es jetzt mit dem irakischen Abenteuer geschieht), dann werden sicher einige Israel die Schuld geben. Es ist kein Geheimnis, dass die Pro-Israel-Lobby und ihre Verbündeten – die (meist jüdischen) Neo-Konservativen und die christlichen Zionisten Amerika in diesen Krieg stoßen. Für die israelische Politik werden die erhofften Gewinne dieses Krieges sich in riesige Verluste wandeln – nicht nur für Israel, sondern auch für die amerikanisch-jüdische Gemeinde.

WENN ES den Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad nicht geben würde, hätte die israelische Regierung ihn erfinden müssen.

Er besitzt beinahe all das, was man sich für einen Feind wünscht: er hat ein großes Mundwerk. Er ist ein Prahlhans. Er verursacht gern Skandale. Er ist ein Holocaustleugner. Er prophezeit, dass Israel „von der Landkarte verschwinden wird“ (Auch wenn er nicht gesagt hat, er wolle Israel von der Landkarte wischen - wie fälschlicherweise berichtet wurde).

In der vergangenen Woche organisierte die Pro-Israel-Lobby große Demonstrationen gegen seinen Besuch in New York. Sie waren ein großer Erfolg – für Ahmadinejad. Sein Traum ist in Erfüllung gegangen: er stand im Mittelpunkt der Weltaufmerksamkeit. Ihm war die Möglichkeit gegeben worden, vor einer weltweiten Zuhörerschaft seine Argumente gegen Israel – einige davon sind unverschämt, andere sind berechtigt – zu erheben.

Aber Ahmadinejad ist nicht der Iran. Er hat zwar die allgemeinen Wahlen gewonnen, aber der Iran gleicht den orthodoxen Parteien in Israel: es sind nicht ihre Politiker, die den Ausschlag geben, sondern ihre Rabbiner. Die schiitische religiöse Führung trifft die Entscheidungen und befehligt das Militär. Und diese Körperschaft ist weder prahlerisch noch lautstark oder skandal-treiberisch. Sie hält sich vorsichtig zurück.

Wenn der Iran wirklich so eifrig hinter einer Atombombe her wäre, dann hätte er mit größtem Stillschweigen gehandelt und hätte sich so wenig wie möglich profiliert – so wie es Israel tut. Die Großtuerei Ahmadinejads würde diesen Bemühungen mehr schaden, als es irgendein Feind des Iran könnte.

Es ist äußerst unerfreulich, sich eine Atombombe in iranischen Händen (ja letztlich überhaupt in irgendjemandes Händen) vorzustellen. Ich hoffe, es kann vermieden werden, indem man finanzielle Anreize bietet und/ oder Sanktionen auferlegt. Aber selbst wenn dies keinen Erfolg hat, würde es nicht das Ende der Welt bedeuten, auch nicht das Ende Israels. Mehr als in jedem anderen Bereich ist Israels Abschreckungsmacht hier gewaltig. Sogar Ahmadinejad wird nicht einen Tausch der Königinnen wie beim Schachspiel wagen – die Zerstörung des Iran für die Zerstörung Israels.

NAPOLEON SAGTE einmal: um die Politik eines Landes zu verstehen, muss man sich nur die Landkarte ansehen.

Wenn wir dies tun, werden wir sehen, dass es keinen triftigen Grund für einen Krieg zwischen Israel und dem Iran gibt. Im Gegenteil. Lange Zeit glaubte man in Jerusalem, dass die beiden Länder natürliche Verbündete seien.

David Ben Gurion befürwortete ein „Bündnis der Peripherie“. Er war davon überzeugt, dass die ganze arabische Welt der natürliche Feind Israels sei und dass es deshalb seine Verbündeten im Rücken der arabischen Welt suchen sollte: die Türkei, den Iran, Äthiopien, den Tschad etc. (Er suchte auch nach Verbündeten innerhalb der arabischen Welt – Gemeinschaften, die nicht arabische Sunniten sind, wie die Maroniten, die Kopten, die Kurden, die Schiiten und andere).

Während der Zeit des Schahs bestanden enge Verbindungen zwischen dem Iran und Israel – einige positiv, einige negativ, einige davon ausgesprochen unheilvoll. Der Schah half eine Pipeline von Eilat nach Ashkalon zu bauen, um iranisches Öl ans Mittelmeer zu bringen und so den Suezkanal zu umgehen. Der israelische Geheimdienst (Shabak) trainierte sein berüchtigtes iranisches Gegenstück. Israelis und Iraner handelten im irakischen Kurdistan zusammen und halfen den Kurden gegen ihre sunnitisch-arabischen Unterdrücker.

Die Khomeini-Revolution setzte anfangs diesem Bündnis kein Ende, sondern trieb es in den Untergrund. Während des irakisch-iranischen Krieges versorgte Israel den Iran mit Waffen – nach der Vorstellung, dass jeder, der Araber bekämpfe, unser Freund sei. Gleichzeitig versorgten die Amerikaner Saddam Hussein mit Waffen - es war einer der seltenen Beispiele einer klaren Abweichung der Interessen zwischen Washington und Jerusalem. Dies wurde mit der Iran-Contra-Affäre überbrückt, als die Amerikaner Israel halfen, Waffen an die Ayatollahs zu verkaufen.

Heute wütet ein ideologischer Kampf zwischen beiden Ländern – doch wird er hauptsächlich auf rhetorischer und demagogischer Ebene ausgefochten. Ich wage zu behaupten, dass Ahmadinejad der israelisch-palästinensische Konflikt völlig gleichgültig ist; er benützt ihn, um sich Freunde in der arabischen Welt zu machen. Wenn ich ein Palästinenser wäre, würde ich mich nicht auf ihn verlassen. Früher oder später wird die Geographie das Sagen haben, und die israelisch-iranischen Beziehungen werden zu dem, was sie waren – hoffentlich auf einer weit positiveren Grundlage.

EINES BIN ich bereit, mit Überzeugung vorauszusagen: wer immer einen Krieg gegen den Iran anzettelt, wird es bedauern.

In einige Abenteuer kann man leicht hineinschliddern, aber schwer wieder herauskommen.

Der letzte, der diese Erfahrung machte, war Saddam Hussein. Er dachte, es wäre ein Spaziergang – schließlich hatte Khomeini die meisten Offiziere und besonders die Piloten der Schah-Armee getötet. Er glaubte, dass ein schneller irakischer Schlag gegen den Iran genug wäre, um ihn zusammenbrechen zu lassen. Er hatte acht lange Kriegsjahre Zeit, um dies zu bedauern.

Sowohl die Amerikaner als auch wir Israelis, könnten auch die Erfahrung machen, dass der irakische Sumpf verglichen mit dem iranischen Morast die reinste Schlagsahne ist.

29.09.2007

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)

* Quelle: Website von Uri Avnery; www.uri-avnery.de



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