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Irans "Reformer" am Ende

Niedrige Wahlbeteiligung bei manipulierter Parlamentswahl dokumentiert Unzufriedenheit

Von Mahmoud Bersani*

Der konservative Flügel des klerikalen Establishments wird künftig im iranischen Parlament das Sagen haben. Als Ergebnis der durch den Ausschluß eines Großteils der »Reformer« zur Farce verkommenen Wahl gewannen die Hardliner eine deutliche Mehrheit der 290 Sitze in der Madschlis, dem bisher von den »Reformern« dominierten Parlament. Letztere erhielten bislang – die offiziellen Zahlen lagen bis Mittwoch nachmittag noch nicht vor – gerade 40 Sitze, verglichen mit etwa 190 bei den letzten Wahlen 1990. Etwa 30 Mandate gingen an Kandidaten »unabhängiger« Listen, die zumeist ebenfalls den Konservativen zuzurechnen sind.

Der von den Hardlinern dominierte Wächterrat, ein von niemandem gewähltes Gremium, das Kandidaten auf ihre Treue zur islamischen Verfassung und zum religiösen Oberhaupt Ali Khamenei überprüft, hatte mehr als 2400 reformorientierten Kandidaten, unter ihnen 80 bisherige Abgeordnete, von der Wahl ausgeschlossen. Aus Protest gegen dieses Vorgehen zogen fast 1000 weitere »Reformer« ihre Kandidatur zurück. 130 Abgeordnete legten nach einem aufsehenerregenden sit-in im Parlament ihre Mandate nieder. Der Wächterrat blieb jedoch bei seiner harten Haltung und akzeptierte nur wenige der zuvor abgelehnten Kandidaten. Daraufhin riefen die wichtigsten »Reformgruppen« zum Wahlboykott auf. Nur der ehemalige Hoffnungsträger der »Reformbewegung«, Präsident Mohammad Khatami, sprach sich trotz des undemokratischen Charakters für eine Stimmabgabe aus.

Die vom Innenministerium verkündete Wahlbeteiligung von 50,6 Prozent ist höher als von den »Reformern« erhofft, dennoch ist sie die geringste in der 25jährigen Geschichte der Islamischen Republik. Insbesondere in den bisherigen Hochburgen der »Reformer« – den Großstädten Teheran und Isfahan sowie den kurdischen Gebieten – blieben die Menschen den Urnen fern. In der Hauptstadt gaben nur 28,11 Prozent der etwa sechs Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In Isfahan beteiligten sich weniger als ein Drittel. In der Provinz Kurdistan halbierte sich die Wahlbeteiligung von 70 auf 32 Prozent. Als Folge der Abstinenz der Wähler, die 1990 noch unter großen Hoffnungen den »Reformkandidaten« ihre Stimme gegeben hatten, gingen auch deren ehemalige Bastionen an die Hardliner. So gewannen die Konservativen in Isfahan alle fünf Sitze. Auch in Teheran lag die erst kürzlich gebildete konservative Liste »Entwickler des islamischen Iran« nach Auszählung eines Großteils der Stimmen in Front. Deren Spitzenkandidat, Ghulam Ali Haddad Adel, durch Heirat seiner Tochter verwandtschaftlich mit Khamenei verbunden, hatte bereits 1990 nur durch offensichtliche Manipulation ein Abgeordnetenmandat erhalten.

In einigen Regionen kam es am Wochenende zu militanten Protesten gegen den neuerlichen Wahlbetrug. In der Stadt Kohkilouye im Süden des Landes griffen der Nachrichtenagentur IRNA zufolge aufgebrachte Demonstranten Regierungsgebäude an. In zwei anderen Städten der Region wurden nach Agenturangaben mindestens acht Menschen von Sicherheitskräften getötet und 38 verletzt.

Die »Reformer« reagierten auf das Wahlergebnis bei einer Sitzung der Madschlis am Montag mit heftigen Attacken auf ihre konservativen Widersacher. »Der Sieg in einem Wettbewerb ohne Gegner ist ein historisches Fiasko«, erklärte der Abgeordnete Rasul Mehrparwar. Die Wahlen seien unfair gewesen und hätten nur das Ziel gehabt, ein unterwürfiges Parlament hervorzubringen, sagte die in Frauenfragen engagierte Parlamentarierin Fatemeh Haghighatjou in der vom Radio übertragenen Debatte. Ihr Rücktrittsgesuch war das erste, das von den Abgeordneten am Montag angenommen wurde. Jede der 130 Mandatsniederlegungen wird im Parlament einzeln diskutiert und abgestimmt.

»Bei freien Wahlen hätten wir die Mehrheit der Sitze gewonnen«, behauptete Mostafa Tadschsadeh, ein Führungsmitglied der reformorientierten »Islamisch-Iranischen Befreiungsfront«, gegenüber AFP. Beobachter bezweifeln diese Aussage allerdings. Viele meinen, die Abstimmung vom 20. Februar markiere das Ende des mit der Wahl Mohammad Khatamis zum Staatspräsidenten 1997 begonnenen »Teheraner Frühlings« – des Versuchs eines Teils der klerikalen Elite, das Mullah-Regime zu reformieren. Die damals besonders von der Jugend und den Frauen in Khatami gesetzten Hoffungen sind inzwischen bitterer Enttäuschung gewichen. Vor allem die Studenten, bei denen sich Khatami einst größter Beliebtheit erfreute, haben sich von ihm abgewendet. So zitierte die Nachrichtenagentur AFP eine 22jährige Chemiestudentin mit den Worten: »Auch wenn die Reformer zugelassen worden wären, hätte ich an der Wahl nicht teilgenommen«. Und ein Mitglied der »Islamischen Studentenassoziation« sagte: »Die Reformen sind schon seit Jahren tot; jetzt wurden sie durch diese Art von Wahlen beerdigt.« Die extreme Bitterkeit, die Khatami an den Hochschulen entgegenschlägt, hat ihren Grund: Spätestens seit der Präsident protestierende Studenten 1999 als »Aufrührer und Hooligans« beschimpfte und sie aufforderte, ihre Proteste für Demokratie und Freiheit zu beenden, hat er seine Unterstützung dort eingebüßt.

Das Scheitern der »Reformbewegung« bedeutet jedoch nicht eine Stabilisierung des Regimes. Im Gegenteil: Der enorme Unmut – einer Umfrage des Innenministeriums zufolge sind rund 90 Prozent der Bevölkerung mit der Islamischen Republik unzufrieden – hat mit den »Reformern« sein Sicherheitsventil verloren. Wenn der Wächterrat seine nur als Drohung zu verstehende Aussage, das Parlament werde sich »künftig auf die Stärkung des Islam und die Durchsetzung von Glaube und Moral im öffentlichen Leben konzentrieren«, wahrmacht, könnte die Wut anders als durch Wahlenthaltung zum Ausdruck kommen.

Einhellige "Enttäuschung"

Das konservative iranische Establishment hat verärgert auf die Kritik westlicher Politiker an der durch den Ausschluß Tausender reformorientierter Kandidaten manipulierten Parlamentswahl vom Freitag vor einer Woche reagiert. Man verbitte sich die »inakzeptablen und interventionistischen Kommentare« aus den USA und der Europäischen Union, hieß es Mitte der Woche in Teheran. Ahmad Tawakoli, ein Führer der Konservativen, sagte auf einer Pressekonferenz, die Europäische Union solle sich »um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern«, nachdem die EU-Außenminister am Montag ihr »tiefes Bedauern und Enttäuschung« über den Verlauf der Abstimmung geäußert hatten. Dies sei »ein Rückschritt für die Demokratie« in Iran, hieß es in einer Stellungnahme der EU. Die Parlamentswahl, bei der die Hardliner laut amtlichem Endergebnis vom Mittwoch 156 und die »Reformer« lediglich 39 der 290 Sitze für sich erobern konnten, sei »eine interne Angelegenheit« des Iran, reagierte Tawakoli.

US-Präsident George Bush zeigte sich ebenfalls »sehr enttäuscht« über die iranische Abstimmung. US-Außenamtssprecher Richard Boucher hatte zuvor erklärt, der Wahlprozeß seien »fehlerhaft« gewesen und »internationalen Standards« nicht gerecht geworden. Die Wahl und die Frage der Menschenrechte seien aber nur Teil einer ganzen Reihe von Sorgen, die die USA in bezug auf die iranische Politik bewegten, so Boucher. Andere beträfen »die Unterstützung für den Terrorismus, Irans Streben nach Massenvernichtungswaffen, der allgemein fehlende Respekt vor den Menschenrechten und die Präsenz von Al-Qaida-Leuten sowie andere Fragen«. Ali Khamenei, religiöses Oberhaupt der islamischen Republik und Führungsfigur der Hardliner, erklärte hingegen das iranische Volk zum Sieger der Wahl und die USA, Israel und die »Feinde Irans« zu den Verlierern.

Verlauf und Ergebnis der iranischen Parlamentswahl bedeuten sicherlich zunächst eine Stärkung der Hardliner auf beiden Seiten – im klerikalen Establishment des Gottesstaates ebenso wie in der US-Administration. Vor allem die von der EU betriebene Politik des »konstruktiven Dialogs« hat einen schweren Schlag erhalten. Diese Strategie dürfte nun, mit dem Verlust des Parlaments an die Hardliner und der deutlich geschwächten Position des Präsidenten gescheitert sein. EU-Außenkommissar Chris Patten sagte gegenüber Journalisten, die Wahl bedeute einen Rückschritt, der die Beziehungen der EU zu Iran beeinflussen werde. Verhandlungen zwischen der Union und dem Golfstaat über ein Handels- und Kooperationsabkommen liegen derzeit auf Eis. Obwohl die EU einen Zusammenhang zu den Parlamentswahlen öffentlich verneint, gehen Diplomaten laut Agenturberichten nicht davon aus, daß die Gespräche bald wieder aufgenommen werden könnten. Da gebe es noch »erhebliche Probleme«, heißt es.

Dabei hatte die EU, und insbesondere Deutschland, in praktischer Hinsicht einige Erfolge in der Kooperation mit den Mullahs vorzuweisen: Die deutschen Exporte nach Iran stiegen laut Handelsblatt (24.2.2004) in den ersten zehn Monaten des Jahres 2003 auf über zwei Milliarden Euro – eine jährliche Wachstumsrate von 20 Prozent in den letzten drei Jahren. Die Bundesrepublik ist mit 270 Millionen Dollar Direktinvestitionen am stärksten in dem nach den Worten von Außenminister Joseph Fischer »sehr, sehr wichtigen Land« engagiert. Auf diplomatischer Ebene war die den Mullahs abgerungene Zustimmung zu Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ein den Europäern zugerechneter Erfolg. Allerdings waren es Vertreter der Hardliner selbst, die diesen Deal ausgehandelt hatten, nicht die »Reformer« um Mohammed Khatami. Dieses Vorgehen führt zum einen die Machtlosigkeit der »Reformer« vor Augen, verdeutlicht zum anderen aber auch den Pragmatismus, der sich stets »antiamerikanisch« gebärdenden Konservativen. Auch die Haltung der US-Administration ist keineswegs so eindeutig, wie dessen Einordnung des Golfstaats in die »Achse des Bösen« vermuten läßt. Inoffizielle Kontakte hat es zwischen den Regierungen in letzter Zeit häufiger gegeben. Angeblich soll die iranische Seite die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen angeboten haben. Als Verhandlungsmasse könnte der Einfluß des Mullah-Regimes auf die Schiiten im besetzten Nachbarland Irak herhalten. Neben der üblichen Rhetorik waren jedenfalls in den letzten Tagen auch andere Töne aus Washington zu hören. So erklärte Boucher: »Wir sind bereit, uns auf Iran bei bestimmten Fragen gemeinsamen Interesses und in angemessener Form einzulassen, wenn wir entscheiden, daß es in unserem Interesse ist, dies zu tun.«

Für die »Reformer« ist es ein zentrales Anliegen, die internationale Isolation des Iran – insbesondere in ökonomischer Hinsicht – zu durchbrechen. Während sie die Interessen der eher exportorientierten Teile der iranischen Industrie widerspiegeln, stützen sich die Hardliner auf die in »Stiftungen« organisierte Staatswirtschaft. Die unter der Regie der »Reformer« betriebenen Privatisierungen und Subventionskürzungen für Güter des Massenkonsums haben deren Popularität nicht gerade gesteigert. Die sozialen Probleme – Massenarbeitslosigkeit, Inflation, Armut, Drogenkonsum – haben während Khatamis Amtszeit noch zugenommen. Jährlich drängen 800000 Jugendliche, viele mit abgeschlossenem Studium, zusätzlich auf den Arbeitsmarkt. Deren Erwartung eines angemessenen Lebensunterhalts werden beide Fraktionen des Regimes nicht erfüllen können.

Der vorliegende Text erschien in zwei Teilen am 25. und 28. Februar 2004 in der "jungen Welt"


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