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Blockfreie machen Ausgrenzung nicht mit

Dialog statt Gewalt und Sanktionen: NAM-Gipfel berät über Syrien-Resolution

Von Karin Leukefeld *

Angesichts der neuen Ost-West-Konfrontation in Syrien erhält das Bündnis der Blockfreien Staaten (Non-Aligned Movement – NAM) neue Bedeutung. 120 Länder gehören heute dem offiziell 1961 gegründeten Zusammenschluß an. Iran übernimmt in diesem Jahr den Vorsitz von Ägypten. Die USA und ihre westlichen Verbündeten setzen alles daran, Teheran bei der Lösung der innersyrischen Krise auszugrenzen. Die Blockfreien, die sich in dieser Woche in der iranischen Hauptstadt zu ihrem 16. Gipfeltreffen versammelt haben, hingegen sind davon überzeugt, daß Iran als Regionalmacht und Verbündeter Syriens eine wichtige Rolle zu spielen hat. Damaskus, seit 1979 mit einer strategischen Partnerschaft Teheran verbunden, schickte mit Ministerpräsident Wael Al-Halki und Außenminister Walid Al-Mu’allem zwei hochrangige Regierungsmitglieder zum NAM-Gipfel.

Die Außenminister begannen am Dienstag mit der Debatte über eine von Iran vorgelegte Resolution, die auch Vorschläge für eine friedliche Lösung der Krise in Syrien beinhaltet. Den blockfreien Staaten dürfte vor allem das nationale Selbstbestimmungsrecht souveräner Staaten wichtig sein, das viele in Syrien durch die offene Unterstützung bewaffneter Gruppen von USA, Europäischer Union, der Türkei und den Golfmonarchien bedroht sehen. Dialog anstelle eines Krieges müsse gefördert werden, heißt es in dem Text. Viele der blockfreien Staaten waren selbst Schauplatz von Stellvertreterkriegen der Großmächte. Einhellig werden die andauernde Gewalt in Syrien als auch die westlichen Sanktionen gegen das Entwicklungsland verurteilt. »Einseitige Wirtschaftssanktionen verletzen die fundamentalen Rechte des Volkes in dem betroffenen Land«, sagte Mohammad-Mehdi Akhundzadeh, Sekretär des NAM-Expertentreffen zu Syrien.

Für Syrien ist die Unterstützung der Bockfreien von großer Bedeutung. Das Land wird seit Sommer 2011 durch nahezu alle von westlichen Staaten und den Golfmonarchien dominierten Medien belagert, es wurde in internationalen Gremien isoliert und wird mit ständig neuen Sanktionen bestraft. Der ehemalige UN-Beauftragte für ¬Syrien, Kofi Annan, hatte Iran mehrmals besucht, um dessen Unterstützung für eine politische Lösung in Syrien zu erhalten. Doch EU-Staaten, die Golfmonarchien und die USA hatten eine Rolle Teherans ausgeschlossen. Kofi Annan gab sein Amt vor wenigen Wochen auf.

Iran hat derweil seine Beziehungen zu Syrien demonstrativ intensiviert. So wurden Verträge über eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet, und während einer regionalen diplomatischen Offensive warnte Teheran insbesondere die Türkei, kriegerische Provokationen zu unterlassen.

Der syrische Staatsminister für nationale Versöhnung, Ali Haidar, hatte vor Beginn des Gipfeltreffens Teheran besucht und die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit beider Länder hervorgehoben. Die iranische Initiative basiere auf wichtigen Prinzipien, wird Haidar in syrischen Medien zitiert. Dazu gehöre die Ablehnung jeder ausländischen Einmischung sowie jeder Gewalt und Rechtfertigung für Gewalt. In Syrien dürfe, wie in jedem anderen Land, nur das staatliche Gewaltmonopol existieren, betonte Haidar. Für Kämpfer müsse ein Weg gefunden werden, wie sie ihre Waffen abgeben und sich in einen politischen Prozeß eingliedern könnten.

In einem Interview mit dem britischen Independent sagte der syrische Außenminister Walid Al-Mu’allem am Dienstag, Damaskus sei überzeugt, daß die Gewalt gegen Syrien von den USA ausgehe, die anderen beteiligten Staaten seien lediglich »Werkzeuge der USA«. 60 Prozent der Gewalt in Syrien werde vom Ausland gesteuert, vor allem von der Türkei, Katar und Saudi-Arabien, so Al-Mu’allem. Er verstehe nicht, wie die USA einen »Kampf gegen Terrorismus« führen wollen, wenn sie den Terrorismus in Syrien unterstützen. »Wenn sie sagen, sie würden ausgefeilte Instrumente der Telekommunikation« im Wert von 25 Millionen US-Dollar an die Opposi¬tion liefern, sei das nichts anderes »als militärische Unterstützung«. Westliche Vermittler hätten Damaskus gegenüber erklärt, wenn Syrien seine Zusammenarbeit mit dem Iran, der Hisbollah und der Hamas beende, »werden sie helfen, den Konflikt zu lösen«, sagte Al-Mu’allem dem Independent-Korrespondenten Robert Fisk. An die Europäischen Staaten gewandt, fragte Mu’allem: »Wie kann man sich um das Wohlergehen der Syrer sorgen und gleichzeitig Resolutionen gegen die Syrer unterstützen?«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. August 2012


Iran ist nicht isoliert

Internationale Gemeinschaft in Teheran: Mehr als hundert Staaten bei Gipfeltreffen der Blockfreien vertreten. Druck aus USA und Israel verfängt nicht

Von Knut Mellenthin **


Am heutigen Donnerstag beginnt in der iranischen Hauptstadt Teheran das Gipfeltreffen der NAM, der blockfreien Staaten. 120 Länder, nahezu zwei Drittel aller UN-Mitglieder, gehören der Organisation an, die 55 Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert. Die Teilnahme von 100 Staaten stand schon in der vorigen Woche fest; nach jüngsten Meldungen aus Teheran sollen es nun sogar 110 sein. 45 Länder seien durch ihre Staats- oder Regierungschefs beim Gipfel vertreten, meldeten am Dienstag iranische Agenturen.

Großer Erfolg

Für Iran ist die NAM-Konferenz schon jetzt ein riesiger außenpolitischer Erfolg, da sie anschaulich die westliche Propagandalüge von der »Isolierung« des Landes durch die »Internationale Gemeinschaft« widerlegt. Ohnehin ist diese »Isolierung« nur das Produkt einer Zwangsquarantäne, die die US-Regierung und ihre europäischen Juniorpartner der ganzen Welt aufzuzwingen versuchen. Aber die Tatsachen zeigen, daß das nicht einmal mit wirtschaftlichen Erpressungen und massivem diplomatischen Druck durchsetzbar ist. Nicht weniger wichtig als die Konferenz ist, daß Iran nun für die kommenden drei Jahre den Vorsitz der NAM übernimmt, den zuvor Ägypten hatte. Das stellt zwar keine Schutzgarantie gegen militärische Aggressionen der westlichen Allianz und Israels dar, baut aber doch gewisse nicht zu verachtende politische Hürden auf.

Irans Erfolg ist umso größer, weil die USA und Israel im Vorfeld der Konferenz massive Störaktionen nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch in aller Öffentlichkeit unternommen hatten. Herausragend und außergewöhnlich durch seine Unverschämtheit war der Telefonanruf des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu, mit dem er den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, von der Teilnahme abzuhalten versuchte. Er blaffte ihn nicht nur barsch an: »Ihr Platz ist nicht in Teheran!«, sondern ließ das auch noch als Pressemeldung an die Medien geben. Vergeblich: Ban traf am Mittwoch morgen in der iranischen Hauptstadt ein und will dem Vernehmen nach bis zum Schluß der Konferenz am Freitag dort bleiben. Unter anderem werde er mit Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei und Präsident Mahmud Ahmadinedschad zusammentreffen, hieß es am Mittwoch aus Teheran.

Für die US-Regierung hatte die Sprecherin des Außenministeriums, Victoria Nuland, Anfang voriger Woche verkündet, Iran »verdiene« die Teilnahme hochrangiger Politiker an der NAM-Konferenz nicht. Wie die US-Presse berichtete, hatten die Diplomaten des State Departments erhebliche Anstrengungen unternommen, um möglichst viele Staaten davon zu »überzeugen«, nur ihre dritte Garnitur nach Teheran zu schicken. Besonders groß war der amerikanische Druck auf den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi, die Konferenz zu boykottieren. Auch er ließ sich jedoch von der Teilnahme nicht abschrecken und ist damit der erste ägyptische Spitzenpolitiker seit dem Abbruch der Beziehungen vor 32 Jahren, der den Iran besucht.

Atomwaffenfreie Zone

Die NAM-Konferenz, die heute und morgen mit dem Gipfeltreffen ihren offiziellen Höhepunkt erreicht, hatte bereits am Sonntag mit einer zweitägigen Arbeitstagung außenpolitischer und diplomatischer Experten der Teilnehmerländer begonnen. Ihre Aufgabe war es, die Tagesordnung für den Gipfel sowie für das vorausgehende Außenministertreffen am Dienstag und Mittwoch festzulegen. Außerdem arbeiteten sie den Entwurf der 700 Absätze umfassenden Abschlußerklärung aus, die am Freitag von den Staats- und Regierungschef unterzeichnet werden soll.

Der iranische Vorsitzende der Expertentagung, Mohammad-Mehdi Akhundzadeh, teilte der Presse am Montag mit, daß in der Erklärung das unveräußerliche Recht aller Staaten auf die Entwicklung und Nutzung der Nuklearenergie zu friedlichen Zwecken betont werde. Zugleich würden alle von einzelnen Ländern verhängte Sanktionen abgelehnt. Die Erklärung unterstütze außerdem die Forderung nach der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im gesamten Nahen und Mittleren Osten.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. August 2012


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