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Die Aufklärer und der Wächterrat

Iran und Demokratie? Shirin Ebadi und die Allafis informieren

Von Fahimeh Farsaie*

Das ist nicht nur mein Preis, es ist unser aller Preis. Er bedeutet, dass der Wunsch der iranischen Nation nach Demokratie und Menschenrechten in der Welt gehört wird«, sagte die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi im Oktober letzten Jahres zu den tausenden Menschen, die auf dem Teheraner Flughafen Mehrabad ihre Rückkehr aus Paris erwartet hatten. In diesem Sinne ist auch das Buch von Katajun Amirpur mit dem Titel »Gott ist mit den Furchtlosen« verfasst. Die 33-jährige Autorin stellt Shirin Ebadi und weitere Vertreter der iranischen Reformbewegung vor, darunter auch Konservative, zeigt politische und gesellschaftliche Zusammenhänge auf und gewährt Einblicke in die Auseinandersetzungen in Iran.

Wenn Iran in den Schlagzeilen ist, deutsche Zeitungsleser etwa – wie in dieser Woche – erfahren, dass das Land erneut von der EU wegen Atomprogramm und Menschenrechtsverletzungen angeprangert wird, weiß er dies kaum einzuordnen. Bücher wie die hier angezeigten – rar genug auf dem deutschen Buchmarkt – können Abhilfe schaffen.

Amirpur erzählt den scheinbar »nicht allzu spektakulären« Lebenslauf der Shirin Ebadi: Jurastudium, erste Richterin unter dem Shah-Regime, Anwältin nach der Revolution 1979, betraut mit etlichen brisanten politischen Fälle, Verfasserin vieler Sachbücher, Mitgründerin der »Organisation zum Schutz von Kindern« und Streiterin für Frauenrechte. Man erfährt, dass die Moslemin Ebadi überzeugt ist von der Vereinbarkeit der Menschenrechte mit den Grundsätzen des Islam. Einiges hat sich in Iran schon bewegt: »In den ›bürgerlichen Zusammenhängen‹ treffen sich heute Frauen, die sich damals über verschiedene Kochrezepte unterhalten haben und nun diskutieren sie über ihre Rechte. Ohne demokratische Rechte für Frauen kann man nicht von einer demokratischen Gesellschaft reden.« Man müsse nur an Demokratie glauben, dann sei sie machbar, weiß Ebadi. »Aufklärung ist der erste Schritt zur gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung. Mit Gewalt kann man über die aufgeklärten Menschen nicht herrschen.«

Mit Aufklärung und Demokratie beschäftigen sich auch die Autoren des Buches »Iran an der Schwelle zur Demokratie?« Mohammad und Sabine Allafi setzen sich zunächst mit dem Begriff Demokratie auseinander. »Es handelt sich also um die Vergabe von auf eine bestimmte Zeit begrenzten politischen Aufträgen des Volkes an bestimmte Personen durch freie und faire Wahlen.« In diesem Punkt sind sich die iranischen Intellektuellen und alle politischen Akteure der Reformbewegung heute einig. Die Frage lautet nun nur, welche Kräfte und Organisationen im Moment in der Lage sind, den Demokratieprozess in Gang zu setzen.

Nach den Parlamentswahlen im Februar diesen Jahres, deren Gewinner die islamischen Orthodoxen waren, ist es nicht leicht, diese Frage zu beantworten. Der Wächterrat hatte offen angekündigt, dass sich das Parlament »künftig auf die Stärkung des Islam und die Durchsetzung von Glaube und Moral im öffentlichen Leben konzentrieren« werde. Obwohl einer Umfrage des Innenministeriums zufolge rund 90 Prozent der Bevölkerung mit der Islamischen Republik unzufrieden sind, wird der Wächterrat sein Vorhaben durchdrücken. Was wird aus der von den Reformern angestrebten »Demokratie«?

Um diese Frage zu erörtern, analysieren Allafi die Haltung der unterschiedlichen Gruppen von Islamisten, der orthodoxen Konservativen, pragmatisch orientierten Konservativen und staatstragenden Reformorientierten, sichten die laizistischen politischen Fragmente in Iran und untersuchen die Einstellung der Jugend und Frauen.

Abschließend befassen sie sich mit Positionen der europäischen Länder und kritisieren die derzeitige Außenpolitik der Europäischen Union. Bezüglich der so genannten islamischen Länder fordern sie, neue Verbündete aus den Reihen der säkularen und aufgeklärten Schichten zu finden: »Dies soll nicht bedeuten, dass die islamistischen Reformer ausgeschlossen werden sollen und insbesondere diejenigen Islamisten, die nicht in die Machtstruktur des derzeitigen Regimes in Iran integriert sind.« Wäre das nicht ein Leitfaden für eine echte Politik des kritischen Dialogs?

Katajun Amirpur: Gott ist mit den Furchtlosen. Shirin Ebadi – Die Friedensnobelpreisträgerin und der Kampf um die Zukunft Irans. Herder Verlag. 160S., br., 8,90 EUR.

Mohammad H. und Sabine Allafi: Iran an der Schwelle zur Demokratie? Glare Verlag. 138S., br., 18 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 9. September 2004


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