Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kein dritter Anlauf

Irans früherer Präsident Chatami verzichtet auf neue Kandidatur

Von Jan Keetman, Istanbul *

Der ehemalige iranische Präsident Mohammed Chatami hat sich am Montag aus dem Präsidentenwahlkampf zugunsten des ehemaligen Ministerpräsidenten Mir Hossein Moussavi zurückgezogen. Er habe sich zu diesem Schritt entschieden, »um eine Spaltung der Wählerschaft« zu vermeiden, teilte Chatami in einer Erklärung mit.

Einer der mutmaßlichen Favoriten ist nicht mehr im Rennen: Die seit Tagen umgehenden Gerüchte über ein Abrücken von seiner vergangenes Jahr angekündigten Kandidatur für die Präsidentenwahl am 12. Juni hat Chatami nun bestätigt. Der zweimalige Präsident (von 1997 bis 2005) gibt sich großzügig zugunsten des 67-jährigen einstigen Ministerpräsidenten Mir Hossein Moussavi. Die Stimmen des sogenannten Reformlagers sollten nicht gespalten werden; außerdem habe Moussavi die besseren Chancen, auch konservative Stimmen auf sich zu ziehen, sagte Chatami.

Mit letzterem mag er durchaus recht haben. Moussavi, der unter Revolutinsführer Ajatollah Chomeini acht Jahre lang, von 1981 bis 1989, als Ministerpräsident fungiert hatte, ehe dieses Amt abgeschafft wurde, galt früher als Hardliner. Mittlerweile gilt er jedoch als gemäßigter Reformer, der den amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad mehrfach scharf kritisiert hat.

Moussavi griff Ahmadinedschad dort an, wo es dem Präsidenten weh tut: in der Wirtschaftspolitik. In einer Rede vor Anhängern im ärmeren Süden Teherans, einer Hochburg der Konservativen, warf Moussavi dem gegenwärtigen Präsidenten vor, entgegen dem Rat von Experten nichts zurückgelegt zu haben, als der Ölpreis hoch war. Seine Anhänger riefen ihm daraufhin zu: »Mir Hossein ist ein Held und ein Unterstützer der Armen!«

Die letzten Wahlen hatte Ahmadinedschad vor allem mit sozialen Versprechen gewonnen, doch die unter seiner Präsidentschaft zu verzeichnende hohe Inflation beeinträchtigt nun seine Popularität. Andererseits verkörpert Moussavi nicht die Idee eines völligen Neuanfangs, wie sie Chatami zumindest früher vorgab. Es ist unwahrscheinlich, dass er die jungen Wähler erreicht, und die sind in einem Land mit einer so jungen Bevölkerung und einem Wahlalter von 16 Jahren möglicherweise entscheidend. Der in den USA lebende Iran-Experte Merzad Boroujerdi sieht deshalb im Rückzug Chatamis einen großen Rückschlag für die Reformer.

Dessen Vorgeschichte liegt freilich noch ein wenig im Dunkel. Noch bevor Chatami seine Kandidatur bekanntgab, hatte er ausdrücklich erklärt, dass er nur antreten werde, wenn Moussavi nicht antreten wolle. Damals kam kein klärendes Wort von Moussavi. Ohnehin war das Reformlager schon gespalten, nämlich zwischen Chatami und dem ehemaligen Parlamentsvorsitzenden Mehmed Karrubi. Karrubi und Moussavi gehören der gleichen Partei an, der Etemad-e Milli (Nationale Eintracht). Auch Karrubi, der bei den vergangenen Präsidentenwahlen im ersten Wahlgang nur um Haaresbreite hinter dem späteren Sieger Ahmadinedschad zurücklag, hätte die Stimmen der Reformer gespalten.

Nicht besser geht es den Konservativen, die sich selbst »Prinzipialisten« nennen. Auch sie haben drei potenzielle Kandidaten. Nämlich Ahmadinedschad, der seine Kandidatur noch nicht offiziell erklärt hat, den ehemaligen Unterhändler in der Atomfrage Hasan Rowhani und den Bürgermeister von Teheran, Mohammed Baqar Qalibaf.

Dies nährt den Verdacht, dass der eigentliche Grund für den Rückzug Chatamis ein anderer ist. Von seinen Anhängern stammt die Behauptung, der allmächtige religiöse Führer Irans, Ali Khamenei, habe Chatami die Zustimmung zur Kandidatur verweigert. Chatami wollte erst trotzdem antreten, hat es sich aber jetzt offenbar anders überlegt. Rückzieher dieser Art hatten bereits die politischen Entscheidungen seiner zwei Präsidentschaftsperioden geprägt.

* Aus: Neues Deutschland, 18. März 2009


Zurück zur Iran-Seite

Zurück zur Homepage