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"Hochrüstung wurde noch nie betrieben wurde, um die Waffen ungenutzt ins Meer zu werfen"

Von US-Kriegsplänen gegen Iran und Deutschlands Ambitionen

Von Erhard Crome *

Aus dem Nahen Osten, dem fernen China sowie europäischen und US-amerikanischen Medien kommen derzeit Äußerungen, die alle das gleiche signalisieren: Bush II hat den Krieg gegen den Iran wieder fest im Visier, wenn er überhaupt je aus dem Blickfeld verschwunden war. Während Ende 2005/ Anfang 2006 alles darauf hindeutete, als stünde der Überfall unmittelbar bevor, schien den Kriegsmachern in Washington dann die Zeit davonzulaufen. Die sich abzeichnende Niederlage der USA im Irak, die wachsenden Schwierigkeiten des Westens in Afghanistan und das Fiasko des Krieges Israels gegen Libanon und die Hisbollah im Sommer 2006 (Das Blättchen, No. 18/2006) ließen den nächsten Krieg eher unwahrscheinlich werden, wenngleich auch damals bereits klar war: Die Kriegspartei arbeitet weiter an diesem „Projekt“.

Das jetzt debattierte Szenario geht von drei Schritten aus. Der erste ist ein israelischer Luftangriff auf iranische Nuklearanlagen. Dann wird auf einen Raketenschlag des Iran gegen Israel gerechnet – wieviele Menschen in Israel dabei ums Leben kommen, bleibt bei den Angriffsplanern natürlich außerhalb der Betrachtung, obwohl sie doch sonst immer beteuern, wie fest sie an der Seite Israels stünden. Der iranische Gegenschlag soll dann mit massiven Luftangriffen der USA und ihrer Föderaten „beantwortet“ werden, die den Einsatz von „Mini“-Atombomben gegen die iranischen Atomanlagen und andere militärische Ziele ebenso einschließen, wie ein wochenlanges Bombardement gegen zivile Ziele und die Infrastruktur des Landes. Am Ende geht es nicht um das Atomproblem, sondern darum, den Iran für längere Zeit als Faktor der internationalen Politik auszuschalten. So wie man es in den 1990er Jahren mit Jugoslawien und später mit dem Irak gemacht hat. Das sich anschließende Chaos in Iran ist nicht „Kollateralschaden“ solcher Kriegsführung, sondern eines der Kriegsziele.

Dabei greift es jedoch zu kurz, jetzt nur über Geopolitik, die „Neuordnung“ des Nahen und Mittleren Ostens und Öl zu reden. Es geht vielmehr um die Logik des Wettrüstens und die nunmehr prekäre Lage der USA in der Weltwirtschaft. Kurz nach dem Ende des Realsozialismus sah es für kurze Zeit so aus, als würde es eine „Friedensdividende“ geben, als könne die Last des Wettrüstens von den Schultern der Völker genommen werden. In der Tat schien es in den 1990er Jahren eine Zeitlang, als würde es in diese Richtung gehen. Jedenfalls sanken zunächst die Rüstungsausgaben.

Bush II hat seit 2001 unter Verweis auf den 11. September und den „Krieg gegen den Terror“ drastisch umgesteuert. 2006 stiegen die Militärausgaben gegenüber dem Vorjahr weltweit um 3,5 Prozent und erreichten 1204 Milliarden US-Dollar. Das ist die Größenordnung, die am Ende der Block-Konfrontation und der Reagan-Jahre, die ebenfalls Hochrüstungsjahre waren, im Jahre 1988 erreicht worden war. 528 Milliarden Dollar, das sind 46 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben, entfallen dabei allein auf die USA. Sie sind heute das einzige Land der Welt, das militärtechnologisch von anderen Staaten unabhängig ist. 80 Prozent ihres Umsatzes wickeln die US-amerikanischen Rüstungskonzerne mit den US-Streitkräften ab, nur 20 Prozent entfallen auf Exporte, die allerdings ebenfalls die größten der Welt sind. Damit sind die USA weder auf Importe für ihre Streitkräfte noch auf Exporte für ihre Rüstungsfirmen angewiesen – nahezu alle anderen Staaten der Welt sind auf Importe, und seien es nur einzelne Waffensysteme oder Komponenten, angwiesen, und Rußland, der zweitgrößte Exporteur der Welt, auf Erlöse aus dem Export, um seine Produktion und waffentechnische Entwicklung weiter betreiben zu können. Für das Haushaltsjahr 2008 plant die Bush-Regierung eine neuerliche Erhöhung der Militärausgaben, nun auf 647 Milliarden Dollar. Das ist eine Verdopplung seit 2001. Weltweit sind die Militärausgaben in dieser Zeit um über 25 Prozent gestiegen.

Die Militärhaushalte Chinas und Rußlands machen dagegen nur vier bzw. drei Prozent der Rüstungsausgaben in der Welt aus. Zwanzig Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben entfallen jedoch auf die sonstige NATO (das heißt ohne die USA), was praktisch bedeutet, daß die NATO für etwa zwei Drittel dieser Ausgaben weltweit verantwortlich ist. Deutschland ist kräftig dabei. Die SPD-Grüne Koalition sorgte dafür, daß zwischen 1998 und 2005 der „Verteidigungshaushalt“ kontinuierlich um durchschnittlich 700 Millionen Euro pro Jahr wachsen konnte. Die derzeitige CDU-geführte Bundesregierung bringt es nun im laufenden Haushaltsjahr auf 28,4 Milliarden Euro, die vorzugsweise dafür gedacht sind, neues Kriegsgerät zu erwerben, um die Angriffsfähigkeit der Bundeswehr zu steigern. Im Jahre 2010 sollen es dann bereits 29,5 Milliarden Euro sein.

Aus der Geschichte weiß man, daß Hochrüstung noch nie betrieben wurde, um die Waffen ungenutzt ins Meer zu werfen, sondern um sie einzusetzen. Insofern bringt die Hochrüstung an sich bereits immer wieder sich zuspitzende Kriegsgefahren hervor. Im EU-Europa haben sich die Konstellationen inzwischen umgekehrt. Während die britische Regierung, anders als bei dem Überfall auf den Irak, dem Krieg gegen den Iran eher skeptisch gegenübersteht, scheinen es die französische Regierung unter Sarkozy und die deutsche unter Merkel kaum erwarten zu wollen, dem Bush beim nächsten Krieg zur Hand zu gehen. Jedenfalls hat Angela Merkel in New York schon mal mitzuteilen gewußt, nicht die Welt müsse beweisen, daß der Iran Atomwaffen baue, sondern er müsse beweisen, daß er das nicht mache – was der verlogenen „Argumentation“ von Bush entsprcht, mit der er den Irak-Krieg rechtfertigte.

Das weltwirtschaftliche Problem wiegt vielleicht noch schwerer. Allenthalben wird derzeit über die internationale Finanzkrise geredet, die im Sommer in den USA ihren Ausgang nahm. Eine große Krise, vergleichbar der Weltwirtschaftskrise von 1929-1932, wird von einigen Beobachtern bereits befürchtet, obwohl so etwas seit dem 2. Weltkrieg bisher als ausgeschlossen galt. Der US-Dollar verliert seit Wochen von Tag zu Tag an Wert. Der Euro liegt jetzt bei deutlich über 1,40 Dollar. China hat derzeit Auslandsguthaben von über 1200 Milliarden US-Dollar. Wenn der US-Dollar nun zehn Prozent an Wert verliert, hat China 120 Milliarden verloren – das ist in etwa der Wert des chinesischen Exportüberschusses von einem Jahr. Was sollen sie jetzt tun? Den Dollar weiter stützen, wie bisher, oder doch größere Devisenmengen in Euro tauschen, und damit zum weiteren Wertverlust des Dollars und zum eigenen Verlust beizutragen? Ende der 1990er Jahre war eine Delegation der EU in Peking, um dort die Vorzüge der neuen europäischen Währung als Reservewährung zu erläutern. Und just in diesem Augenblicke wurde während des Jugoslawienkrieges von den USA „versehentlich“ die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert. In Peking verstand man das und schickte die EU-Delegation nach Hause.

In Washington rechnet man darauf, die militärische Macht doch noch gegen das Sinken der wirtschaftlichen Kraft der USA einsetzen zu können. Der Krieg gegen den Iran soll dazu führen, daß alle wieder in den Dollar investieren – und der Krieg verhindert, daß die US-amerikanische Spekulationsblase schon in Kürze platzt.

Eine solche Idee ist übrigens nicht neu – wobei wir wissen: vergleichen ist nicht gleichsetzen. Die Aufrüstung Hitlerdeutschlands wurde seit 1934 über ein Kreditsystem finanziert, das auf Wechseln beruhte, für die die Reichsbank haftete. Diese Wechsel wurden 1938/39 fällig. Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht plädierte für ein Abbremsen der Rüstungen, um die Kredite zu bedienen und die Währung stabil zu halten. Hitler entließ ihn und ordnete Beschleunigung der Rüstungen an. Als der Staatsbankrott drohte, wurde der Überfall auf Polen angeordnet.

Wir sehen tatsächlich herrlichen Zeiten entgegen, und wissen: Deutschland ist endlich wieder richtig dabei.

* Erschienen unter dem Titel "In tempore belli (VIII)" in: Das Blättchen, Berlin, No. 21 vom 15. Oktober 2007.


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