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"Der Krieg sollte tatsächlich längst stattgefunden haben"

Warum der Angriff auf den Iran auf sich warten lässt

Von Erhard Crome *

Bereits Ende 2005 sowie zur Osterzeit 2006 und dann wieder im Herbst 2007 ging die Angst um, George W. Bush würde nunmehr den allseits erwarteten, verbreitet mit Sorge gesehenen und von vielen befürchteten Krieg gegen den Iran beginnen lassen. Der Krieg kam bekanntlich nicht. Jetzt ist erneut die Rede davon: Der Krieg werde nach den Präsidentenwahlen in den USA, die am 4. November 2008 durchgeführt werden, und vor der Vereidigung des neuen Präsidenten am 20. Januar 2009 stattfinden. Bush hat dann nichts mehr zu verlieren, der Platz in den Geschichtsbüchern ist ohnehin klar. In dieser Zeitspanne macht der US-Präsident normalerweise nichts, um den Nachfolger nicht zu belasten. Er ist jedoch im Sinne der Verfassung noch immer der omnipotente Oberbefehlshaber der Kriegsmaschinerie der USA. Insofern kann er dies natürlich auch zu bemerkenswerten Taten nutzen – so wie der Kaiser Nero dereinst die Stadt Rom niederbrennen ließ, kann er mal eben ein Land zerbomben lassen. Der Nachfolger ist für diese Taten nicht direkt, persönlich verantwortlich zu machen. Er ist es in einem staatsrechtlichen Sinne, weil er der Nachfolger ist, und er muß die Suppe politisch dann auslöffeln, aber verantwortlich bleibt Bush.

Wir werden also eine brisante Zeit haben in diesen zweieinhalb Monaten. Die ist aber keine gute Zeit für große Demonstrationen und Massenkundgebungen; der November gewißlich noch, so wie 1917, 1918 oder 1989, im Dezember aber befassen sich die Menschen in der christlich-abendländischen Welt mit Weihnachtsgeschenken und dem Jahreswechsel. Da werden ein paar Bomben auf den Iran nicht unbedingt dazu führen, sich das Weihnachtsfest vermiesen zu lassen. Vielleicht hat ja inzwischen auch ein Gewöhnungsprozeß stattgefunden. Dieser Krieg ist bereits zwei- oder dreimal angekündigt worden, ohne daß etwas passierte. Warum also soll das ausgerechnet jetzt anders sein? Als Propagandataktik, einen Krieg mehrmals anzukündigen, dann aber nicht stattfinden zu lassen, wäre ein solches Vorgehen, um sich die Bilder erneuter großer Demonstrationen wie vor dem Irak-Krieg zu ersparen, kaum zu überbieten. Insofern ist auch die Stimmung der Friedensbewegung in Europa, jetzt gegen den Iran-Krieg zu mobilisieren, eher verhalten.

Wahrscheinlich war es aber keine Taktik. Der Krieg sollte tatsächlich längst stattgefunden haben und die früheren Kriegsängste in Bezug auf Iran waren berechtigt, nur standen ihm die Friktionen infolge der verschiedenen anderen Kriege im Wege. Die sichtbar werdende Niederlage der USA und ihrer Föderaten im Irak, das Scheitern des Westens in Afghanistan und das Fiasko des Krieges Israels gegen Libanon und die Hisbollah im Sommer 2006 ließen es unwahrscheinlich werden, rasch einen weiteren Krieg vom Zaune zu brechen. Bei den Wahlen zum US-Kongreß 2006 verloren Bush’s Republikaner ihre Mehrheit, die Demokraten stellten unbequeme Fragen und um einen symbolischen Sündenbock vorzuweisen, hatte Bush seinen Kriegsminister Rumsfeld entlassen. Der aber war eine Zentralfigur der imperialen Kriegspolitik der USA unter Bush II. Zudem hatte das Vorgehen der anderen Ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates – nicht nur Großbritanniens und Frankreichs, sondern auch Chinas und Rußlands – sowie Deutschlands in Bezug auf den Iran dazu geführt, daß zwar einerseits eine Drohkulisse unterschiedlicher Sanktionen aufgebaut wurde. Andererseits behinderte die vereinbarte Position, deren Wirkung erst abzuwarten, bevor militärische Aktionen gestartet werden, aber ein unmittelbares Losschießen der Raketen.

Das gilt jedoch nur so lange, wie von rationalen Entscheidungen an der Spitze der US-Administration auszugehen ist. Das jetzt in Rede stehende Szenario geht – wie 2006 – von drei Schritten aus: Der erste wäre ein israelischer Luftangriff auf iranische Nuklearanlagen oder was die entsprechenden Geheimdienste dafür halten. Der zweite wären möglicherweise ein Raketenschlag des Iran gegen Israel sowie das Versenken großer Schiffe durch Iran in der Straße von Hormuz, um den aus Arabien kommenden Ölfluß in den Westen zu unterbrechen. Der dritte dann massive Luftangriffe der USA und ihrer Föderaten gegen iranische Ziele.

Das erste wird bereits geübt. Vom 25. Mai bis 12. Juni haben im östlichen Mittelmeer griechisch-israelische – das heißt: NATO-israelische – Luftwaffenmanöver stattgefunden, bei denen Angriffe auf iranische Atomanlagen und das Betanken von Flugzeugen in der Luft geübt wurden. Betont wird, daß Israel (Der Spiegel 25/2008) über mindestens fünfzig Jagdbomber verfügt, die Irans Atomanlagen erreichen können, sowie über Spezialbomben, die unterirdische Bunkeranlagen zerstören können. Ob dies die vielgepriesenen kleinen Atombomben sind („Mini-Nukes“), die natürlich auch atomare Strahlungen verbreiten, wurde dabei nicht mitgeteilt. Über das Drängen zum Kriege seitens der israelischen Regierung wird gesagt, sie wolle den Schlag gegen den Iran noch unter Bush, weil sie ja nicht wisse, was der Nachfolger tut. Es gäbe ein „Fenster der Gelegenheit“, hat Ministerpräsident Olmert Anfang Juni in Washington gesagt, und so solle der Schlag gegen Iran noch vor Januar 2009 erfolgen.

Das Problem ist nur: das Territorium des Iran ist wesentlich größer, als das des Irak oder des Nachbarlandes Syrien. Es war der israelischen Luftwaffe gelungen, die tatsächlichen Atomanlagen des Irak unter Saddam Hussein zu zerstören, und sie hatte kürzlich die angeblichen Atom-Anlagen Syriens zerstört. Der Iran aber ist weit, und niemand weiß, welche Raketen er hat, zum Beispiel Luftabwehrraketen – aus Rußland, aus China, vom internationalen Markt? Können damit F-16 Kampfflugzeuge abgeschossen werden? Wenn ruchbar wird, daß Israel es versucht hat, die iranischen Anlagen zu zerstören, und dabei scheiterte, ist dies in der Wirkung so ähnlich, wie das Fiasko des Libanon-Krieges 2006: Der Nimbus der kleinen Supermacht im Nahen Osten ist endgültig dahin. Insofern ist die Redeweise: „Wir könnten es schon heute tun“ (ein israelischer General a.D. in: Der Spiegel 27/2008) leicht gesprochen, aber nicht unbedingt getan. Wahrscheinlich ist die israelische Position dann doch eher, die USA zum Zuschlagen zu veranlassen.

Die aber sind nach wie vor in schwieriger Lage, die sich von der im Jahre 2006 oder 2007 kaum unterscheidet, höchstens dadurch, daß sie noch komplizierter ist. Im Irak hat selbst die eingesetzte Kollaborationsregierung die Stirn, die vorgelegten Verträge der USA über die Erdölaneignung und die Truppenstationierung nicht zu akzeptieren. Auch diese arabischen Herren haben eine Erinnerung an Würde. In Afghanistan sterben inzwischen mehr ausländische Soldaten denn je seit Beginn der westlichen Besetzung. In ihrer Hilflosigkeit attackieren die Luftstreitkräfte die Zivilbevölkerung, zuletzt Anfang Juli in der Provinz Nangarhar, als die US-Luftwaffe eine Hochzeitsgesellschaft bombardierte und 47 Zivilisten tötete, darunter 39 Frauen und Kinder. Das ist der Alltag der westlichen Besatzung in Afghanistan. Zugleich führt jeder tote Zivilist zu verdoppelter Zahl Freiwilliger, die sich den „Taliban“ genannten Widerstandskämpfern anschließen.

Diese breiten sich inzwischen auch in Pakistan aus. Der pakistanische Analytiker Ahmed Rashid hat eingeschätzt, daß es sich längst um einen „regionalen Krieg“ handelt, der von Irak über Iran, Afghanistan, Zentralasien bis nach Pakistan reicht (Der Spiegel 28/2008). Bisher ist der Iran der einzige stabile und berechenbare Staat in der Region. Ihn jetzt zu bombardieren hieße, die gesamte Großregion endgültig im Feuer des Krieges verbrennen zu lassen. Das Problem nur ist: Bush II ist zuzutrauen, daß er genau dies tut.

* Dr. Erhard Crome; Referent für "Friedens- und Sicherheitspolitik, Europa, Sozialforumsprozesse" im Bereich "Politikanalyse" der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Der Text erschien unter dem Titel "In tempore belli (IX)" in: Das Blättchen, Berlin, No. 16 vom 4. August 2008



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