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Störfaktor Teheran

Rede von Sevim Dagdelen, MdB, zum 41. Jahrestag der Gründung der Volksfedayinbewegung

Liebe Freundinnen und Freunde,

der Iran, das große Volk der Iraner steht gegenwärtig vor zwei gewaltigen Herausforderungen. Erstens wird der Iran von einer menschenverachtenden, klerikalen Regierung geführt. Zweitens wird bereits seit Jahren ein verdeckter Krieg gegen den Iran geführt, der bald in einen offenen Krieg eskalieren könnte. Die Idee liegt nahe, beide Probleme gemeinsam lösen zu wollen, aber beide Probleme sind so unterschiedlich, dass dies leider nicht möglich sein wird, dass sie jeweils sehr unterschiedliche Positionierungen und Handlungen erfordern.

Als vor 14 Monaten der arabische Frühling begann, ähnelten die Bilder und die Taktiken des Widerstandes, die wir aus Ägypten und Tunesien sahen, denen, die wir schon von den Protesten nach den Präsidentschaftswahlen 2009 aus dem Iran kannten. Damals hat die Bevölkerung des Iran wieder einmal bewiesen, wie mutig, entschlossen und klug sie ist. Deshalb habe ich keinen Zweifel, dass sie sich von ihrem klerikalen Regime befreien kann und wird, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Deshalb ist es auch – für viele hier überraschend – verhältnismäßig ruhig geblieben im Iran nach dem Beginn des arabischen Frühlings.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass alle hier vom Beginn des arabischen Frühlings beeindruckt waren und er uns alle mit Hoffnung erfüllt hat. Die Bilanz allerdings ist eher ernüchternd. Im Moment scheint es so, als hätte er v.a. die klerikalen Monarchien, die Despoten am Golf gestärkt. Sie konnten ihre Herrschaft über den Jemen intensivieren, über Nordafrika ausdehnen und sich im Gewand der Arabischen Liga (zumindest vorübergehend) zu einem weltpolitischen Akteur und engen Partner der NATO aufschwingen. Dabei kommt es zu bemerkenswerten Allianzen zwischen NATO-Staaten und radikalen Islamisten, die der Al Kaida nahe stehen, sie arbeiteten in Libyen zusammen und sie arbeiten in Syrien zusammen. Offensichtlich sind sogar Salafisten und Terroristen den NATO-Staaten willkommene Bündnispartner bei der Bekämpfung der bestehenden schiitischen und säkularen Regime und bei der geplanten Neugestaltung des „New Middle East".

Offenbar sind die USA und ihre Verbündeten angesichts zur Neige gehender Ölvorräte und ihres unersättlichen Energiehungers fest entschlossen, diese Region vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen oder unter das zu bringen, was sie unter Kontrolle verstehen. Das Bündnis mit Terroristen kann dabei gar nicht mehr so sehr überraschen, wenn man bedenkt, dass sich auch die westliche Kriegführung, mit ihren nächtlichen Durchsuchungen und Drohnenangriffen, mit ihren gezielten Tötungen und Sabotagen, mit ihren verdeckten Operationen immer mehr dem Terror angleicht, den sie zu bekämpfen vorgibt. Der Krieg gegen den Terror war der angebliche Anlass dafür, dass General David Petraeus im September 2009 die „Joint Unconventional Warfare Task Force Execute Order" unterzeichnete, eine Anweisung zur verdeckten Operationsführung von Spezialkräften in „befreundeten und feindlichen" Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Bereits heute finden solche verdeckten Operationen der US-Streitkräfte in mehr als 75 Staaten dieser Welt statt und die USA haben ein globales Netz geheimer Gefängnisse und Folterlager geschaffen. Der US-Präsident Obama – dem der Friedensnobelpreis verliehen wurde – ist mittlerweile für diese Form der Kriegführung berühmt und berüchtigt und erweist sich selbst noch im Vergleich mit seinem Vorgänger Bush als „Intensivstraftäter", was Verletzungen des Völkerrechts angeht. Folgerichtig hat er auch Petraeus, der zuvor Oberkommandierender im Irak und Afghanistan und federführend bei der Entwicklung einer Doktrin zur Aufstandsbekämpfung war, später zum CIA-Agenten ernannt. Der Krieg wird immer stärker in die Sphäre der Geheimdienste verschoben und aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannt. Die Steuerung der US-Drohnen über Pakistan durch die CIA ist ein Beispiel hierfür. Diese Kriegführung versteckt sich wahlweise im Gewand des Terrors oder des Aufstandes. Sie konzentriert sich auf den Nahen und Mittleren Osten und ganz besonders auf den Iran und seine Nachbarstaaten. Das ist eine ganz schlechte Voraussetzung für einen Aufstand, der nicht unterwandert, instrumentalisiert und von den USA für ihre Interessen und gegen die Interesssen der Bevölkerung okkupiert wird.

Doch freilich beschränkt sich die Kriegführung der USA und ihrer Verbündeten nicht hierauf. Es sind noch genügend – ja eindeutig zu viele – reguläre Truppen weltweit im Einsatz und auch hiervon die allermeisten in unmittelbarer Nachbarschaft zum Iran: Über 100.000 US-Soldaten sind in Afghanistan im Einsatz und nach wie vor Tausende im Irak. Quellen aus dem Sinai berichteten Anfang Februar, dass dutzende US-Militärtransporter aus Europa mit unbekanntem Ziel Richtung Golf geflogen seien. Die auf den zu Oman und Jemen gehörenden Inseln Masirah und Socotra stationierten US-Truppen sind seit beginn des Jahres ebenfalls massiv aufgestockt worden, manche sprechen hier von bis zu 50.000 US-Soldaten. Zugleich hat in den vergangenen Monaten auch ein Flottenaufmarsch stattgefunden, wie es ihn seit dem letzten Golfkrieg nicht mehr gab. Diese Woche ist nach der USS John Stennis der zweite Flugzeugträger, die USS Carl Vinson mit gleich mehreren Zerstörern in den Persischen Golf eingedrungen, dabei gab es bereits Sichtkontakt mit iranischen Kriegsschiffen. Auch der dritte Flugzeugträger samt Verband, die USS Abraham Lincoln ist gegenwärtig auf dem Weg in den Golf, angeblich soll auch der französische Flugzeugträger Charles de Gaulle bald dazu treffen.

Auch die arabischen Verbündeten der USA und der NATO-Staaten wurden massiv aufgerüstet, erhielten Panzer und moderne Kampfflugzeuge. Doch trotz all dieser militärischen Potentiale und der realen und unmittelbaren Kriegsgefahr, die von ihnen ausgeht, besteht keine Aussicht auf Erfolg eines Krieges gegen den Iran. Der Iran verfügt über gewaltige Potentiale, die Lage in Afghanistan und dem Irak zu destabilisieren und er kann die Versorgung der Welt mit Erdöl über die Strasse von Hormuz empfindlich stören. Der Iran hat sich in den letzten Jahren hochmobile Anti-Schiffslenkwaffen angeschafft und über die Küste verstreut stationiert. Der Iran hat eigene Zerstörer entwickelt, verfügt über Fregatten aus britischer und U-Boote aus russischer Produktion sowie über 40 Raketen- und 150 Patrouillenboote . Um die zivile Schiffahrt zu stören oder zum Erliegen zu bringen könnten jedoch schon einfache Minen reichen oder mit Benzin beladene Schnellboote.

Zwar wird immer wieder von „begrenzten" und „gezielten" Luftschlägen gesprochen, eine solche Option besteht aber nicht. Gerade wegen der vielfältigen Möglichkeiten von Vergeltungsschlägen. Zahlreiche US-Stützpunkte und v.a. auch Ölanlagen liegen in der Reichweite iranischer Waffensysteme und der Iran verfügt über eine mobile Luftabwehr, weshalb die angeblich „gezielten" Luftschläge zwangsläufig in monatelange Flächenbombardements mit zehntausenden von Toten ausarten würden. Und selbst damit wäre für den Westen nichts gewonnen und viel verloren – nämlich: jeder Rest von Stabilität in dieser Region. Deshalb warnen hochrangige Militärs und die Geheimdienste selbst in den USA und Israel vor einer militärischen Eskalation. In Deutschland wird von den dem Militär nahestehenden Personen und Institutionen, wie Wolfgang Ischinger oder der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (mit denen mich ansonsten nichts verbindet) ganz klar gesagt, dass es keine Aussicht auf einen militärischen Erfolg, auf einen militärischen Regime-Change gibt. Und trotzdem droht ganz real und unmittelbar eine militärische Eskalation, an der alle – auch die Bundesregierung – beteiligt sind.

Wenn wir uns fragen, warum das so ist, dann müssen wir uns mit den Gründen für diesen Krieg beschäftigen. Diese wurden 2006, als der Westen seinen Eskalationskurs gegenüber dem Iran massiv beschleunigte, vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in einer Zustandsbeschreibung des sog. „Atomkonfliktes" sehr deutlich benannt. Während darin die Menschenrechtslage im Iran nur als Aspekt der „aktuellen innenpolitischen Lage" abgehandelt wird, liefert das übergeordnete Kapitel zum „Iran auf dem Weg zur regionalen Hegemonialmacht" die entscheidenden Hinweise: „Aufgrund der energiepolitischen Interessen Russlands, Chinas, Indiens und anderer Staaten sei mit einer kontinuierlichen Zunahme der iranischen Machtposition zu rechnen... Auf jeden Fall ist ... eine zunehmende Interaktion und Vernetzung Irans zu verzeichnen... Das Jahr 2007 bleibt im Hinblick auf die Außenpolitik Irans gekennzeichnet von deutlich spürbaren Anstrengungen Teherans, die eigene Machtposition auszubauen, den Einfluss des Westens – besonders der USA – zurückzudrängen und mit Hilfe von regionalen Bündnissen wie der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) und den so genannten Kaspi-Anrainern ein eigenständiges wirtschaftspolitisches Netzwerk und politisches Gegengewicht aufzubauen... Als Partner in der Positionierung gegen die USA hat Iran außerdem Venezuela gewonnen und mit Staatspräsident Chavez umfangreiche Verträge unterzeichnet. Auch die Beziehungen zu Nicaragua, Bolivien und Weißrussland wurden vertieft... Außerdem bemüht sich Iran um den Aufbau einer Golfsicherheitsstruktur, in der sich nach Vorstellung Teherans Iran, der Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council, GCC) und Irak zusammenschließen sollen... Unterdessen hätten die Golf-Anrainer dem iranischen Führungsanspruch mit Ausnahme der gut ausgerüsteten saudischen Luftwaffe wenig entgegen zu setzen und seien nicht zuletzt wegen Irans Kontrolle über die wichtige Transportader der Straße von Hormuz auf gute Beziehungen zu Teheran angewiesen." Zuletzt wird noch ein Artikel aus der New York Times mit dem Titel „Erstes Gesetz der Petropolitik" zitiert, wonach der Iran, wie andere „Energieexporteure", „außenpolitisch bei wachsenden Öleinnahmen immer weniger Rücksicht darauf [nimmt], was die Welt und insbesondere der Westen von ihnen hält". Der Iranexperte der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bringt in dieser Studie die damalige geopolitische Konstellation auf den Punkt: Unklar sei, „welche Rolle Iran in Zukunft spielen werde. Störfaktor oder tatsächlich eine regionale Großmacht?"

Das „oder" ist hieran bemerkenswert. Eine „regionale Großmacht" die sich zugleich als „Störfaktor" erweisen könnte, noch dazu bestens vernetzt mit anderen Abtrünnigen, durfte keinesfalls akzeptiert werden. Deshalb wurde in dieser geopolitischen Lage – heraufbeschworen übrigens durch die desaströse Intervention der USA im Irak, die seinerseits aus einer eskalierenden Sanktionsspirale resultierte, die bereits vor Beginn der Kampfhandlungen eine Millionen ziviler Opfer forderte – der schleichende Krieg gegen den Iran begonnen.

Was hier beschrieben wurde, der angebliche Aufstieg des Iran zu einer Regionalmacht, war eigentlich etwas anderes. Eigentlich wurde hier der Machtpolitische Abstieg des Westens beschrieben, der sich im Aufstieg neuer Schwellenländer und Allianzen vor dem Hintergrund scheiternder Interventionen in Irak und Afghanistan äußerte. Noch bevor dieser Abstieg des Westens durch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die wenig später zunächst schleichend begann, massiv beschleunigt wurde, fiel der Entschluss, den Aufstieg zumindest eines dieser Schwellenländer gezielt zu unterbinden, somit deren Allianzen zu stören und noch einmal den globalen Führungsanspruch für sich zu behaupten – auch als Signal an die anderen Schwellenländer, die sog. BRICS.

Der militärische Aufmarsch am Golf ist so etwas, wie ein letztes Aufbäumen westlicher Hegemonie. Gerade das macht ihn so gefährlich. Die Idee war, den Iran durch Sanktionen, militärische Drohungen und gezielte Destabilisierung in die Knie zu zwingen. Doch das misslang. Die Niederlage im Irak war deutlicher, als sich das die USA jemals hätten vorstellen können und Afghanistan entwickelt sich in dieselbe Richtung. Hinzu kam wie gesagt die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, sodass Deutschland und Europa nun in China um Geld betteln müssen, damit ihre Währung nicht zerfällt. Selbst der Libyenkrieg, ein begrenzter Krieg gegen ein Land mit 6,5 Mio. Einwohnern in unmittelbarer Nachbarschaft Europas zeigte v.a. die Risse im NATO-Bündnis und wird sich mittelfristig als Niederlage herausstellen. Es zeigt sich jetzt schon, dass die NATO-Staaten nicht einmal die Kapazitäten haben, um hier ernsthaft die Kontrolle zu übernehmen, sie verlieren in ganz Nordafrika ihren Einfluss an die Golf-Diktaturen und werden noch Jahre und Jahrzehnte mit den Folgen dieser Destabilisierung in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu kämpfen haben.

Im Falle der geplanten Intervention in Syrien, die nur eine Vorstufe für den Krieg gegen den Iran ist, können wir nun hingegen beobachten, dass neben China und Russland auch keines der gegenwärtig im Sicherheitsrat vertretenen Schwellenländer, Indien, Südafrika und Pakistan, für den Resolutionsentwurf der NATO-Staaten und ihrer arabischen Verbündeten für die Resolution stimmten, die den Weg für diese Intervention frei machte. Die aufsteigenden Mächte haben der NATO die Gefolgschaft offen aufgekündigt. Sie hat ihren Status als Hegemon bereits verloren. Fraglich ist nur noch, ob das Eingeständnis dessen militärisch, durch einen aussichtslosen Angriff gegen den Iran, oder eben nicht militärisch erfolgt. Beides ist denkbar, ich habe den Truppenaufmarsch beschrieben und auch die Sanktionspolitik gegenüber dem Iran und Syrien entfalten eine gefährliche Eigendynamik. Es gibt jedoch auch Anzeichen für die bessere Lösung. Die Vorsichtigen Andeutungen des US-Präsidenten, den Umfang der Truppen und den Verteidigungshaushalt zu reduzieren, weil man sich mehr um die inneren Angelegenheiten kümmern müsse, haben für US-Verhältnisse auffallend wenig Widerspruch hervorgebracht. Wenn in den nächsten Monaten keine militärische Eskalation – durch einen Unfall oder durch ein unilaterales Vorgehen Israel oder den Irrsinn der verzweifelten – erfolgt und wenn die neuen Mächte standhaft bleiben, wird der Westen seine Ansprüche in der Region aufgeben. Dann und erst dann, wird der Iran eine Aussicht auf Demokratie und Selbstbestimmung haben, die sich die Bevölkerung so sehr verdient haben. Und das wird dann schnell gehen, denn die Menschen sind bereit. Dann steht dem Iran eine goldene Zukunft bevor, die er sich nach dem Leid der vergangenen Jahre auch redlich verdient hat.

20. Februar 2012

Quelle: Website der Autorin: www.sevimdagdelen.de


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