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Ist das Vorgehen des Westens gegen das Atomprogramm Irans gerechtfertigt?

Kontrovers im "neuen deutschland": Debattenbeiträge von Behrouz Khosrozadeh und Knut Mellenthin

Die Islamische Republik Iran ist eines der Sorgenkinder der westlichen Staatengemeinschaft. Was ihre Vertreter auch tun und sagen, ihnen wird nicht geglaubt, dass Irans Atomprogramm nur zivilen Zwecken dienen soll. Hinter dem Programm wird eine militärische Absicht vermutet, die eine potenzielle Gefährdung für den Westen darstellen könnte. Israel, nach offizieller Lesart die »einzige Demokratie« in Nahost und selbst im Besitz von Atomwaffen, fühlt sich durch Iran in seiner Existenz bedroht.

Aus diesem Grund wurde das Land am Persischen Golf mit Sanktionen belegt. Dazu zählt unter anderem ein von der Europäischen Union verhängter Stopp der Ölimporte aus Iran. So soll Teheran gezwungen werden, sein Atomprogramm aufzugeben.

Wir dokumentieren im Folgenden die beiden Debattenbeiträge aus dem "neuen deutschland" im Wortlaut.

Iran braucht keine Nuklearanlagen

Von Behrouz Khosrozadeh *

Seit 2003 dauert der Nuklearstreit zwischen Iran und der internationalen Kontaktgruppe (den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland und der Internationalen Atomenergiebehörde/IAEA) an. Letztere beschuldigt Iran, dass er mit seinem Atomprogramm militärische Ziele verfolgt.

Iran strebt mit dem Programm zwei Hauptziele an. Zum einen geht es um die strategischen Interessen des Landes und zum anderen um die Abwendung externer Bedrohungen für das Regime. Teheran will - verständlicherweise - seine Vormachtstellung am Persischen Golf sowie seinen Status als Regionalmacht im Nahen Osten konsolidieren. Die Frage ist, ob es dafür Nuklearwaffen bedarf.

Ist das Atomprogramm so sinnvoll, dass das Land dafür politische und ökonomische Schäden in Kauf nimmt, eine weltweite Isolation sowie Verarmung? Iran wird von regionalen, Milliarden US-Dollar schweren Großprojekten, etwa Gaspipelines, ausgeschlossen. Gelder, die 15 Millionen Iranern, die laut offizieller Statistik unter der absoluten Armutslinie leben, sowie der kranken Wirtschaft mit einer Armee von Arbeitslosen zugutekommen könnten. Der Ölexport hat seit dem Amtsantritt von Präsident Mahmud Ahmadinedschad 2005 um die Hälfte abgenommen.

Irans Atomprogramm hat keine energiepolitische Bedeutung. Der im vergangenen Jahr in Betrieb genommene Reaktor in Buschehr trägt weniger als drei Prozent zur gesamten Stromproduktion des Landes bei. Die Natururanvorkommen des Landes reichen für etwa zehn Jahre. Es ist also unmöglich, langfristig Kernkraftwerke damit zu versorgen. Damit entfällt Teherans Argument, man wolle sich von ausländischen Uranlieferungen unabhängig machen.

Die Kosten für eine Nuklearanlage sind dreimal so hoch wie die für ein Gaskraftwerk mit gleicher Leistung. Für die Anfertigung einer Atomanlage benötigt Iran technisches Know How des Auslands. Gaskraftwerke können iranische Ingenieure selber bauen. Irans Stromerzeugung wird zu 80 Prozent durch Gaskraftwerke erzielt. Die erschließbaren Gas- und Ölvorräte des Landes reichen für 150 bis 170 (Gas) bzw. 80 bis 100 Jahre (Öl).

Politisch haben sich die Mullahs durch ihr Atomprogramm in eine weltweite Isolation manövriert. Gegen zahlreiche iranische Funktionäre sind durch Beschlüsse des UN-Sicherheitsraten, der USA und der EU Reiseverbote verhängt worden.

Das Argument der iranischen Führung, das Atomprogramm sei eine Sache des nationalen Stolzes, erscheint ebenfalls fragwürdig, da sie sich damit in eine extreme Abhängigkeit von Russland und China begibt. Vor wenigen Wochen wurde im Auftrag des staatlichen iranischen Fernsehens eine Umfrage durchgeführt, nach der 63 Prozent der Befragten für einen Stopp des Nuklearprogramms votierten. Diese Meldung verschwand nach kurzer Zeit in der Versenkung.

Das sicherheitspolitische Argument, Iran werde von umgebenden Nuklearmächten bedroht, erscheint ebenfalls als nicht stichhaltig, da keine dieser Mächte das Land bedroht. Die atomare Aufrüstung des unberechenbaren Regimes, das seit 30 Jahren eine aggressive Außenpolitik betreibt, würde ein Wettrüsten in der Region, vor allem seitens der Türkei und Saudi-Arabiens, nach sich ziehen, während die seit 1967 existierenden israelischen Atomsprengköpfe keinen Nahoststaat sonderlich beunruhigten.

Irans Nukleardiplomatie basiert auf Täuschungsmanövern mit zum Teil wünschenswerten, aber unrealistischen Forderungen. Dadurch sind die endlosen Verhandlungen bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt. Einige der Forderungen sind die nukleare Entwaffnung Israels, freie Wahlen in Bahrain, die Aufhebung aller Sanktionen gegen Iran und bis vor kurzem auch die Beteiligung an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Letzteres ist besonders absurd bei einem Regime, das seine eigene Bevölkerung massiv terrorisiert und zu den größten Förderern des internationalen Terrorismus gehört(e). Es sei nur an das Mykonos-Attentat in Berlin und auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires mit über 100 Toten erinnert.

Sollten die Mullahs in letzter Minute einlenken, weil sie der Aufrechterhaltung ihres Regimes die höchste Priorität einräumen, dann hat sich die verschärfte Sanktionspolitik gegen sie als richtig erwiesen.

Wer an die Rationalität der weltfremden Ayatollahs und die friedliche Natur ihres Atomprogramms glaubt, der verkennt das Wesen eines Regimes, welches gemäß der »Mahdewiyat-Theorie« glaubt, dass die Welt erst in Ungerechtigkeit und Chaos versinken müsse, damit der Erlöser Imam Mahdi wiederkehren kann. Mit Nuklearwaffen beabsichtigen die Mullahs, ihre Herrschaft abzusichern. Die Gefahr einer externen Intervention würde dadurch gebannt und im Inneren könnten sie ihre Widersacher und das Volk ohne Furcht weiter terrorisieren. Insofern ist das Nuklearprogramm von eklatanten Menschenrechtsverletzungen des Regimes nicht zu trennen.

Wer Irans Atomprogramm verharmlost und sich gegen immensen Druck auf das Land - auch militärischen - positioniert, der muss die Konsequenzen einer Atommacht Iran mitverantworten. Dazu zählt zum Beispiel, dass ein Teil der eigenen Bevölkerung Gefahr läuft, wegen einer totalen Blockade und anderer Sanktionen zu verhungern. Außerdem ist ein Erstschlag Teherans zwar wenig wahrscheinlich, aber mitnichten unmöglich. Ein nuklearer Präventivschlag seitens Israels wäre auch nicht auszuschließen. Die Rechnung, das Regime könne sich durch den Besitz von Atomwaffen sicher fühlen, könnte man ohne den Wirt gemacht haben.

* Behrouz Khosrozadeh ist in Iran geboren und arbeitet als freier Publizist in Göttingen.


Erpressungsversuch ohne Rechtsgrundlage

Von Knut Mellenthin **

Nach dem Willen des UN-Sicherheitsrats soll Iran folgende Forderungen erfüllen: Erstens die vollständige und dauerhafte Unterbrechung aller Tätigkeiten, die im weitesten Sinn mit der Urananreicherung zu tun haben. Zweitens die Einstellung aller Arbeiten, die mit dem Bau eines Schwerwasserreaktors in Arak zusammenhängen. Drittens die Anwendung des freiwilligen Zusatzprotokolls, das die Inspektions- und Kontrollrechte erweitert. Viertens die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) bei der »Klärung offener Fragen« aus der Vergangenheit des iranischen Atomprogramms. Fünftens: Verzicht auf die Entwicklung von Mittel- und Langstreckenraketen.

Keine dieser Forderungen ist in vertraglichen Verpflichtungen begründet, die Iran eingegangen ist. Insbesondere ergeben sie sich nicht aus dem internationalen Abkommen über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (Atomwaffensperrvertrag, NPT), sondern stehen teilweise sogar in Widerspruch zu diesem.

Artikel IV des NPT besagt: »Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung (…) die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln.« Das schließt die Anreicherung von Uran in beliebiger Konzentration für die Herstellung von Reaktorbrennelementen, aber auch für alle anderen zivilen Nutzungen ein.

Vertreter Irans haben immer wieder unzweideutig erklärt, dass sie die Produktion von Nuklearwaffen aus religiösen, ethischen, politischen und militärischen Gründen ablehnen. Der oberste religiöse Führer des Landes, Ajatollah Khamenei, hat dies im August 2005 durch eine Fatwa - ein islamisches Rechtsgutachten - bekräftigt. Aber unabhängig davon verbietet der NPT seinen Unterzeichnern in Wirklichkeit nicht, die Fähigkeit zur Produktion von Atomwaffen zu entwickeln. Der Vertrag enthält - in seinem Artikel II - lediglich die Selbstverpflichtung der Unterzeichner, so weit sie nicht ohnehin schon vor dem 1. Januar 1967 Atomwaffen besaßen, solche weder herzustellen (»manufacture«) noch zu erwerben. Yukiya Amanos Vorgänger im Amt des Generalsekretärs der IAEA, Mohammed ElBaradei, schätzte die Zahl der Staaten, die technisch in der Lage wären, in kurzer Zeit Atomwaffen zu bauen, auf 40 bis 50. Unter ihnen sind ganz eindeutig Deutschland und Japan.

Der NPT gestattet darüber hinaus im Artikel X allen Unterzeichnern, sich jederzeit aus dem Vertrag zurückzuziehen, »wenn sie entscheiden, dass außergewöhnliche Ereignisse, die mit dem Gegenstand dieses Vertrages zu tun haben, die höchsten Interessen des betreffenden Landes gefährden«. Der Vertrag sieht kein Verfahren vor, nach dem diese Gründe von irgendeinem Gremium überprüft und bewertet werden müssten oder könnten.

Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass bis heute weder die Herstellung noch der Besitz von Atomwaffen und nicht einmal deren Einsatz durch irgendein internationales Abkommen geächtet sind. Die einzige Atommacht, die sich schon nach ihrer ersten Testexplosion im Oktober 1964 öffentlich verpflichtete, niemals als erste von dieser Waffe Gebrauch zu machen, ist die Volksrepublik China. Die Mitgliedschaft im NPT ist nicht obligatorisch, sondern rein freiwillig.

Gegenwärtig besitzen neun Staaten Atomwaffen. Nur drei von ihnen - die USA, die Sowjetunion als Vorgängerin Russlands und Großbritannien - waren an der Unterzeichnung des NPT am 1. Juli 1968 beteiligt. Frankreich und China hatten gegen das Abkommen so große Bedenken, dass sie ihm erst 1992, 22 Jahre nach seinem Inkrafttreten am 5. März 1970, beitraten. Drei weitere Atommächte - Israel, Indien und Pakistan - haben den Vertrag bis heute nicht unterzeichnet. Über Sanktionen gegen sie wurde im UN-Sicherheitsrat nicht einmal diskutiert.

Im Übrigen enthält der NPT keine Bestimmungen, wie mit Staaten umzugehen ist, denen Verstöße gegen den Vertrag vorgeworfen werden. Die vom UN-Sicherheitsrat gegen Iran, Nordkorea und jahrelang auch gegen Irak betriebenen Verfahren und Strafmaßnahmen haben keine rechtliche Grundlage. Sie stellen lediglich einen improvisierenden, juristisch und politisch höchst fragwürdigen Versuch dieses Gremiums dar, als oberste, scheinbar unanfechtbare Instanz rechtsschöpfend tätig zu werden und sich dabei über bestehende Verträge, darunter eben auch der NPT, hinwegzusetzen.

Kein rational regierter Staat würde sich ohne Not einem solchen erpresserischen Diktat unterwerfen. Alle Versuche, Iran mit Zwangsmitteln zur Akzeptierung von diskriminierenden Sonderregeln zu bringen, die dem für alle Staaten geltenden allgemeinen Recht widersprechen, können nur mit Krieg oder allenfalls mit einem von außen unterstützten gewaltsamen »Regimewechsel« enden.

** Knut Mellenthin ist freier Journalist in Hamburg. Er veröffentlicht regelmäßig zum Nahen und Mittleren Osten.

* Beide Beiträge aus: neues deutschland, Samstag, 28. Juli 2012 ("Debatte")


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