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Drei Deutsche im Iran

Bundestagsabgeordnete auf Tour. Dieter Graumann und ein Journalist sind sehr entrüstet

Von Knut Mellenthin *

Für den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, ist es »ein ganz besonders dreistes Stück der politischen und moralischen Verirrung« und »schauderhaft falsch«: Drei Mitglieder des deutschen Bundestages besuchen derzeit den Iran. Am Samstag abend sind sie in Teheran angekommen, am Donnerstag wollen sie wieder heimwärts fliegen. Um die Menschenrechte soll es bei ihren Gesprächen gehen, aber auch um Kultur. So stünden auch die »Wiedereröffnung des Goethe-Instituts Teheran« und »bessere Arbeitsbedingungen für das Deutsche Archäologische Institut« auf der Tagesordnung, teilte einer der Reiseteilnehmer, Thomas Feist von der CDU, über Facebook mit.

Seine Mitreisenden sind der FDP-Abgeordnete Bijan Djir-Sarai, Vorsitzender der Deutsch-Iranischen Parlamentariergruppe, und Angelika Graf von der SPD. Die Grüne Kerstin Müller hatte ihre Beteiligung »aus privaten Gründen« abgesagt.

Daß die drei Abgeordneten sich im Iran aufhalten, scheint für deutsche Medien zumindest im Moment noch kein Thema zu sein. Auf der anderen Seite wurde am Wochenende überall berichtet, daß eine fünfköpfige Delegation des Europa-Parlaments ihren Flug nach Teheran in letzter Stunde abgesagt hatte. Zu dieser Gruppe hätte auch Cornelia Ernst von der deutschen Partei Die Linke gehören sollen. Wer letztlich entschieden hat, daß der Besuch nicht stattfindet, war auch am Montag noch unklar. Manchen Presseberichten zufolge kam das Kommando vom deutschen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD). Nach anderen Meldungen gab die Delegationsleiterin Tarja Cronberg, eine finnische Grüne, den Ausschlag. Eine Anfrage der jungen Welt bei Cornelia Ernst nach den Hintergründen der Absage blieb unbeantwortet.

Offenbar hatten Schulz und Cronberg am Freitag ultimativ eine iranische Zusicherung verlangt, daß die ¬Delegation eine Besuchserlaubnis bei zwei Oppositionellen – die eine im Gefängnis, der andere unter Hausarrest – erhalten würde. Am Samstag vormittag kam die Antwort des iranischen Botschafters in Brüssel, daß es unmöglich sei, so kurzfristig die geforderte Garantie abzugeben. Es ist zu befürchten, daß die Absage der Euro-Parlamentarier nun in den Medien gegen die drei Bundestagsabgeordneten ausgespielt werden wird, die trotz einiger Querschüsse an ihren Reiseplänen festgehalten haben.

Bisher hat sich allerdings außer Dieter Graumann kaum jemand für deren Iran-Besuch interessiert. Lediglich der Journalist Benjamin Weinthal, der mittlerweile gleichzeitig für Springers Welt, für das Handelsblatt, für die Jerusalem Post und sogar für die britische Nachrichtenagentur Reuters schreibt, versuchte wieder einmal, seine Ein-Mann-Show als Sturm internationaler Entrüstung auszugeben. »Schon vor der Abreise hagelt es Kritik von allen Seiten«, phantasierte er am Mittwoch im Handelsblatt, und orakelte sogar über »diplomatische Verwerfungen zwischen Berlin und den USA«. In Wirklichkeit hatte Weinthal gerade einmal zwei US-Senatoren aus der dritten Reihe dazu gebracht, ihm den O-Ton zu liefern, daß der Besuch »die falsche Botschaft« sende.

Nicht auszuschließen ist freilich, daß deutsche Medien das Thema mit Verspätung doch noch aufgreifen und die drei Bundesabgeordneten mit Schmähungen überhäufen. Treffen könnte es vor allem Thomas Feist. Er ist Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in seiner Heimatstadt Leipzig. DIG-Präsident Reinhold Robbe hatte am Donnerstag öffentlich gefordert, die Reise abzusagen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 30. Oktober 2012


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