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Welche "Einheitsfront"?

Die Führungsmächte des Westens erklären ausdauernd, die "internationale Gemeinschaft" stehe zusammen gegen Iran - eine Behauptung, die der Propaganda dient

Von Knut Mellenthin *

Die Teheraner Abrüstungskonferenz am Wochenende unter dem Motto »Atomenergie für alle, Atomwaffen für niemand!« hat der westlichen Holzhammerpropaganda von der geschlossenen internationalen Einheitsfront gegen Iran weitere Risse zugefügt. Unter den Teilnehmern aus über 60 Ländern, darunter zahlreiche Minister, stellvertretende Minister und Staatssekretäre, überwog eindeutig die Kritik an der Anwendung »doppelter Standards« durch USA und EU.

Vor allem von den anwesenden Regierungsvertretern aus Irak, Libanon, Syrien, der Türkei und von der arabischen Halbinsel wurde die Forderung erhoben, daß Israel dem Atomwaffensperrvertrag beitreten, seine Atomanlagen für internationale Kontrollen öffnen und sein Arsenal an Nuklearwaffen abrüsten muß. Konsens war außerdem unter den Konferenzteilnehmern, daß der Streit um das zivile Atomprogramm Irans durch Diplomatie und Verhandlungen, ohne Androhung oder gar Anwendung von Gewalt, gelöst werden muß.

Indessen heizen die westlichen Mainstream-Medien mit Schlagzeilen wie »Die Welt macht Front gegen Iran« (Leipziger Volkszeitung, 14. April) ebenso permanent wie wahrheitswidrig die Stimmung an. Deutsche Journalisten sprechen von der »internationalen Staatengemeinschaft«, wenn sie in Wirklichkeit lediglich die USA, Israel und die Hauptmächte der EU meinen. Die amerikanische Pro-Israel-Lobby AIPAC behauptete dieser Tage sogar, auf Barack Obamas Atomgipfel habe »die gesamte internationale Gemeinschaft klargemacht, daß die Menschheit keiner dringenderen Aufgabe gegenübersteht, als einen atomar bewaffneten Iran zu verhindern«. Man muß schlußfolgern: Je extremer die »Handlungsoptionen« sind, die einige Staaten und Gruppen gegen Iran befürworten und vorbereiten, umso angestrengter und verlogener sind ihre Bemühungen, ihr spezielles aggressives Anliegen als ein von der gesamten Welt geteiltes auszugeben.

In diesem Zusammenhang ist auch eine hochinteressante Klarstellung zu sehen, die sich US-Kriegsminister Robert Gates in der vorigen Woche während eines Besuchs in Peru entlocken ließ: Die Bedeutung der von seiner Regierung angestrebten neuen UN-Resolution gegen Iran - es wäre mittlerweile schon die vierte - bestehe »weniger in ihrem konkreten Inhalt als in der Isolierung Irans durch den Rest der Welt«. Oder, genauer gesagt: in der publizistischen Produzierung des falschen Eindrucks, Iran sei isoliert.

Die Fiktion einer weltweiten Einigkeit, die durch die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats vorgegaukelt werden soll, dient als Ersatz für die fehlende völkerrechtliche Legitimation der an Iran gerichteten Forderungen. Zugleich soll der ständig beschworene »Schulterschluß der internationalen Gemeinschaft« davon ablenken, daß die westlichen Behauptungen über ein iranisches Streben nach Atomwaffen ohne beweiskräftige Substanz sind. Tatsächlich sind sie noch dünner als seinerzeit die Lügen über Iraks Massenvernichtungswaffen, von denen nach der militärischen Besetzung des Landes 2003 nichts mehr übrigblieb. Aber, so wollen Politiker und Medien dem westlichen Publikum weismachen, wenn »die Welt« sich doch einig ist, daß Iran Atomwaffen baut, muß schließlich etwas dran sein.

Jedoch ist schon die Grundvoraussetzung dieser Propagandathese falsch. Weder Rußland noch China, um bei den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats zu beginnen, machen sich die unbewiesene Behauptung eines heimlichen iranischen Nuklearwaffenprogramms zu eigen. Im Gegenteil: Sowohl russische als auch chinesische Politiker haben wiederholt klargestellt, daß es für diese Unterstellung keine Anhaltspunkte gibt. Folglich betrachten sie den ganzen Konflikt auch nicht mit jenem hysterischen Alarmismus, den insbesondere die USA und Israel zur Schau tragen. Rußland und China sind außerdem keineswegs Befürworter von Sanktionen, auch wenn sie im Falle Irans aus vielfältigen und unterschiedlichen taktischen Gründen mehrere Sicherheitsratsresolutionen mitgetragen haben.

Über die Logik des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, der in einer einzigen Rede verkündet, Sanktionen seien generell nutzlos, aber manchmal notwendig, mag man verständnislos den Kopf schütteln. Aber ganz sicher ist er, anders als seine US-amerikanischen und europäischen Kollegen, nicht gerade ein Vorkämpfer für »lähmende Strafmaßnahmen« gegen Iran. Im Gegenteil hat er, ebenso wie die Chinesen, solche Sanktionen, die in erster Linie die Bevölkerung treffen würden, bisher ausdrücklich abgelehnt.

Im Falle Chinas kommt hinzu, daß dieses Land bis heute selbst Opfer westlicher Sanktionen ist. Das nach den Pekinger Unruhen 1989 von den USA und Westeuropa verhängte Waffenembargo ist immer noch in Kraft, und es schließt auch einige zivile Hochtechnologiegüter ein. China hat also, abgesehen von seinen engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran, auch sehr viel weiterreichende Gründe, Sanktionen nicht nur mit Skepsis, sondern prinziell ablehnend zu betrachten.

Daß Iran keineswegs isoliert ist, kommt vor allem in den Stellungnahmen der Staatengruppe der Bündnisfreien, abgekürzt NAM (Non-Aligned Movement), zum Ausdruck. 118 Länder, also die Mehrheit der 192 Mitglieder der Vereinten Nationen, gehörten diesem regelmäßig tagenden Block an. Das NAM unterstützt Irans Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie, fordert eine Konfliktlösung mit friedlichen Mitteln und tritt für eine atomwaffenfreie Zone im gesamten Nahen Osten ein. Einzige Nuklearmacht der Region ist Israel. Diese Tatsache wird durch die Hetzkampagne gegen Iran immer mehr zum Diskussionsthema.

* Aus: junge Welt, 20. April 2010


Dementi des US-Kriegsministers: Kein Weckruf **

US-Kriegsminister Robert Gates (Foto) hat die Existenz eines geheimen Memorandums zum Iran-Konflikt bestätigt, über das die New York Times am Sonnabend berichtet hat. Gates bestritt aber die Darstellung des Blattes, es habe sich bei dem Papier, das er im Januar an die Regierung gerichtet hatte, um einen »Weckruf« gehandelt. Der New York Times zufolge hatte der Pentagon-Chef davor gewarnt, daß die USA planerisch und praktisch auf Militärschläge gegen Iran unzureichend vorbereitet seien.

In seiner dem folgenden Gegenstellungnahme vom Sonntag (18. April) erklärte Gates: »Das Memo war weder als 'Weckruf' gemeint noch wurde es vom Team des Präsidenten für die nationale Sicherheit so verstanden. Es präsentierte vielmehr eine Reihe Fragen und Vorschläge, die zu einem ordentlichen, rechtzeitigen Entscheidungsprozeß beitragen sollten. Es darf bei unseren Verbündeten und Gegnern keine Unklarheit bestehen, daß die Vereinigten Staaten angemessen und energisch auf diese Frage konzentriert und darauf vorbereitet sind, zur Durchsetzung unserer Interessen im Rahmen einer großen Bandbreite von Eventualitäten zu handeln.«

Auch ein Sprecher des Weißen Hauses, Ben Rhodes, dementierte: »Es ist absolut falsch, daß irgendein Memo eine Neueinschätzung unserer Optionen angesprochen habe. Die Regierung ist schon seit vielen Monaten mit der Planung für alle Eventualitäten hinsichtlich Irans befaßt.«

Auf der anderen Seite nahm Obamas Gegner im Präsidentenwahlkampf 2008, John McCain, den Bericht der New York Times zum Anlaß, um der Regierung wieder einmal vorzuwerfen, sie habe gegenüber Iran keine »kohärente Politik«. »Wir haben nichts getan, was in irgendeiner Weise als wirkungsvoll angesehen werden könnte«, klagte der führende Außenpolitiker der Republikaner beim Sender Fox News, einem Sprachrohr der Neokonservativen. Jetzt müßten harte Sanktionen in Gang gesetzt werden. »Und dann müssen wir Pläne für alle Eventualitäten machen, die folgen, wenn diese Sanktionen nicht wirken.« (kt.)

** Aus: junge Welt, 20. April 2010


Iran will verhandeln

Teheraner Initiative zur Fortsetzung der Gespräche über Beschaffung von Nuklearbrennstoff für zivile Zwecke

Von Knut Mellenthin ***


Iran will die seit Monaten festgefahrenen und praktisch eingestellten Verhandlungen über ein nukleares Tauschgeschäft wieder in Gang bringen. Das kündigte Außenminister Manuchehr Mottaki am Sonntag an. Teheran will zu diesem Zweck direkte Gespräche mit 14 der 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats aufnehmen. Nur der Kontakt zu den USA werde zunächst indirekt verlaufen, sagte Mottaki.

Das Tauschgeschäft war im Oktober vorigen Jahres von der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) vorgeschlagen worden. Anlaß war die Bitte Irans an die Behörde, bei der Beschaffung von neuem Nuklearbrennstoff für einen Reaktor in Teheran behilflich zu sein. In der Anlage, die dem Iran zur Zeit der Schah-Herrschaft von den USA geschenkt worden war, werden Isotope für die Behandlungen von Krebspatienten hergestellt. Zum Betrieb des Reaktors ist Uran erforderlich, das auf 19,75 Prozent angereichert ist. Die Brennplatten, die Iran 1993 von Argentinien gekauft hatte, werden voraussichtlich in diesem Jahr verbraucht sein.

Da die Lieferung dieses Brennstoffs ausschließlich zivilen Zwecken dienen würde und kein militärisches Risiko enthält, müßte es dem Iran nach dem Atomwaffensperrvertrag ohne weiteres erlaubt sein, das Material auf dem internationalen Markt zu kaufen. Statt dessen schlug die IAEA einen Ringtausch vor. Demnach soll Iran einen erheblichen Teil - 75 oder sogar 80 Prozent - seiner Vorräte an schwach angereichertem Uran an Rußland liefern. Dort soll es höher angereichert und anschließend nach Frankreich zur Weiterverarbeitung in Metallplatten transportiert werden. Iran müßte also zunächst in Vorleistung treten und anschließend mehrere Monate oder sogar ein ganzes Jahr auf die Lieferung des Brennstoffs warten.

Deshalb stieß der IAEA-Vorschlag, dem eine iranische Verhandlungsdelegation zunächst »im Prinzip« und mit Vorbehalt zugestimmt hatte, in der iranischen Öffentlichkeit und bei Oppositionspolitikern auf starke Kritik. Ein wesentlicher Hintergrund ist die durch viele negative Erfahrungen genährte Furcht, wieder einmal betrogen zu werden. Iran verlangte deshalb, in technische Detailverhandlungen über das Tauschgeschäft einzutreten. Diese sollten vor allem sicherstellen, daß im Gegenzug gegen die Abgabe des schwach angereicherten iranischen Urans wirklich auch die Brennplatten geliefert werden. Um das zu gewährleisten, schlug Iran einen gleichzeitigen Austausch, möglicherweise auch in mehreren Schüben, vor. Diese Transaktion könnte beispielsweise auch auf türkischem Boden durchgeführt werden, da Iran zu diesem Nachbarstaat gute Beziehungen hat.

Indessen verweigern USA und EU alle Verhandlungen über die Modalitäten des Tauschgeschäfts. Rußland und China haben diese Taktik bisher widerspruchslos mitgetragen, ohne Vermittlungsversuche zu unternehmen. Iran hat daher gezwungenermaßen begonnen, selber Uran auf den erforderlichen Anreicherungsgrad zu bringen. Ob Teheran jetzt neue Vorschläge ins Spiel bringen will, ging aus Mottakis Ankündigung nicht hervor.

*** Aus: junge Welt, 20. April 2010


Schlechte Chancen für lähmende Sanktionen

Die USA bauen darauf, international harte Maßnahmen gegen Teheran durchzusetzen. Peking schließt unterdessen neue Handelsverträge

Von Knut Mellenthin ****


Beim Senatshearing am vorigen Mittwoch (14. April) gab sich William Burns, Staatssekretär im amerikanischen Außenministerium, seiner Sache sicher. Auf die Frage, ob er glaube, dass China im UN-Sicherheitsrat neuen Sanktionen zustimmen werde, antwortete er militärisch knapp: "Yes, Sir, I do." - Er hoffe, dass das nur noch eine Frage von wenigen Wochen sei, fuhr Burns fort. Er setzte aber hinzu, es werde "sehr schwierig" werden, China und Russland eine Zustimmung zu Strafmaßnahmen abzuringen, die Iran von allen Benzin-Lieferungen abschneiden würden.

Irans Erdöl-Vorkommen gehören zwar zu den größten der Welt, aber wegen fehlender eigener Kapazitäten muss es einen erheblichen Teil seines Bedarfs an Treibstoff und anderen Raffinerieprodukten - nach einigen Schätzungen bis zu 40 Prozent - einführen. Diese Importe zu stoppen, vielleicht sogar durch eine militärische Seeblockade, steht daher schon lange im Zentrum westlicher Pläne für "crippling sanctions", lähmende Sanktionen. Weder China noch Russland zeigen in diesem Punkt bisher Diskussionsbereitschaft.

Mehr noch: Westlichen Medien zufolge haben staatlich geführte chinesische Unternehmen in letzter Zeit ihre Benzin-Lieferungen in den Iran massiv gesteigert und neue Verträge abgeschlossen. Sie riskieren damit erhebliche Nachteile auf dem US-Markt. Angeblich handelt es sich um die ersten chinesischen Benzin-Verkäufe an den Iran seit mindestens Januar 2009. China springt jetzt offenbar für eine ganze Reihe internationaler Konzerne ein, die sich unter amerikanischem Druck aus dem Iran-Geschäft zurückgezogen haben. Zuletzt war es in diesem Monat die staatliche Erdölgesellschaft Malaysias, die die Einstellung ihrer Benzinexporte seit Mitte März bekannt gab. Davor hatte schon Lukoil, die Nummer Zwei unter Russlands Ölkonzernen, die Benzinverkäufe an Iran eingestellt. Ihnen vorausgegangen waren unter anderem die Royal Dutch Shell, Glencore und Vitol. Iranische Sprecher aus Politik und Wirtschaft äußern sich dennoch zuversichtlich, durch Rationierungsmaßnahmen und Ausbau der eigenen Raffinerieanlagen selbst einen totalen internationalen Lieferboykott durchstehen zu können.

Ein solcher ist aber nicht in Sicht. Die Chancen der USA, noch im laufenden Monat, wo Japan den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat führt, einen Sanktionsbeschluss zustande zu bekommen, gelten als äußerst gering. Im Mai führt Libanon, das gute Beziehungen zum Iran pflegt, den Ratsvorsitz. Mit einer Resolution wird deshalb frühestens im Juni gerechnet. Aber auch dann würden Russland und China, die ein Veto-Recht haben, voraussichtlich keine "lähmenden Sanktionen" mittragen. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass der US-Kongress die Obama-Administration zu einem raschen Alleingang zwingt. Rund 80 Prozent der Abgeordneten und Senatoren haben sich in der vorigen Woche in einem Brief an den Präsidenten hinter eine entsprechende Forderung der Pro-Israel-Lobby AIPAC gestellt.

**** Aus: junge Welt, 20. April 2010


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