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EU schadet sich selbst

Boykott gegen Iran wird offiziell als souveräner Kraftakt gefeiert. Tatsächlich trifft er weniger Teheran als die lahmenden Volkswirtschaften Europas

Von Rainer Rupp *

Die Europäische Union hat ein weiteres Embargo gegen Teheran verhängt. Iranische Banken sollen vom internationalen Geschäft ausgeschlossen und die Öleinfuhren aus dem Land gestoppt werden. Westeuropa beugt sich damit dem Druck aus Israel, Washington und der zionistischen Lobby in den eigenen Regierungen. Allerdings handeln die Verantwortlichen gegen die Interessen der eigenen Volkswirtschaften. Die Maßnahme dürften die ohnehin hohen Benzin- und Energiekosten weiter ansteigen lassen und viele Firmen empfindlich treffen. Das alles geschieht bei drohender beziehungsweise bereits eingetretener Rezession in zahlreichen EU-Mitgliedsländern.

Problematisch wird das für Griechenland, das etwa zwei Drittel seines Öls zu recht günstigen Preisen aus dem Iran importiert. Fast scheint es, daß Athen von Brüssel bereits abgeschrieben ist, denn die boykottwütigen EU-Außenminister behandelten das Problem als Lappalie – ein alternativer Versorger werde sich schon finden lassen. Sollte das mehr kostet, dann werden die europäischen Steuerzahler wieder zur Kasse gebeten. Auch Italien ist stärker als andere von Ölimporten aus Iran abhängig. Daher setzt das Embargo – anders als die Maßnahmen gegen die iranischen Banken – nicht sofort ein, sondern ab 1. Juli, damit den betroffenen Ländern Zeit zur Umstellung auf andere Lieferanten bliebt.

Saudis springen ein

Der religiös-ideologische Gegner Irans, die nur unter massivem US-Schutz überlebensfähige mittelalterliche Regierung Saudi Arabien, hat sich bereiterklärt, iranisches Öl durch saudisches zu ersetzen. Die Förderkapazitäten dazu sind vorhanden, und fünf Monate Vorlauf dürften ausreichen.

Allerdings ist da die Straße von Hormus, jenes Nadelöhr, das mit saudischem Öl gefüllten Tanker auf ihrem Weg nach Asien oder in den Westen passieren müssen. Falls die – wie vom Iran angekündigt – als Vergeltungsmaßnahme für den Boykott geschlossen würde, wäre die Versorgungskrise akut. Das würde sich nicht nur in noch viel höheren Öl- und Energiepreisen niederschlagen, sondern könnte zu massiven Produktionsausfälle führen, falls es den USA nicht gelingen sollte, den Engpaß aus dem Golf wieder zu öffnen, bevor die Ölvorräte in den strategischen Lagern der großen Industrieländer zur Neige gehen.

Nachdem jetzt auch der chinesische Präsident Iran vor einer Blockierung der Meerenge gewarnt hat, ist zwar kaum anzunehmen, daß es zu einer absichtlichen Sperrung durch Teheran kommen wird. Aber die hohe Konzentration militärischer Kapazitäten im Golf und das martialische Säbelrasseln – dort belauern sich die US- und die iranischen Seestreitkräfte inzwischen auf Sichtweite – wächst die Wahrscheinlichkeit, daß es durch Fehlinterpretationen, Überreaktionen oder unglückliche Umstände zu Kampfhandlungen kommt. In deren Folge müßte zumindest mit einer Verminung des Zugangs zum Golf gerechnet werden. Allein diese Unwägbarkeiten sorgen bereits jetzt für einen höheren Ölpreis auf den internationalen Märkten, die sich zuvor eher durch schwache Nachfrage infolge der lahmen wirtschaftlichen Entwicklung in den westlichen Industrieländer auszeichnet hatten.

Die kurzsichtige Boykottentscheidung in Brüssel wurden erwartungsgemäß von Washington und Tel Aviv begrüßt. Das war’s jedoch, denn EU, USA und Israel, die sich selbst gerne als »internationale Gemeinschaft« bezeichnen, stellen sich klar gegen den Rest der Welt. Rußlands Außenminister Sergej Lawrow verurteilte postwendend die EU-Sanktionen als »wenig hilfreich«. China hat die Maßnahmen von EU und US-Regierung in deutlicher Sprache abgelehnt. Die Volksrepublik ist einer der Hauptabnehmer iranischen Öls. Zugleich investiert sie stark in gemeinsame Energieprojekte und arbeitet auch auf anderen Gebieten eng mit Teheran zusammen.

Auch Indien beugt sich diesmal nicht dem Druck der USA und will weiter Öl aus dem Iran importieren und mit dessen Banken Geschäfte machen. Selbst das NATO-Land Türkei sperrt sich und will sich nur Sanktionen anschließen, die von der UNO beschlossen wurden. Japan und Südkorea sind noch unentschlossen. Einerseits stehen deren Regierungen unter enormem politischen Druck Washingtons, anderseits wächst der innenpolitische Protest gegen deren Gehorsam gegenüber US-Befehlen.

Wenig wirksam

Da die tatsächliche internationale Gemeinschaft den Sanktionen nicht folgt, sind die Erfolgsaussichten auch bescheiden. Insbesondere das Hauptziel der Maßnahmen, nämlich das iranische Bankensystem vom Rest der Welt abzuschneiden und somit Importe und Exporte so gut wie unmöglich zu machen, wird verfehlt. Zudem hatte Iran ausreichend Zeit, seine im Westen vorhandenen Konten zu schließen, lange bevor die EU am Montag ihren Beschluß zu deren Einfrieren faßte. Bereits 2008, als schon einmal solche Sanktionen drohten, hatte Iran Guthaben von umgerechnet 75 Milliarden Dollar aus Europa abgezogen. Laut dem iranischen Vizeaußenminister Mohsen Talaie hat sein Land auch jetzt rechtzeitig die Restguthaben bei europäischen Banken in Gold und Wertpapiere umgewandelt und bei Geldhäusern in Asien deponiert. Die Schweizer Zeitung Der Bund berichtete dazu, daß Teheran in jüngster Zeit insgesamt 700 Tonnen Gold aus Europa abgezogen habe.

Iran hat 2011 Güter im Wert von umgerechnet 14,6 Milliarden Dollar aus der EU importiert. Das ist eine Lücke, welche die asiatischen Länder nur zu gerne füllen werden. Der Kniefall der europäischen Regierungen kostet die sieche europäische Wirtschaft nicht nur Milliarden an Exportverlusten sondern auch Zigtausende von Arbeitsplätzen. Teheran dürfte dagegen kaum Probleme haben, bei den boomenden asiatischen Volkswirtschaften neuen Abnehmer für das Öl zu finden, das bislang nach Europa floß.

* Aus: junge Welt, 25. Januar 2012


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