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Nun beginnt der Streit um Sanktionen

Heute läuft die Frist ab, die der UN-Sicherheitsrat Iran zur Aussetzung seines Atomprogramms gesetzt hat

Von Olaf Standke *

Die gestrigen (30. Aug.) Reaktionen auf die Antwort aus Teheran waren so voraussehbar wie Irans Antwort auf das heute (31. Aug.) ablaufende Ultimatum des Weltsicherheitsrats selbst.


»Nicht zufriedenstellend« nannte Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin am Mittwoch (30. Aug.) die iranische Haltung. Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte die Einstellung der umstrittenen Urananreicherung abgelehnt. Die »Washington Post« wusste zu berichten, dass iranische Wissenschaftler unmittelbar vor Ablauf der UN-Frist sogar damit begonnen hätten, eine neue Charge zu bearbeiten, wie Inspektoren der Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) heute bekannt geben wollen. So klein und wenig angereichert die Ladung auch sei, zeige dieser Schritt doch, dass sich Teheran nicht beugen wolle.

Während Paris betonte, dass die internationale Gemeinschaft zwar »vereint und fest« bleiben, dabei aber die »Möglichkeit des Dialogs offen halten« müsse, haben die USA ihre Forderung nach sofortiger Bestrafung bekräftigt. Der Weltsicherheitsrat habe keinen Zweifel daran gelassen, dass bei einer Weigerung »Sanktionen folgen würden«, sagte UN-Botschafter John Bolton. In der Resolution werden im Falle eines Neins Teherans »angemessene Maßnahmen nach Kapitel VII, Artikel 41 der UN-Charta« angekündigt.

Dabei geht es allein um diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen. Im Gespräch sind Reise- und Visabeschränkungen, das Einfrieren von Bankguthaben und ein Lieferverbot für Rüstungsgüter und Hochtechnologie. Einen Ölboykott planen auch die USA mit Blick auf die eigene Wirtschaft nicht. Dafür drängen die Neokonservativen in Washington verstärkt auf militärische Reaktionen. Entsprechende Planungen liegen längst vor, und mit der Stationierung einer internationalen Truppe in Südlibanon wurden auch die Europäer in künftige Frontstellungen einbezogen.

Eigentlich könnte der Weltsicherheitsrat Sanktionen schon am Freitag beschließen. Der Atomstreit mit Iran soll nach Angaben des britischen UN-Botschafters Emyr Jones Parry aber erst wieder Mitte September auf der Tagesordnung in New York stehen. Parry geht davon aus, dass es in der Zwischenzeit eine »weitere Diskussionsperiode« der unmittelbar beteiligten Staaten geben werde.

Ob überhaupt und – wenn ja – welche Sanktionen am Ende der Debatte stehen, ist offen; denn die beiden Vetomächte Russland und vor allem China haben kein Interesse an Handelsbeschränkungen, von denen sie als wichtige Wirtschaftspartner Irans ebenfalls betroffen wären. Zumal Ahmadinedschad mit seinem Vorwurf, Washington und London würden die Vereinten Nationen für ihre eigenen Ziele instrumentalisieren, zwar die Legitimität von Resolutionen des Sicherheitsras erneut in Zweifel zog, zugleich jedoch »ernsthafte Gespräche« anbot. Die eigene Reaktion auf das Angebotspaket der fünf UN-Vetomächte und Deutschlands für einen Stopp der Urananreicherung biete eine »außergewöhnliche Möglichkeit, sämtliche Fragen zu regeln«.

Schon gestern (30. Aug.) traf sich der chinesische Außenamtschef Li Zhaoxing in Peking mit dem iranischen Vize-Außenminister Abbas Araghchi. Beide sprachen sich nachdrücklich für eine »zufriedenstellende Lösung auf dem Wege diplomatischer Diskussionen« aus. Auch der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), hält baldige Sanktionen für unwahrscheinlich, selbst wenn die USA das Thema im UN-Sicherheitsrat vorantrieben. Wichtiger sei, dass die bisherige Sechser-Koalition gegen Iran (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien, Deutschland) zusammenhalte.

Insofern liege eine »geschickte iranische Antwort« vor, wie die konservative Pariser Tageszeitung »Le Figaro« am Mittwoch schrieb. »Sie reicht aus, um Streit zwischen den Großmächten zu säen«, und verschaffe Teheran Zeit, um seine Zentrifugen weiter arbeiten und so die Möglichkeiten zum Bau einer eigenen Atombombe näher rücken zu lassen.

Genau dieses Ziel hat Präsident Ahmadinedschad erneut bestritten. Nach dem Atomwaffensperrvertrag, zu dessen Erstunterzeichnern Teheran gehört, darf Iran Kernenergie zivil nutzen und dafür Uran anreichern. Je nach Grad dieser Anreicherung ist aber auch eine militärische Nutzung möglich. Für den Betrieb von Leichtwasserreaktoren wird eine U-235-Konzentration von drei bis fünf Grad benötigt. Für den Bau von Atombomben ist 90-prozentiges U-235 erforderlich. Im Uranerz ist das spaltbare Uran-235 nur zu 0,7 Prozent enthalten. Um es vom großen Rest des nicht spaltbaren U-238-Isotops zu trennen, braucht man sehr viele hintereinander geschaltete Zentrifugen mit bis zu 70 000 Umdrehungen pro Minute.

Mit dem Verschweigen von »bestimmten Materialien und Aktivitäten« (IAEO), dem Geständnis, schon waffentaugliches Plutonium produziert zu haben, den Bemühungen um pakistanische Bauanleitungen für Atomwaffen, mit verweigerten Kontrollen, aber auch verbalen Ausfällen gegen Israel hat Iran in den Augen des Weltsicherheitsrats den Verdacht geschürt, eine Nuklearbewaffnung anzustreben. Die Idee komplexer Problemlösungen bis hin zur Schaffung einer kernwaffenfreien Zone im Nahen Osten und weitreichenden Sicherheitsgarantien für Iran erwuchs daraus nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2006


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