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Iranische Machtfragen

In der islamischen Republik tobt der Kampf zwischen Ajatollah Khamenei und Präsident Ahmadinedschad. Es geht um die politische Ausrichtung des Landes.

Von Karl Grobe *

Irans Parlament hat den Präsidenten vorgeladen. Mahmud Ahmadinedschad soll Rede und Antwort stehen, weshalb es Probleme bei der Finanzierung der U-Bahn in der Hauptstadt gibt. Da gebe es auch noch „einige andere ungeklärte Fragen“, lässt die konservative Fraktion am Montag verlauten. Die technische – und lokale – Frage der Teheraner Untergrundbahn ist ein Vorwand. Allerdings war Ahmadinedschad schon mal Bauherr: Er war Teheraner Bürgermeister, bevor er Präsident wurde. Damals und in seiner ersten Amtszeit erfreute er sich des Wohlwollens der Kleriker. Revolutionsführer Ali Khamenei, der geistliche Führer, hat Ahmadinedschad zum weltlichen Führer machen lassen.

Auch vor zwei Jahren noch. Die Wahl war so manipuliert, dass sich eine mächtige Opposition bildete. Diese „Grüne Bewegung“ haben Ahmadinedschads Getreue, die Revolutionsgarden (Pasdaran) und die paramilitärischen Bassidsch, mit roher Gewalt zusammenschlagen lassen. Mit ausdrücklichem Wohlwollen des geistlichen Führers. Doch der hat den Garden und den Bassidsch seine Gunst entzogen. Das bekommt Ahmadinedschad jetzt zu spüren.

Anfang voriger Woche steckte er an einem einzigen Tag drei schallende Ohrfeigen ein. Das Parlament startete erstens ein Amtsenthebungsverfahren gegen Außenminister Ali Akbar Salehi, lehnte zweitens die Ernennung eines von Ahmadinedschad nominierten Sport- und Jugendministers ab und stimmte drittens des Präsidenten Plan nieder, Erdöl- und Industrieminister zusammenzulegen. Schon seit dem Frühjahr sind prominente Ahmadinedschad-Anhänger verhaftet worden. Der routinemäßige Vorwurf: Steuervergehen. Viele sind von sich aus abgesprungen. Der Mann kann sie ja nicht mehr schützen. Er kann nicht für eine weitere Amtszeit gewählt werden. Der geistliche Führer aber bleibt. Der gedenkt den weltlichen Regierungschef nicht auszusitzen. Er sorgt dafür, dass dessen Basis in der Gesellschaft zerfällt.

Zum Teil entspinnt sich die Auseinandersetzung in einem Bereich, den als ideologisch zu kennzeichnen der Sache recht nahe kommt. Khamenei und die auf ihn eingeschworenen Politiker, Publizisten und Verwaltungsleute hängen ohne Wenn und Aber der Linie an, die von Ajatollah Ruhollah Khomeini definiert worden ist, als er sich noch im Zwangs-Exil aufhielt. Das politische Kernstück heißt Velayat-e faghih, „Herrschaft des Rechtsgelehrten“. Der angesehenste unter den erlauchten Geistlichen, welche den Titel Ajatollah führen dürfen, ist zur Macht berufen. Von der traditionellen Lehre der schiitischen Konfession im Islam weicht das entschieden ab. Die schließt die direkte Machtausübung aus; die Geistlichen sollen über die Einhaltung der islamischen Gesetze wachen, aber keineswegs selber regieren.

Khamenei hingegen beaufsichtigt nicht nur – er herrscht. Obwohl über seine Qualifikation gestritten wurde, als er die Nachfolge Khomeinis antrat, hat er dessen Amtsauffassung und Machtfülle geerbt. Sein politischer Glaubenssatz umfasst zwei Worte: Islamischer Iran.

Ahmadinedschad hingegen (der anders als seine Vorgänger kein Geistlicher ist) sucht und findet seine Basis in der Gesellschaft. Es sind die Armen, die Slumbewohner, die benachteiligten Klassen; ihnen hat er Zuwendungen und Unterstützungsleistungen zukommen lassen, aber ihren Status nicht verbessert. Zweite Stütze sind die Revolutionsgarden. In deren Reihen hat er selber gedient. Und nach dem blutigen Sieg über die „Grüne Bewegung“ des städtischen Mittelstands 2009 sind sie noch mehr zum Machtfaktor geworden, als sie es ohnehin waren. Ihre Macht ist weltlich.

Die Präsidenten-Berater und Ahmadinedschad selber haben den Nationalismus als Leitidee entdeckt. Schiitische Konfession, zweieinhalb Jahrtausende alte Kultur – Intellektuelle lassen sich schon mal eher abfällig über „die Araber“ aus, die vor erst 1300 Jahren den Koran nach Persien gebracht und den historischen und kulturellen Rang der Unterworfenen gar nicht begriffen hätten. Auch hier zwei Stichworte: Iranischer Islam.

Es fällt auf, wie sehr sich die Präsidenten-Fraktion in den vergangenen Monaten dieser Lesart annähert. Das hat den Ajatollah Mohammed Yazdi in hellen Zorn versetzt. Yazdi galt einmal als Ahmadinedschads geistliche Bezugsperson. Nun aber schimpft er: „Wir kennen die Ziele derjenigen, die offiziell die religiösen Führer beleidigen und lobende Kommentare über die Musik machen ... Sie wollen die iranische Ideologie gegen die islamische Ideologie in Stellung bringen.“ So zitierte ihn die unabhängig-kritische Internet-Seite Rooz.

Die Beschimpfungen gehen weiter. Ziel ist dieser Tage vor allem Esfandiar Rahim Maschai, ein enger Vertrauter Ahmadinedschads und vielleicht dessen Favorit für die Amtsnachfolge. Der – behaupten klerikale Stimmen – unterhalte Kontakte mit „Besessenen und Dämonen“; der betreibe Hexerei. In Freitagspredigten rufen sie Khamenei auf, endlich gegen diese „Aufwiegler“ und „Abweichler“ einzuschreiten. Ein Beleg dafür, dass der Machtkampf innerhalb der dünnen herrschenden Clique ernst ist.

* Aus: Frankfurter Rundschau, 29. Juni 2011


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