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Gefangene schwer misshandelt

Iranischer Oppositionspolitiker prangert Vergewaltigung von verhafteten Demonstranten an *

Der iranische Oppositionsführer Mehdi Karrubi hat schwere Misshandlungen regierungskritischer Demonstranten angeprangert. Wegen des Prozesses gegen Oppositionelle haben indes die Wortwechsel zwischen Iran und westlichen Staaten, besonders Frankreich, an Schärfe zugenommen.

In Iran sind inhaftierte Regierungsgegner nach Angaben von Oppositionsführer Mehdi Karrubi brutal misshandelt worden. Karrubi zitierte am Montag (10. Aug.) auf seiner Webseite entlassene politische Häftlinge, die angaben, junge weibliche Gefangene seien schwer vergewaltigt worden. Ebenso sei es jungen männlichen Häftlingen ergangen, heißt es in einem Brief an den früheren Präsidenten Akbar Haschemi Rafsandschani.

Der sexuelle Missbrauch habe zu Depressionen und schwerwiegenden psychologischen Problemen bei den Opfern geführt, heißt es in dem Brief an Rafsandschani. Der iranische Polizeichef Ismail Ahmadi-Mokaddam bestätigte, dass Gefangene in einem Gefängnis missbraucht worden seien. Einige Beamte hätten sich nicht an die Vorschriften gehalten. Der Polizeichef sagte, der Direktor des Gefängnisses im Süden von Teheran sei festgenommen und entlassen worden. Auch zwei Wärter seien gefeuert worden. Der iranische Generalstaatsanwalt Ghorban-Ali Dorri-Nadschafabadi bestätigte die Missbrauchsvorwürfe ebenfalls.

Bei Protesten gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad am 12. Juni waren mehr als 1000 Demonstranten und Oppositionsanhänger festgenommen worden. Mindestens 20 Personen wurden getötet. Die Opposition erkennt die Wahl nicht an und spricht von Betrug. Aus Sorge vor neuen Protesten will Rafsandschani nicht das nächste Freitagsgebet in der Teheraner Universität leiten, wie die Agentur Fars meldete.

Unterdessen wies die iranische Führung die EU-Kritik wegen des Massenprozesses gegen Regierungsgegner scharf zurück. Auf der Anklagebank sitzen auch zwei Mitarbeiter der britischen und der französischen Botschaft und eine französische Sprachlehrerin. Außenamtssprecher Hassan Ghaschghawi sagte am Montag vor Reportern in Teheran, die Verfahren seien »interne juristische Angelegenheit« Irans und nicht Sache der EU. Namentlich kritisierte Ghaschghawi den schwedischen Außenminister Carl Bildt, der von einer Herausforderung für die gesamte EU gesprochen hatte. Schweden hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. »Diese Bemerkung, dass ein rechtmäßiger Prozess in einem Land gleichzeitig 27 andere Staaten herausfordert, spottet jeder juristischen Logik«, sagte Ghaschghawi.

Auch im Atomstreit schlug der Sprecher einen harten Ton an. »Wir sind nicht gegen Verhandlungen, aber wir erlauben den Weltmächten nicht, uns mit Fristen unter Druck zu setzen«, so Ghaschghawi.

Frankreich hat vor allzu großer Zuversicht in Bezug auf eine schnelle Freilassung der inhaftierten EU-Bürger gewarnt. Sicherlich gebe es Hoffnung, dass die 24 Jahre alte französische Sprachlehrerin Clotilde Reiss aus dem Gefängnis komme, sagte der französische Außenminister Bernard Kouchner der Tageszeitung »Le Parisien« vom Montag. »Aber wann? Darüber weiß ich leider nichts.«

Von der Anhörung von Reiss und der Botschaftsmitarbeiterin Nazak Afshar am Samstag (8. Aug.) sei das Außenministerium in Paris überrascht worden. Das Verfahren sei ein Spektakel. Weiter wolle er sich nicht dazu äußern. Kouchner betonte, sowohl Reiss als auch die Franko-Iranerin Afshar seien nicht nur Franzosen, sondern auch EU-Bürger. Deswegen gebe es auch eine EU-Forderung nach Freilassung.

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2009


Fragezeichen

Von Roland Etzel **

Was da aus Teheraner Gefängnissen bekannt wurde, ist skandalös. Und obwohl auch diese üblen Geschichten von Ahmadinedschads Gegnerschaft politisch instrumentalisiert werden - für derartige Scheußlichkeiten kann es keinerlei Rechtfertigung geben. Dass aus so vielen Ländern Protest kommt, kann den Gefangenen aber helfen.

Dass Teheraner Verliese, vor allem das Evin-Gefängnis, für politische Häftlinge der Vorhof zur Hölle sein können, ist allerdings trauriger Normalzustand - seit mehr als 50 Jahren. Hier ließ der Schah in den 60er/70er Jahren von seinem Geheimdienst Savak Tausende politische Gegner zu Tode quälen, sehr viele davon Kommunisten der Tudeh-Partei. Im Westen interessierte das gar nicht, aber auch die kommunistischen »Bruder«-Parteien blieben schändlicherweise so gut wie stumm.

Als der Pfauenthron 1979 stürzte und die Ayatollahs die Macht übernahmen, änderte sich sehr vieles. Eines aber nicht: Politische Gegner landeten auch jetzt im Gefängnis, wurden malträtiert und massakriert. Und die jetzigen vermeintlichen Ikonen des Protestes, wenn nicht gar der Demokratie in Iran - Karrubi, Mussawi und Rafsandschani - hatten damals in den 80er und 90er Jahren höchste Staatsämter inne. Es sollte also erlaubt sein, hinter die politische Redlichkeit der erwähnten Herren, vor allem aber der westlichen Proteste kleine bis größere Fragezeichen zu setzen. An der Scheußlichkeit der Verbrechen ändert diese Anmerkung gar nichts.

** Aus: Neues Deutschland, 11. August 2009 (Kommentar)


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