Alarmierende Rechenspiele
Medien liefern Fehlinterpretationen des neuen IAEA-Berichts über Iran
Von Knut Mellenthin *
Seit Freitag (24. Feb.) ist der
jüngste Iran-Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im Internet zugänglich. Nach dem Reglement der in Wien ansässigen UN-Behörde hätte das elf Seiten umfassende Dokument eigentlich bis zu seiner Behandlung auf der nächsten Vorstandssitzung am 5. März vertraulich bleiben müssen. Es ist jedoch schon seit Jahren üblich, daß die Berichte gezielt an bestimmte Personen weitergereicht werden, sobald sie fertig sind.
Die Onlineausgaben der meisten Mainstreammedien behaupteten sofort, der neue Bericht sei »alarmierend« und enthalte »schwere Vorwürfe«, wie es im Spiegel hieß. Die New York Times kommentierte hoffnungsvoll, daß der Report »wahrscheinlich die Diskussion weiter entflammen« werde, ob Iran kurz vor der Erlangung einer irreparablen Atomwaffenfähigkeit steht, wie israelische Politiker unablässig behaupten.
Hervorgehoben wurde in den meisten Medien vor allem die angeblich im IAEA-Bericht enthaltene Aussage, Iran habe seine Kapazität für die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent verdreifacht. Das steht jedoch nirgendwo in dem Papier, sondern ist das Ergebnis von fragwürdigen Rechenkunststücken. Tatsächlich nutzt Iran zur Zeit nur etwa ein Zehntel seiner installierten Gaszentrifugen, um Uran auf 20 Prozent anzureichern. Dieses wird für die Herstellung von Brennplatten für einen kleinen Reaktor in Teheran benötigt. Die Anlage wurde dem Iran noch zur Zeit der Schah-Diktatur von den USA geliefert. Dort werden Isotope für die Behandlung von Krebspatienten produziert. Mit dem Rest der installierten Zentrifugen wird Uran auf 3,5 Prozent angereichert. Daraus sollen später Brennelemente für Atomkraftwerke hergestellt werden.
Überraschend oder »alarmierend« ist daran gar nichts. Daß Iran seine Produktion von 20prozentig angereichertem Uran verdreifachen will, war der IAEA längst bekannt und stand bereits im vorausgegangenen Bericht vom 8. November 2011. Als Beleg wurde damals auf eine Meldung der iranischen Nachrichtenagentur Fars vom 8. Juni 2011 verwiesen, die eine entsprechende Mitteilung des Leiters der nationalen Atomenergiebehörde, Fereydun Abbasi, wiedergab.
Die 20prozentige Urananreicherung wurde am 9. Februar 2010 in Natanz aufgenommen. Seit dem 14. Dezember 2011 wird sie auch in der neuen Anlage von Fordow betrieben, die tief unterirdisch unter einem Berg liegt. Dem jüngsten IAEA-Bericht zufolge hat Iran bis zum 17. Februar dieses Jahres insgesamt etwa 109,2 Kilo 20prozentiges Uran produziert, davon 95,4 Kilo in Natanz und 13,8 Kilo in Fordow. Das sei, wie die Mainstreammedien hastig kommentieren, fast die Hälfte der Menge, die für die Herstellung einer Atombombe benötigt wird. Die Rechnerei ist jedoch nur ein sinnloses Gedankenspiel, denn dafür müßte das Uran noch weiter auf über 90 Prozent angereichert werden. Iran will das nicht, wie immer wieder ausdrücklich erklärt wurde, und hat es auch noch nie versucht. Ob das Land die technischen Fähigkeiten dafür hätte, ist ungewiß. Es würde im übrigen sofort von den Meßinstrumenten, Kameras und Inspektoren der IAEA bemerkt werden.
Man könnte eine weitere Rechenaufgabe anschließen: Wenn Iran zwei Jahre benötigte, um die Hälfte des für eine Bombe erforderlichen Urans auf 20 Prozent anzureichern, wie lange würde er dann brauchen, um die doppelte Menge auf 90 Prozent anzureichern? Sechs Monate, sagt Israels Verteidigungsminister Ehud Barak. Der Mainstream applaudiert. Und zwei mal zwei sind mindestens sieben.
* Aus: junge Welt, 27. Februar 2012
Hier geht es zum jüngsten IAEA-Bericht:
Implementation of the NPT Safeguards Agreement and relevant provisions of Security Council resolutions in the Islamic Republic of Iran (pdf)
US-Geheimdienste entlasten Iran
»New York Times«: Keine Beweise für Beschluss zum Atombombenbau **
Die US-Geheimdienste glauben trotz
beunruhigender Berichte aus Teheran
offenbar nicht, dass Iran derzeit am
Bau einer Atombombe arbeitet.
Washington/Wien (dpa/nd). Es
gebe keine eindeutigen Beweise,
dass Teheran beschlossen habe,
eine Bombe zu bauen, berichtete
die »New York Times« am Wochenende
unter Berufung auf Geheimdienstkreise
und Regierungsmitarbeiter
in Washington.
Zuvor war die Internationale
Atomenergiebehörde IAEA in einem
neuen Iran-Bericht zu dem
Schluss gekommen, dass das Land
seine Urananreicherung deutlich
vorangetrieben habe. Iran habe
seine Kapazitäten, Uran auf bis zu
20 Prozent anzureichern, verdreifacht,
heißt es in dem vertraulichen
Bericht von IAEA-Chef Yukiya
Amano. Israels Ministerpräsident
Benjamin Netanjahu betonte,
der Bericht beweise die israelischen
Einschätzungen, »dass Iran
mit schnellen Schritten mit seinem
Atomprogramm fortschreitet«.
Laut »New York Times« bestätigen
jüngste Erkenntnisse hingegen
die Einschätzung der Geheimdienste
von 2007, dass Iran
sein Atomwaffenprogramm schon
Jahre zuvor eingestellt hat. US-Geheimdienstdirektor
James Clapper hatte Ende Januar erklärt,
dass sich Iran zwar noch alle Optionen
offenhalte. Es gebe aber
keine Hinweise, dass Teheran entschieden
habe, ein Programm zum
Bombenbau zu beginnen. Teheran
sieht in dem IAEA-Bericht die
»friedliche Natur« seines Nuklearprogramms
bestätigt. Zudem
reflektiere der Report die Fortschritte,
die Iran in der Atomtechnologie
gemacht habe, zitierte die
iranische Nachrichtenagentur Fars
den IAEA-Botschafter des Landes,
Ali-Asgar Soltanieh. Er sagte, was
im Bericht stehe, sei bereits früher
von iranischer Seite bekannt gegeben
worden. Dass den Inspektoren
auch bei ihrem zweiten Besuch
binnen eines Monats in der
vergangenen Woche der Zugang zu
einer Militäranlage in Parchin verweigert
worden sei, habe technische
Gründe gehabt. Darüber
könne man aber verhandeln. Iran
wolle sowohl internationale Vorschriften
einhalten als auch die
Zusammenarbeit mit der IAEA
fortsetzen, sagte Soltanieh. Teheran
werde aber keine Zugeständnisse
machen, wenn es um sein
Recht gehe, sein ziviles Atomprogramm
voranzutreiben.
Als Antwort auf die frühere
Drohung Teherans, im Falle neuer
Sanktionen die Straße von Hormus
zu blockieren, wollen die USA einem
Bericht des »Wall Street
Journal« zufolge ihre Schlagkraft
an der Meerenge im Persischen
Golf verstärken. Eine mögliche
Blockade der Route soll so besser
verhindert werden können.
** Aus: neues deutschland, 27. Februar 2012
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