Machtkampf im Iran - Kompromiss über Atomprogramm nicht mehr möglich?
Ein Beitrag von Alexander Lurz aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *
Andreas Flocken (Moderator):
In der vergangenen Woche hat die Internationale Atomenergiebehörde
erneut einen Bericht über das iranische Atomprogramm vorgelegt.
Festgestellt wird, dass Teheran weiterhin UN-Resolutionen missachtet.
Die IAEO räumte zugleich ein, dass der Iran einige Zugeständnisse
gemacht hat. So durften zum Beispiel Inspektoren den Schwerwasserreaktor
in Arak besichtigen. Trotzdem: Im Streit um das Atomprogramm droht nun
eine Eskalation. Alexander Lurz berichtet:
Manuskript Alexander Lurz
Der IAEO-Report markiert wohl den Beginn einer neuen Runde in dem
langjährigen Konflikt. In knapp drei Wochen treffen sich die Staats- und
Regierungschefs der sogenannten G 20 in Pittsburgh. Dort steht auch das
Thema Iran auf der Agenda. Und Ende des Monats findet ebenso die
UN-Vollversammlung in New York statt. Dann läuft die Frist aus, die dem
Iran gesetzt wurde, um auf ein Verhandlungsangebot zu reagieren, das der
EU-Außenbeauftragte Javier Solana im April in Teheran unterbreitet
hatte. Sollte die iranische Regierung sie verstreichen lassen oder bis
dahin keine substanziellen Zugeständnisse machen, droht eine neue
Sanktionsrunde. Sie könnte bereits am Rande der Vollversammlung der
Vereinten Nationen beschlossen werden. Bundeskanzlerin Merkel gab sich
kürzlich während des Besuches des israelischen Regierungschefs in Berlin
jedenfalls entschlossen:
O-Ton Merkel
"Die Offerten an den Iran, auch die Aufforderung, zu Gesprächen bereit
zu sein, liegen auf dem Tisch. Wenn hierauf keine positive Antwort
erfolgt, dann werden wir auch über stärkere Maßnahmen, sprich Sanktionen
im Energiebereich und auch in anderen wichtigen, sensiblen Bereichen,
Finanzmarktbereichen, nachdenken. Und nicht nur nachdenken, sondern auch
darüber in der internationalen Gemeinschaft sprechen, wie wir das umsetzen."
Sollte sich die von Merkel skizzierte Linie durchsetzen, könnte dies das
Ende des Dialogansatzes mit dem Iran markieren, der im Frühjahr noch von
der Regierung in Washington initiiert wurde.
Als Barack Obama im Januar das Amt des US-Präsidenten antrat, erbte er
von der Vorgängerregierung unter George Bush eine Iran-Politik, die in
der Sackgasse steckte. Bush hatte eine äußerst harte Linie verfolgt. Mit
Hilfe von Sanktionen und der Androhung von Militärschlägen sollten die
Machthaber in Teheran zu einem Politikwechsel gezwungen werden. Direkte
Gespräche mit dem Iran lehnte die Regierung Bush ab. Das erschwerte die
Lösung des Atomkonflikts zusätzlich. Eine besonders hohe Hürde für eine
Verständigung stellte jedoch eine UN-Resolution dar, die die
Bush-Regierung damals gemeinsam mit ihren westlichen Partnerländern
durchsetzte. Diese Resolution untersagt dem Iran entgegen den
Bestimmungen des Nichtverbreitungsvertrags vorerst die Anreicherung von
Uran.
Aber nicht nur das Erbe der Bush-Regierung macht es Obama schwer, den
Streit um das Atomprogramm zu entschärfen. Innen- wie außenpolitisch ist
der Spielraum des US-Präsidenten begrenzt. Die USA unterhalten seit
dreißig Jahren keine diplomatischen Beziehungen mit dem Iran. In dieser
Zeit ist das Misstrauen zwischen den beiden Staaten stetig gewachsen.
Grenzen werden der neuen Administration inzwischen auch durch die
europäischen Partner gesetzt. Diese hatten sich in den vergangenen
Jahren der kompromisslosen Linie Bushs schrittweise angenähert. Und nach
Obamas Amtsantritt haben sie ihre Position nicht mehr substanziell
verändert. Ein Kurswechsel in der Iran-Politik muss jedoch die
Unterstützung der Europäer finden und mit ihnen koordiniert werden.
Außerdem muss der neue Präsident innenpolitisch Rücksicht auf seine
eigene Partei nehmen. Bei den Demokraten gibt es Strömungen, die einen
ähnlich konfrontativen Kurs befürworten wie unter George Bush. So gelten
beispielsweise US-Außenministerin Hillary Clinton wie auch der im
Februar zum Sondergesandten für die Region Persischer Golf und
Südwestasien ernannte Dennis Ross als Verfechter eines härteren Vorgehens.
Dabei hatte sich unmittelbar nach dem Präsidentenwechsel in Washington
eine moderate Linie durchgesetzt. Mit einer Reihe von größeren und
kleineren Schritten ging die Obama-Administration in die diplomatische
Offensive: Obama gestand dem Iran das Recht auf die zivile Nutzung der
Nuklearenergie zu. Iran wurde zu einer internationalen
Afghanistan-Konferenz in Den Haag eingeladen, amerikanischen Diplomaten
der Kontakt mit iranischen Kollegen erlaubt. Im Zentrum der Initiative
stand eine Video-Grußbotschaft Obamas an das iranische Volk und seine
Führer anlässlich des iranischen Neujahrsfestes Nowruz im März. Obama
zeigte sich kompromissbereit:
O-Ton Obama (overvoice)
"Meine Administration legt sich nun auf eine Diplomatie fest, die alle
Themen zwischen unseren Ländern anspricht und konstruktive Beziehungen
zwischen den USA, Iran und der internationalen Gemeinschaft anstrebt.
Dieser Prozess wird nicht durch Drohungen vorangetrieben. Wir suchen
stattdessen einen Dialog, der aufrichtig ist und der auf gegenseitigem
Respekt basiert."
Mit dieser Erklärung ging Obama in dreifacher Hinsicht auf den Iran zu.
Erstens erklärte er sich damit bereit, direkt mit Teheran zu verhandeln.
Zweitens griff Obama die iranische Forderung auf, Gespräche nicht nur
isoliert über das Nuklearprogramm zu führen, sondern auch über eine
Reihe anderer Themen zu sprechen. Und drittens reichte er auch
rhetorisch die Hand, indem er den auf Prestige bedachten Machthabern in
Teheran gegenseitigen Respekt zusagte.
Der Versuch, den Stillstand im Konflikt um das Nuklearprogramm aktiv zu
überwinden, fand jedoch Ende Mai in einem Brief Obamas an den iranischen
Revolutionsführer Ayatollah Khamenei seinen Abschluss. Über den Inhalt
des Briefes ist bislang nichts Konkretes bekannt geworden. Die Antwort
aus Teheran soll nach Informationen der NEW YORK TIMES jedoch
enttäuschend ausgefallen sein.
Es ist unklar, warum die amerikanische Initiative bislang ohne das
gewünschte Echo blieb. Da sowohl der Brief Obamas als auch das
Solana-Angebot nicht öffentlich wurden, ist nicht bekannt, ob und welche
Zugeständnisse in der sensiblen Frage der Uran-Anreicherung gemacht
wurden. Darüber hinaus dürfte eine Erklärung Hillary Clintons vor dem
Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses im April Zweifel bei der
Führung in Teheran an der Aufrichtigkeit der Washingtoner
Charme-Offensive gesät haben. Clinton hatte damals dem Iran mit neuen
und harten Sanktionen gedroht. Diese Äußerung wurde im Iran äußerst
negativ aufgenommen. Sie erweckte den Eindruck, dass die kooperativen
Töne Washingtons vor allem dazu dienen sollten, einen Hebel für weitere
Sanktionen zu schaffen.
Ungünstig war zudem das Umfeld der US-Initiative. Die politische Lage im
Iran wird in diesem Jahr vor allem durch die Innenpolitik bestimmt. Der
außenpolitische Entscheidungsprozess wurde zunächst durch den Kampf um
das Präsidentenamt gelähmt. Nach der mutmaßlich gefälschten Wiederwahl
von Amtsinhaber Ahmadineschad und den Protesten im Iran ist dieser
Prozess inzwischen völlig zum Stillstand gekommen. Die verschiedenen
Fraktionen innerhalb der Regimes kämpfen vor und hinter den Kulissen um
die Macht. Vor diesem Hintergrund sind außenpolitische
Grundsatzentscheidungen kaum zu erwarten, wie auch Hillary Clinton in
einem Interview mit der BBC einräumte:
O-Ton Clinton (overvoice)
"Die gegenwärtigen inneren Debatten im Iran machen es für das Land
schwierig, wenn nicht gar unmöglich, einen diplomatischen Ansatz zu
betreiben, nicht nur uns gegenüber, sondern auch gegenüber den 5+1.
Dadurch wurde vieles zurückgestellt."
Washington hielt bis Ende Juni an dem eingeschlagenen moderaten Kurs
fest. Um einer Verhandlungslösung keine Steine in den Weg zu legen,
hielt man sich zunächst sogar zurück bei der Verurteilung des
gewaltsamen Vorgehens des iranischen Regimes gegen die Opposition. Doch
diese Phase des Abwartens ist jetzt offenbar vorbei. Die Verfechter
einer härteren Linie gewinnen an Gewicht. Der Ruf nach Sanktionen wird
nicht nur wieder lauter, im Repräsentantenhaus werden inzwischen auch
die ersten Schritte hierfür auf den Weg gebracht.
Die sogenannten EU-3, Deutschland, Frankreich und Großbritannien,
müssten von einem härteren Vorgehen nicht überzeugt werden. Wie
Kanzlerin Merkel erklärten auch der französische Präsident Sarkozy und
der britische Premierminister Brown bereits ihre Bereitschaft für eine
neue Sanktionsrunde.
Dass die Strategie von Zuckerbrot und Peitsche, die schon die
Bush-Regierung verfolgte, dieses Mal besser funktioniert als in der
Vergangenheit, bleibt allerdings zweifelhaft. Besser wäre es wohl, sich
die Zeit für eine Atempause zu nehmen, um den Ausgang des Machtkampfes
abzuwarten. Denn erst dann ist erkennbar, welche Position Teheran im
Konflikt um das Atomprogramm wirklich vertritt.
* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 5. September
2009; www.ndrinfo.de
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