Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Amerikanischer Kriegspfad - Europäischer Verhandlungspfad?

Vielleicht werden nach der Erklärung des UN-Sicherheitsrats die Karten im Streit mit Iran neu gemischt. Kommentare von Karl Grobe und Norman Paech

Der UN-Sicherheitsrat hat Iran eine Frist von 30 Tagen gesetzt, die Atomanreicherung zu stoppen und weitgehende Kontrollen zuzulassen. So verkündete es der Präsident des UN-Sicherheitsrats, César Mayoral (Argentinien), am 29. März 2006 in einer Erklärung (vom politischen Gewicht ist ein Statement des Präsidenten nicht mit einer Resolution zu vergleichen). Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus der Erklärung (siehe Kasten) sowie einen Kommentar von Karl Grobe (Frankfurter Rundschau) und eine Stellungnahme des Völkerrechtlers Norman Paech (MdB Die Linke).




Auszüge aus der Erklärung des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats vom 29. März 2006

"Der Sicherheitsrat bekräftigt sein Bekenntnis zum Atomwaffensperrvertrag und verweist auf das unterschiedslose Recht der Unterzeichnerstaaten auf (. . .) Forschung, Produktion und Nutzung von Atomenergie zu friedlichen Zwecken in Übereinstimmung mit Artikel I und II des Vertrags. (. . .)
Der Sicherheitsrat nimmt mit großer Sorge die Entscheidung Irans zur Kenntnis, Aktivitäten mit Bezug auf die Urananreicherung wieder aufzunehmen (. . .) und die Zusammenarbeit mit der IAEO nach dem Zusatzprotokoll auszusetzen. Der Sicherheitsrat ruft Iran auf, die vom IAEO-Gouverneursrat geforderten Schritte zu tun (. . .), die notwendig sind, um Vertrauen in die ausschließlich friedlichen Ziele seines Atomprogramms zu schaffen und ausstehende Fragen zu beantworten, und unterstreicht (. . .) die besondere Wichtigkeit eines vollständigen und fortwährenden Aussetzens aller Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsaktivitäten (. . .).
Der Sicherheitsrat bringt seine Überzeugung zum Ausdruck, dass ein solches Aussetzen und eine umfassende, bestätigte Einhaltung der Maßgaben des IAEO-Gouverneursrats seitens Irans zu einer diplomatischen Verhandlungslösung beitragen würden (. . .), und unterstreicht die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, auf eine solche Lösung hinzuarbeiten (. . .). Der Sicherheitsrat unterstützt (. . .) die Rolle des IAEO-Gouverneursrats und (. . .) ermutigt den Generaldirektor der IAEO (. . .), ausstehende Fragen mit Iran zu klären, und unterstreicht die Notwendigkeit, dass die IAEO ihr Bemühen fortsetzt, alle ausstehenden Fragen zum iranischen Atomprogramm zu klären.
Der Sicherheitsrat erbittet innerhalb von 30 Tagen einen Bericht des Generaldirektors der IAEO über den Fortschritt bezüglich der iranischen Einhaltung der vom IAEO-Rat geforderten Schritte (. . .)."

Hier geht es zur Erklärung des Präsidenten im vollen Wortlaut.)


Interessenzone Iran

VON KARL GROBE*

Dreißig Tage Zeit zum Luftholen gewährt die Erklärung des UN-Sicherheitsrats zum iranischen Atomprogramm. Sie ist ein Wunschzettel, kein Ultimatum mit Strafandrohung. Und sie ist die letzte mögliche Position, auf die sich die fünf Mächte einigen konnten. Sie lässt alles offen, da sie weder etwas erzwingen noch etwas konzedieren will. Über die Berliner Runde der fünf Mächte mit Deutschland kann Günstigeres auch nicht gesagt werden. Die Sechser-Einheit ist Fassade.

Zwei Kernfragen, in denen sich die Interessen der konfrontativen Staaten USA und Iran bündeln, enthalten das Problem. Was plant die Bush-Regierung wirklich, will sie den Krieg und fahndet nur noch nach passenden Vorwänden? Und: Was plant die Teheraner Regierung wirklich, will sie "die Bombe" und verschleiert sie nur diese Absicht mit der Beteuerung, es gehe um zivile Nutzung des geschlossenen Brennstoff-Kreislaufs, wie es jedem Staat unter Bedingungen gestattet ist? Da es keine plausiblen Antworten gibt, wird das Misstrauen plausibel.

Die Beteuerung, es werde nur das zivile Ziel der Energiegewinnung verfolgt, ist nicht unbedingt glaubwürdig. Israel, Indien und Pakistan haben Gegenbeweise geliefert. Doch auch Unglaube ist kein Beweis. Denn nicht jeder Staat, der es könnte, rüstet nuklear. Japan, Südafrika, einige südamerikanische und europäische Staaten belegen das.

Das Bekenntnis zur Diplomatie spricht ebenso wenig für die Absichten des Bekenners. Diplomatie kann ebenso wie Aufrüstung das Mittel der Wahl sein, um bestimmte Ziele zu erreichen und erkennbare Interessen durchzusetzen. Die Option, Gewalt anzuwenden, ist für den Fall in Reserve gehalten, dass der gewaltlose Druck nicht ausreicht. Letztlich geht es um die Abwägung von Risiken, Möglichkeiten und Potenzialen.

Seit sechzig Jahren ist die Golfregion, somit auch Iran, für Washington eine strategische Interessenzone. Der Grund dafür heißt Erdöl. Wer mit den USA kooperiert und wie das betreffende Regime beschaffen ist, interessiert die USA herzlich wenig, solange die Kooperation - der Zugang zum Energierohstoff - gesichert ist. Als Mohammed Mossadek 1953 die iranischen Ölquellen verstaatlichte, war das den USA Anlass genug, durch eine Geheimdienst-Operation das demokratische Regime in Teheran zu stürzen und durch ein kaiserlich-autokratisches zu ersetzen. Für Iraner, ob Demokraten oder willige Anhänger der Theokratie, ist dies das wichtigste geschichtliche Datum. Von hier aus werden die Bewegungen und Interventionen der USA in der Region gemessen und bewertet. Von diesem Datum aus bauen die Verfechter einer Nuklearrüstung ihre Argumente auf.

Den USA gibt - ebenso verständlich - das Jahr 1979 den argumentativen Angelpunkt: Das Jahr, in dem der Schah gestürzt, die Islamische Republik revolutionär gegründet und die US-Botschaft in Teheran zur Stätte einer langen Geiselaffäre wurde. Es war das Jahr, in dem Washington einen Vertreter seiner strategischen Interessen verlor.

Viele Iraner unterstellen Washington das permanente Streben nach uneingeschränkter Herrschaft. Gleichzeitig unterstellen viele US-amerikanische Politiker Teheran das Streben nach regionaler Hegemonie. Das wechselseitige Misstrauen in die letzten Absichten des jeweils anderen ist hier begründet. Die Atom-Problematik, so gewichtig sie auch schon für sich ist, hat in diesem Zusammenhang taktische Bedeutung: Eine denkbare "iranische Bombe" verschöbe die Gewichte, ändert aber nicht die Interessenlage.

Das alles geht nicht nur die beiden gegenwärtig aufeinander fixierten Staaten an. Das Erdöl im Nahen Osten steht der Weltwirtschaft nur dann zur Verfügung, wenn es bei friedlichen Verhältnissen bleibt. Russen, Westeuropäer, Inder und Chinesen haben dieses ökonomische Interesse. Sie brauchen Sicherheit und Vertrauen, gegründet auf Diplomatie. Gewiss wäre ein demokratisches Regime in Teheran der angenehmere Partner; dieses den 70 Millionen Iranern von außen aufzuzwingen, wie es auf der Tagesordnung der Neokonservativen in den USA steht, ist aber Illusion. Hier trennt sich der Weg der Europäer und Asiaten vom möglichen amerikanischen Kriegspfad.

* Aus: Frankfurter Rundschau, 31. März 2006


Tor für Verhandlungsweg ist nun offen

Kompromissangebot ohne Maximalforderung an Iran notwendig

Von Norman Paech**


Der UN-Sicherheitsrat hat Iran im Atomstreit eine 30-Tage-Frist gestellt, zugleich aber auch seine Hoffnung auf eine friedliche Konfliktlösung bekräftigt. Zu möglichen Sanktionen wollten die Außenminister der fünf Vetomächte gestern in Berlin nichts sagen.

Das hatten sich die USA wohl etwas anders vorgestellt. Ihnen war es zwar gelungen, Iran wie damals Irak in den Schraubstock des UN-Sicherheitsrats zu nehmen. Nun mussten sie aber erfahren, dass damit noch nicht darüber entschieden ist, wer mehr in die Klemme gerät – der, der dreht, oder der, der unter Druck steht.

Die Erklärung des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats signalisiert nicht nur den Kompromiss einer schwierigen Konsensfindung, sondern enthüllt auch die tiefe Widersprüchlichkeit der bisherigen Forderungen. Die Erklärung bekräftigt zunächst das »Recht aller Staaten, gemäß Art. 1 und 2 des Atomwaffensperrvertrages auf Forschung, Produktion und Gebrauch der Atomenergie für friedliche Zwecke ohne Diskriminierung«. Darauf hatte Iran immer bestanden. Sie »unterstreicht« sodann die »Notwendigkeit vollständiger und anhaltender Aussetzung aller Aktivitäten zur Anreicherung und Weiterverarbeitung, darunter Forschung und Entwicklung«. Das hatte Iran verschiedentlich angeboten. Kein Wort mehr vom endgültigen Verzicht auf jegliche Forschung und Entwicklung der Urananreicherung zu zivilen Zwecken. Kein Wort von drohenden Sanktionen, sondern nur die Aufforderung an den Generaldirektor der IAEA, nach 30 Tagen einen neuen Bericht über die iranischen Schritte zur Befolgung der Forderungen des IAEA-Gouverneursrat vorzulegen.

Noch drohen die regelmäßigen Erklärungen von Rumsfeld und Cheney, dass nichts ausgeschlossen werden dürfe, also auch nicht die militärische Option, im Hintergrund. Auch wird es jeder schwer haben, der sich in den Mechanismus des UN-Sicherheitsrats begibt, ihn einfach zu verlassen, bevor nicht seine Mittel ausgeschöpft worden sind. Das 7. Kapitel der UNO-Charta ist in den Händen der US-Falken ein vergiftetes Friedensangebot, denn es enthält eine militärische Option. Vor zwei Tagen erst hat der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski hier in Berlin diese Option als ein Hindernis für Verhandlungen bezeichnet, weil es auf der Seite, mit der man verhandeln will, nur Furcht erzeugt.

Doch eröffnet diese Erklärung ein neues Tor zu einem Verhandlungsweg, auf dem es auch ein Kompromissangebot an Iran geben muss. Das wäre konkret der Abschied von der Maximalforderung des vollständigen Verzichts auf den Brennstoffkreislauf unter bestimmten Bedingungen. Staatsminister Erler hatte zuvor bereits einen solchen Schritt angedeutet.

Iran hat jüngst von sich aus angeboten, die unverzichtbare Urananreicherung einem internationalen Konsortium auf iranischem Boden unter strengster Kontrolle der IAEA zu übergeben. Es fehlt noch ein Angebot zur Aussetzung der Anreicherung für einige Zeit. Dann hätte es derjenige, dem es wirklich nur darum geht, ein iranisches Atomwaffenprogramm zu verhindern, schwer, auch diesem Vorschlag zu misstrauen. Vielleicht aber gelingt es in diesen 30 Tagen, beide Kontrahenten doch noch wieder an den Verhandlungstisch zu bekommen.

** Norman Paech ist außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.
Der Text erschien am 31. März 2006 im "Neuen Deutschland".



Zurück zur Iran-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage