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Israel droht mit Krieg gegen Iran

Barak: Bei wirkungslosen Sanktionen folgen "militärische Maßnahmen" *

US-Medien berichten, Israel plane, im Frühjahr Iran anzugreifen. Laut Verteidigungsminister Barak könne es »später zu spät sein«.

Israel könnte nach einem Bericht der »Washington Post« im Frühjahr einen militärischen Angriff auf iranische Atomanlagen versuchen. US-Verteidigungsminister Leon Panetta gehe davon aus, dass es eine »starke Wahrscheinlichkeit« dafür im zweiten Quartal gebe, berichtet das Blatt ohne konkrete Quelle.

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak leistete solchen Erwartungen weiteren Vorschub: Wer »später« sage, könne herausfinden, dass es für einen Angriff »schon zu spät« sei, zitierte ihn die Zeitung »Haaretz«. Israel behauptet, dass Teheran bereits sehr bald über genügend angereichertes Uran verfüge, um eine Atombombe zu bauen - dann könnten nur noch die USA den Iran militärisch stoppen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wolle aber verhindern, »dass das Schicksal Israels vom amerikanischen Handeln abhängt«, schreibt die »Washington Post«.

Israel gehe davon aus, dass ein begrenzter Militäreinsatz möglich sei. Den Plänen zufolge könnten die Atomanlage bei Natans und andere unterirdische Anlagen das Ziel sein, hieß es. Die Anlage in Qom sei schwieriger auszuschalten. Der stellvertretende israelische Ministerpräsident Mosche Jaalon betonte jedoch, alle iranischen Nuklearanlagen seien durch Militärschläge verwundbar.

US-Präsident Barack Obama versuche seit Längerem, Israel von einem Angriff abzuhalten, heißt es. Washington sei der Ansicht, ein Angriff werde die Sanktionspläne gefährden. Die USA gehen davon aus, dass die verschärften Sanktionen des Westens Teheran zunehmend unter Druck setzen. Barak hatte dazu erklärt, wenn die Sanktionen keine Wirkung zeigten, müssten militärische Maßnahmen ergriffen werden.

Der geistliche Führer Irans, Ajatollah Ali Chamenei, hat am Freitag Israel und die USA eindringlich vor militärischen Angriffen gewarnt. »Schon das Nachdenken über solche Angriffe wäre für sie von Nachteil. Das Einleiten dieser Angriffe wäre zehn Mal so nachteilig für sie«, sagte Chamenei beim Freitagsgebet in Teheran.

* Aus: neues deutschland, 4. Februar 2012


Angriff "schlechte Idee"

Pentagon-Experten äußern Respekt vor Irans asymmetrischem Verteidigungspotential

Von Rainer Rupp **


Laut Jahresbericht »The Military Balance 2011« des »International Institute for Strategic Studies« (IISS) in London verfügt Iran über 23 U-Boote, hundert und mehr Patrouillen- und Torpedoboote für küstennahen Einsatz, fünf Minenleger und -sucher, 13 amphibische Landungsschiffe und 26 Versorgungsschiffe. Für die im Persischen Golf und außerhalb der Straße von Hormus operierenden hochmodernen Einheiten der US-Kriegsmarine stellt die iranische Marine eine Eintagsfliege dar. Auch der stellvertretende Oberkommandeur der russischen Kriegsmarine, Admiral Iwan Kapitanets, gab daher in einem Interview mit Interfax (30.12.2011) der regulären iranischen Marine »keine Chance, dem unvergleichlichen Potenzial einer US-Flugzeugträgergruppe etwas entgegenzusetzen«.

Wenn sich die iranische Militärführung dennoch sehr zuversichtlich zeigt, z.B. die Straße von Hormus dauerhaft sperren und die US-Übermacht im Golf vernichten zu können, dann leidet sie nicht unter krankhaftem Größenwahn, wie ihre ebenso ignoranten wie arroganten Schreiberlinge in westlichen Medien gerne unterstellen, sondern sie wird auch von den Fachleuten der US-Streitkräfte sehr ernst genommen. Die Iraner haben nämlich eine Doktrin der asymmetrischen Kriegsführung entwickelt, bei der Tausende kleine und kleinste Boote, die mit modernsten, zielgenauen Raketen- und Torpedowaffen ausgerüstet sind, plötzlich aus dem Nichts auftauchen und im Schwarm ihre Angriffe vortragen, um so auch den stärksten Gegner zu überwältigen.

Für Schwarmangriffe eignet sich die iranische Golfküste mit über 600 tief eingeschnittenen Fjorden besonders gut. Diese sind trotz der Überlegenheit der US-Airforce aus der Luft nur schwer zu kontrollieren, zumal es den Amerikanern – ähnlich wie im Krieg gegen Jugoslawien 1999 – kaum gelingen dürfte, die taktische Luftabwehr des gegnerischen Landes zu eliminieren. Außerdem müßte die US-Kriegsmarine mit Tausenden entsprechend bestückter Lastwagen rechnen, die plötzlich an der Küste erscheinen, um ihre Raketen abzuschießen. Zugleich kann die gegen Iran und China entwickelte US-Militärdoktrin des Air-Sea-Battle schlecht zur Anwendung kommen, weil Teheran jüngst mit der spektakulären elektronischen Übernahme und erzwungenen Landung der US-Aufklärungsdrone RQ-170 Sentinel ein Kernstück aus der US-Angriffsstrategie herausgebrochen hat.

Vor diesem Hintergrund bekommt die Bemerkung des Chefs der iranischen Marine, Admiral Habibollah Sayyari, daß die Schließung der Straße von Hormus »so einfach ist, wie ein Glas Wasser zu trinken«, eine reale Bedeutung. Der US-Militärführung ist wohl bewußt, daß sie im Falle eines Kriegs mit Iran auch selbst schwere Verluste hinnehmen müßte. Daher kann der Öffentlichkeit ein Angriff nicht – wie im Fall Irak noch geschehen – als gemütlicher »Verdauungsspaziergang« für das US-Militär verkauft werden, wie das die neokonservativen Kriegstreiber der »Israel Firsters« (siehe unten) derzeit mit großem Eifer und noch mehr Demagogie versuchen.

Wie hoch das Pentagon die asymmetrische Schlagkraft des Iran einschätzt, geht aus einem Bericht des US-Finanznachrichtendienstes Blomberg vom März 2007 hervor. Demnach hatte das Pentagon auch nach sieben Jahren intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit bis zu diesem Zeitpunkt keine effektiven Abwehrmaßnahmen gegen die »sehr niedrig und super schnell« knapp über den Wellen fliegenden, von Rußland gebauten und von Iran weiterentwickelten Rakete mit dem NATO-Code »Sizzler« gefunden. Laut Experten ist mit dieser Waffe der Abschuß eines US-Flugzeugträgers im Persischen Golf so einfach, wie für einen Jäger eine auf dem Wasser sitzende Ente zu erlegen. Selbst das speziell zum Schutz von US-Flugzeugträgern auf Begleitschiffen installierte, hoch gelobte Aegis-System zur Abwehr von Raketenangriffen sei gegen die »Sizzler« nutzlos. Laut US-Admiral a.D. Eric McVadon zufolge ist die Reaktionszeit zwischen der Entdeckung der »Sizzler« und deren Einschlag selbst für automatisierte Abwehrsysteme zu kurz.

Die »Sizzler« sei »einzigartig«, urteilen Pentagon-Wissenschaftler, denn in ihrer Anflugphase sei sie sogar dazu fähig, höchst effiziente Ausweichmanöver zu fliegen und wie ein Hase im dreidimensionalen Raum Haken zu schlagen. Bis heute scheint das Pentagon keine effektive Abwehr gefunden zu haben. Der relativ »handliche« Flugzeugträgerkiller, der auch von kleinen Booten abgefeuert werden kann, ist aber nur eine von vielen, für die asymmetrische Kriegsführung Irans geeignete Waffen, welche Teheran laut Vorwurf von US-Außenministerin Hillary Clinton gemeinsam mit China ständig weiter entwickelt. Dazu gehört auch eine ebenfalls ursprünglich von Rußland entwickelte Unterwasserrakete des Typs VA-111 Shkval, vor der die US-Navy ebenfalls großen Respekt hat.

Kein Wunder, daß General Michael Hayden, unter Präsident George W. Bush Chef der CIA, der lautstarken Kampagne der Angriffsbefürworter öffentlich in die Arme fällt und erklärt, ein Angriff auf Iran sei »eine schlechte Idee«. Ohne eine Besetzung des Landes, die niemand auch nur ins Auge fassen will, sei ein Militärschlag für die USA kontraproduktiv.

** Aus: junge Welt, 4. Februar 2012


Hintergrund: Keine US-Hilfe für Angriff ***

Unter Berufung auf namentlich nicht genannte, hochrangige US-Stabsoffiziere, die über Gespräche auf der Ebene der Vereinten US-Stabschefs (JCS) informiert seien, bestätigte der Historiker und kritische Journalist Gareth Porter jetzt, was bisher lediglich vermutet wurde. Demnach hat JCS-Chef General Martin Dempsey bei seinem Besuch in Israel am 20. Januar Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak unmißverständlich klar gemacht, daß die USA sich nicht in einen von Israel initiierten und mit Washington nicht abgesprochenen Krieg gegen Iran hineinziehen lassen. Einen solchen Krieg müßten die Israelis allein ausfechten, mit allen Konsequenzen. Laut Porter, der als seriöser Spezialist für US-Sicherheitspolitik bekannt ist, sei das Präsident Obamas bisher schärfster Schuß vor den Bug der israelischen Regierung gewesen, um einen Krieg zu verhindern.

Letztlich hat damit General Dempsey nichts anderes gesagt als US-Verteidigungsminister Leon Panetta in einem Interview auf »Face the Na­tion« am 8. Januar. Auf intensive Nachfrage, wie die USA reagieren würden, wenn Israel einen Krieg gegen Iran beginnen würde«, bekräftigte der Pentagon-Chef: »Falls die Israelis eine solche Entscheidung treffen würden, dann müßten wir uns um den Schutz unserer eigenen Streitkräfte in dieser Situation kümmern.« Über Hilfe und Beistand für den möglichen Aggressor fand er kein Wort.

Die Haltung der Obama-Administration hat die rechtsextreme israelische Regierung offensichtlich dazu verleitet, auf noch gefährlichere, trotzig-dumme Sturheit zu schalten, wohl in der Hoffnung, daß die zionistische Lobby in den USA letztlich die Oberhand gewinnt. Bereits vor Dempseys Ankunft in Israel hatte Barak gewarnt, daß der nur kommen werde, um Druck gegen einen israelischen Angriff auf Iran zu machen. Aber mit den Worten, »die Verantwortung für Israels Sicherheit« könne »niemandem, auch nicht den amerikanischen Freunden überlassen werden«, bekräftigte Barak seine gemeinsame Position mit Netanjahu und ihrer beider Bereitschaft zum militärischen Alleingang, gegen den es jedoch im eigenen Kabinett, insbesondere aus Sicherheitskreisen, weiter starken Widerstand gibt. (rwr)

*** Aus: junge Welt, 4. Februar 2012


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