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Iran gibt Kontra

Parlament fordert Stopp der Erdöllieferungen in die EU. Delegation der Internationalen Atomenergiebehörde in Teheran

Von Knut Mellenthin *

Iran diskutiert über Reaktionen auf den von der Europäischen Union vor einer Woche beschlossenen Öl-Boykott. Am Sonntag (29. Jan.) wollte das Parlament über ein entsprechendes Eilgesetz beraten, das nach Angaben des stellvertretenden Vorsitzenden des Energieausschusses, Nasser Sudani, aus vier Artikeln bestehen soll. Ein Hauptpunkt ist der sofortige Stopp aller Erdöllieferungen in die EU-Länder. Er soll so lange bestehen bleiben, wie die Union an ihrem Boykott festhält. Ein anderer Artikel verpflichtet die Regierung laut Sudani, die Einfuhr von Waren aus allen Ländern zu verbieten, die Sanktionen gegen Iran verhängt haben. In der Parlamentsdebatte könnten sich noch Änderungen am Gesetzentwurf ergeben, erläuterte er am Sonnabend. Zum Beispiel seien einige seiner Kollegen dafür, die Erdöllieferungen in die EU für mindestens fünf Jahre einzustellen.

Die EU hatte am Montag vor einer Woche (23. Jan.) ein umfangreiches Paket neuer Sanktionen gegen Iran beschlossen, das unter anderem auch die Beschlagnahme der Guthaben der iranischen Zentralbank vorsieht. Der Öl-Boykott soll grundsätzlich ab sofort in Kraft treten. Langfristige Verträge müssen bis spätestens zum 1. Juli abgewickelt sein. Dieser Zeitpuffer soll in erster Linie Griechenland, Spanien und Italien helfen, die einen überdurchschnittlich starken Anteil ihres Energiebedarfs aus der Islamischen Republik decken. Insgesamt ist die EU am iranischen Öl-Export mit 18 bis 20 Prozent beteiligt.

Ob Teheran wirklich schon in dieser Woche seine Öl-Lieferungen in die 27 Mitgliedsstaaten der Union vollständig einstellt, ist allerdings ungewiß. Alle vom Parlament beschlossenen Gesetze können nur in Kraft treten, wenn der Wächterrat sie als verfassungsmäßig anerkennt. Der Sprecher dieses Gremiums, Abbas-Ali Kadkhodaei, äußerte sich zu dieser Frage eher ausweichend: »Wir können unsere Meinung nicht bekunden, bevor wir das Gesetz gesehen haben. Aber der Wächterrat wird jedes Gesetz ratifizieren, das dem Schutz der nationalen Interessen Irans dient.«

Maßgebliche iranische Politiker haben sich in den vergangenen Tagen davon überzeugt gezeigt, daß der von der EU beschlossene Boykott deren Mitgliedsländern mehr schaden werde als dem Iran, und daß er praktisch gar nicht durchsetzbar sein werde. Die Haltung der Teheraner Führung zu einem sofortigen Lieferstopp wird vermutlich von der Einschätzung abhängen, ob dieser geeignet ist, die Widersprüche zwischen den EU-Staaten zu verschärfen, oder ob er eher das Gegenteil erreichen würde. Das Parlament hat im Kontext des Atomstreits schon mehrfach radikale Beschlüsse verabschiedet, die dann vom Wächterrat kassiert wurden.

Indessen ist am Sonnabend (28. Jan.) eine hochrangige Delegation der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zu dreitägigen Gesprächen im Iran eingetroffen. Sie steht unter der Leitung des stellvertretenden Generaldirektors der UN-Behörde, Herman Nackaerts. Der Delegation gehört auch der Argentinier Rafael Grossi an, der als »rechte Hand« von Generaldirektor Jukija Amano gilt. Während die Iraner den Gästen vor allem ein Besichtigungsprogramm in ihren Atomanlagen bieten wollen, scheint die Delegation ausschließlich an der Festlegung eines Fahrplans für künftige Gespräche über die angebliche »militärische Dimension« des iranischen Atomprogramms interessiert zu sein. Hauptsächlich geht es um eine Verpflichtung der Iraner, den Inspektoren der IAEA Zugang zu sämtlichen Anlagen, Dokumenten und Personen zu gewähren, an denen sie interessiert sind. Das geht über die Verpflichtungen hinaus, die sich aus dem Atomwaffensperrvertrag ergeben, liegt jenseits der Kompetenzen der IAEA und würde dem Ausspionieren potentieller Ziele für Militärschläge Tür und Tor öffnen. Eine Zustimmung Teherans zu diesen Forderungen ist daher nicht zu erwarten. Grossi setzt allerdings darauf, daß man gestützt auf eine so provozierte iranische Ablehnung, Rußland und China doch noch zu einer weiteren Sanktionsresolution gegen Teheran im UN-Sicherheitsrat bewegen könnte.

* Aus: junge Welt, 30. Januar 2012


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