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Ein Staat wird kriegsreif geredet

In Deutschland mehren sich Stimmen, die einen Waffengang gegen Iran nicht ausschließen wollen

Von Roland Etzel *

Die Islamische Republik Iran wird zur Zeit sturmreif geredet, von den USA, Israel, der Europäischen Union und nicht zuletzt Deutschland. Ein Krieg wird nicht ausgeschlossen.

Fast jede Partei verfügt über ein paar Leute fürs Grobe. Sie sollen politische Ungeheuerlichkeiten aussprechen, um deren Wirkung in der Öffentlichkeit messen zu können. Die CDU/CSU hat dafür zum Beispiel Philip Mißfelder. Bekannt geworden einst als von humanitären Skrupeln unbelasteter Verkünder sozialpolitischer Grausamkeiten (»Warum für 80jährige noch künstliche Hüftgelenke?«) bleibt er auch als nunmehriger außenpolitischer Sprecher der Union diesem Stil treu.

Mißfelder gehört zu jenen Politikern der Regierungskoalition, die seit einiger Zeit schon bei der verbalen Mobilmachung für einen Krieg gegen Iran in vorderster Reihe stehen. Formal geht es im Streit mit der Islamischen Republik um deren Kernkraft-Programm und die Behauptung des Westens, Teheran betreibe dabei heimlich auch die Entwicklung atomarer Waffen; eine These, die trotz anderslautender Behauptungen nie über den Status eines Verdachts hinausgekommen ist. Auch die Internationale Atomenergiebehörde hat bislang keine Beweise vorgelegt.

Die »atlantische Fraktion« in der Union, der bereits die Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel ein Gräuel war, am Krieg gegen Libyen nicht aktiv teilzunehmen, will diese vermeintliche Scharte jetzt offenbar mit überlautem antiiranischen Feldgeschrei auswetzen. Die Vertreter einer möglichst stromlinenförmigen Ausrichtung der deutschen an der US-Außenpolitik - man könnte sie in diesem Falle auch Bellizisten nennen -, gibt es ebenso bei SPD und Grünen, wie der NATO-Krieg gegen Libyen zeigte. Doch die Union ist hörbar lauter.

Die Zögerlichkeit des Westens, so Mißfelder im Deutschlandfunk führe dazu, dass Iran Zeit gewinne, sein Nuklearprogramm fortzuführen. Das Regime sei fest entschlossen, mit Atomwaffen »das Existenzrecht Israels zu gefährden und auch unsere Sicherheit im Westen zu gefährden«. Mißfelder hat kein Problem, die Behauptung, es existiere ein Nuklearprogramm, als Gewissheit zu behandeln und setzt noch einen drauf, indem er Angriffsabsichten unterstellt.

Es ist nicht Mißfelder allein, der Iran angriffsreif redet. Auch der für Scharfmachertum weniger bekannte Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, erklärte gestern (2. Dez.) der Hallenser »Mitteldeutschen Zeitung«, »es kann nicht schaden, wenn der Iran in Unsicherheit über weitere Gegenmaßnahmen lebt«. Zwar sieht Polenz einen Unterschied darin, »militärische Optionen nicht auszuschließen oder damit zu drohen«. Aber was immer das praktisch bedeutet - die Hemmschwelle zum heißen Krieg wird so erneut gesenkt.

Zur antiiranischen Stimmungsmache passt die Behauptung, es gebe iranische Pläne für Anschläge in Deutschland - nach einem Bericht der »Bild«-Zeitung. Die angeblichen Pläne flimmerten am Donnerstag über alle Kanäle. Ein bisschen schürte auch der neue Generalbundesanwalt Harald Range mit. Am Morgen hatte er erklärt, es bestehe der Verdacht, dass Iran Anschläge in Deutschland vorbereite. Am Abend dann sagte sein Sprecher, es gebe dafür »überhaupt keine Anhaltspunkte.«

* Aus: neues deutschland, 3. Dezember 2011


Kriegsvorwände

US-Senat verschärft Situation um Iran

Von Werner Pirker **


Der Würgegriff wird immer enger. Am Freitag hat der US-Senat einstimmig Sanktionen gegen die iranische Zentralbank beschlossen. Das geht selbst dem Weißen Haus zu weit. Man befürchtet, daß ein solcher Schritt Auswirkungen auf den Ölpreis und die US-Wirtschaft haben könnte. Zudem könnte durch eine solche extreme Maßnahme die internationale Front gegen das iranische Atomprogramm geschwächt werden.

All diese Einwände machten auf die 100 Senatoren nicht den geringsten Eindruck. Der demokratische Mehrheitsführer Harry Reid bezeichnete das Verhalten des Iran als »inakzeptabel« und als »Gefahr für die Vereinigten Staaten und die ganze Welt«. Die Sorgen über eine nukleare Bewaffnung des Iran überwögen die Vorbehalte wegen einer möglichen Anhebung des Ölpreises. Frei nach Wladimir Iljitsch Lenin hieße das, daß die amerikanischen Kapitalisten dem Iran den Strick nun doch nicht verkaufen wollen, an dem sie aufgehängt werden sollten. Geschäftsinteressen hin, Geschäftsinteressen her. Man hat so seine Prinzipien.

Das von den US-Senatoren vorgelegte Sündenregister lautet: »Iran unterstützt terroristische Gruppen, bewaffnet die Mörder von amerikanischen Soldaten, lügt über sein Atomprogramm, verletzt die Grundrechte seiner Bürger und bedroht Israels Sicherheit.« Das krampfhafte Bemühen der Senatoren, Vorwände für eine weitere Eskalation der Situation um den Iran zu finden, ist offenkundig. Mit alarmistischem Pathos werden die alten Vorwürfe wiedergekäut.

Daß nationale Befreiungsbewegungen wie die Hamas oder die Hisbollah auf den Terrorlisten Wa­shingtons und Brüssels erscheinen, ist auch nichts Neues. Die Unterstützung des nationalen Widerstandes gegen Besatzerterror wird als antiamerikanisches Verbrechen gebrandmarkt. Wobei sich die Senatoren die Frage verbitten, was die ermordete Unschuld aus der US-Provinz in fremden Ländern zu suchen hatte und dafür auch noch Immunität beanspruchte. Abgesehen davon, daß dem Iran keine Lügen über sein Atomprogramm nachgewiesen werden konnten. Hätten von den Amerikanern aufgetischte Lügen zur Rechtfertigung ihrer Kriegspolitik jeweils internationale Strafaktionen zur Folge gehabt, stände in den USA kein Stein mehr auf dem anderen.

Die Behauptung, daß der Iran Israels Sicherheit bedrohe, stellt eine absurde Verkehrung der Realität in ihr Gegenteil dar. Es verging zuletzt kaum ein Tag, an dem die Israelis nicht mit einer Militäraktion zur Beendigung des Teheraner Atomprogramms drohen. Wessen der Iran verdächtigt wird, der Herstellung eines nuklearen Waffen­arsenals, haben die Israelis längst vollendet. Die atomare Bedrohung in der Region geht somit von Israel aus, und der Iran ist das bevorzugte Zielobjekt. Die Gefahr, daß der Teheran unterstellte atomare Vernichtungswille zum Vorwand für einen vernichtenden atomaren Präventivschlag werden könnte, ist keineswegs von der Hand zu weisen.

** Aus: junge Welt, 3. Dezember 2011


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