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"Es droht eine ökologische Katastrophe"

Eine Analyse aus der Moskauer Hochschule für Physikingenieure über die Folgen eines US-Krieges gegen Iran

Von Alexander Koldobski, Moskau *

Es genügt, einen Blick auf die Landkarte zu werfen, um zu begreifen, dass ein militärischer Schlag gegen iranische Nuklearobjekte, den die USA nicht ausschließen, den südasiatischen „Krisenkreis“ schließen wird.

Seinen westlichen Teil bilden die Mittelmeerländer - Israel, Syrien, Palästina, Jordanien und Libanon. In der Mitte liegen der Irak und das hypothetisch überfallene Iran. Östlich befinden sich das politisch instabile Pakistan, das über Kernwaffen verfügt, und Afghanistan, dessen Führung, die während der "Demokratisierung auf amerikanische Art" an die Macht gebracht wurde, im Grunde genommen lediglich den eigenen Palast kontrolliert.

Eine der negativen Folgen dieses Schlages würde die Entstehung eines sozialpolitischen „schwarzen Loches“ in diesem Teil der Welt werden. Und all das in einer Region, die vom Standpunkt der Versorgung mit natürlichen Energieressourcen aus für die Weltwirtschaft sehr wichtig ist. Es fällt sogar schwer, sich vorzustellen, wie hoch dann die Erdölpreise sein werden. So dass man neben einer politischen Katastrophe auch eine wirtschaftliche Katastrophe erwarten kann.

Nicht minder ernsthaft würden auch die ökologischen Folgen sein. Sie müssen unter zwei Aspekten bewertet werden: als solche und als Teil des Gesamtbildes.

Ein durchaus mögliches Element der Eskalation der Ereignisse können Schläge gegen iranische (und irakische) Erdölvorkommen sein.

Die ungeheuerlichen Brände an Bohrungen, Erdölleitungen und in Hafenterminals, die großen Erdölteppiche, die darauf folgende totale Verschmutzung aller Elemente der Ökosysteme, der Verfall und der Tod ganzer Biozönosen - all das lässt über eine ökologische Katastrophe sprechen.

Im Szenario möglicher ökologischer Folgen eines amerikanischen Schlages gegen Iran darf man auch die radioaktive Einwirkung nicht ignorieren: Denn die Schläge würden in erster Linie gegen Nuklearobjekte geführt. Der negative Einfluss eines zerstörten Nuklearobjektes wird durch zwei Parameter bestimmt: durch die gesamte Aktivität der Radionuklide und deren Zusammensetzung. Eben davon hängt es ab, inwieweit toxisch die Emission sein würde. Besonders gefährlich sind zwei Typen von Objekten: ein sich in Betrieb befindlicher Reaktor oder ein für Reparatur oder Neubeschickung mit Kernbrennstoff stillgelegter Reaktor. Sowohl in Typen-Atomkraftwerken als auch in radiochemischen Kombinaten gleich dem russischen Majak (Südural). Aber sogar solche Objekte können nur bei einem hohen Zerstörungsgrad radioaktiv gefährlich werden. Doch ist es alles andere als einfach, dies zu erreichen, wenn man die Konstruktion und die modernen Schutzsysteme bedenkt.

Aber in Iran gibt es keinen einzigen gefährlichen Typ von Nuklearobjekten. Atomkraftwerke sind nur durch den einzigen Kernreaktor in Bushehr vertreten, den Russland noch nicht fertig gebaut hat. Die Radiochemie existiert nur in Forschungslaboratorien, die eine minimale Menge von radioaktiven Stoffen nutzen.

Natürlich führt die Zerstörung eines jeden großen Industrieobjekts im Ergebnis eines unerwarteten Luftangriffs zum Tod von Menschen und in vielen Fällen zu einer lokalen Verseuchung der Umwelt.

Die Arbeiten an der Urananreicherung, die in Iran (Isfahan) durchgeführt werden, sind ohne Urankonversion für seine darauf folgende Nutzung in Zentrifugen (Natans) unmöglich. In diesen beiden Fällen kann die Zerstörung des Werkes zu schweren Folgen führen. Denn die chemische Toxizität von Fluor und dessen Verbindungen ist zu hoch.

Iran hat auch zwei Forschungskernreaktoren. Einen davon, der sich am Kernzentrum in Isfahan befindet, kann man nicht in Betracht ziehen. Das ist ein sogenannter Reaktor mit einer Nullkapazität und einer geringen Menge von radioaktiven Stoffen. Etwas gefährlicher ist der Kernreaktor an der Teheraner Universität, dessen Wärmekapazität mehr als fünf MW beträgt. Wenn ein Geschoss die Spaltzone trifft oder die Brennelemente enthermetisiert, so kann dieser Reaktor durchaus zur Ursache einer lokalen radioaktiven Verseuchung werden.

Aber auch in diesem Fall geht es nicht um wesentliche Kernstrahlungsschädigungen und ernsthafte radioökologische Folgen. Jedenfalls können sie gegen andere Folgen möglicher Schläge gegen iranische Nuklearobjekte nicht ankommen - die ökologischen, politischen und ökonomischen Folgen. Diese können ein solches Ausmaß annehmen, das das Recht gibt, dieses Abenteuer nicht als politischen, sondern klinischen Wahnsinn zu bezeichnen.

Wozu werden Pläne zu einem solchen Schlag ausgeheckt? Die Frage, ob Iran den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT-Vertrag) verletzt oder nicht, ist nicht einfach. In jedem Fall ist die Nichtweiterverbreitung und deren Rechtsgrundlage, der NPT-Vertrag, nur ein Teil des gegenwärtigen Systems der internationalen Beziehungen. Und man darf nicht, um einen Teil beizubehalten, alles andere vernichten. Den NPT-Vertrag kann man nicht festigen, wenn dabei die Grundprinzipien der internationalen Beziehungen zerstört werden, solche wie Souveränität der unabhängigen Staaten oder Unantastbarkeit der nationalen Grenzen.

Das würde wie die Behandlung eines Fingerabszesses durch das Abschneiden des ganzen Armes aussehen.

* Alexander Koldobski ist Mitarbeiter der Moskauer Hochschule für Physikingenieure und Atomspezialist.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 26. April 2007 ("Ein Schlag gegen Iran wird den Krisenkreis in der Region schließen");
Internet: http://de.rian.ru



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