Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Friedensfahrt im Süden

Während Washington um Unterstützung für Iran-Sanktionen wirbt, tourt Ahmadinedschad durch Lateinamerika. Bolivarische Allianz ALBA gewinnt an Bedeutung

Von André Scheer *

Venezuela, Nicaragua, Kuba und am Donnerstag (12. Jan.) Ecuador – während US-Finanzminister Timothy Geithner mit mäßigem Erfolg durch Asien tourt, um etwa China und Japan auf Sanktionen gegen den Iran einzuschwören, und Washington zudem zwei Flugzeugträger in das Arabische Meer verlegt hat, wirbt der iranische Regierungs­chef Mahmud Ahmadinedschad in dieser Woche mit einer Reise durch Lateinamerika um Unterstützung. Sicherlich nicht zufällig wählte er als Stationen seiner Tour Mitgliedsstaaten der »Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas« (ALBA). Bei den obligatorischen Foto- und Presseterminen verurteilten seine Gastgeber erwartungsgemäß die Drohungen der USA und der EU gegen Teheran und warnten vor der wachsenden Kriegsgefahr. Im Gegenzug übernahm Ahmadinedschad, dessen Regierung im eigenen Land eine weitgehend neoliberale Wirtschaftspolitik betreibt, den Diskurs der ALBA-Länder: »Gott sei Dank sehen wir, daß sich der Kapitalismus im Niedergang befindet«, sagte er etwa in Havanna.

Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño wies unterdessen die Kritik Washingtons an der Rundreise Ahmadinedschads zurück. Quito habe den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und engagiere sich dafür, den Frieden durch Dialog und niemals durch Gewalt zu sichern. Im Gegensatz dazu gäbe es »andere Länder«, die das Abkommen nicht unterzeichnet hätten, über Massenvernichtungsmittel verfügten und weltweit Krieg führten, deren Legitimation aber trotzdem nicht in Frage gestellt werde.

Für den venezolanischen Parlaments­abgeordneten Carolus Wimmer, der auch internationaler Sekretär der Kommunistischen Partei seines Landes ist, gründet sich das gemeinsame Interesse des Iran und der ALBA-Länder nicht auf dem »gemeinsamen Feind« USA, wie es von westlichen Medien nahegelegt wird. Lateinamerika sei vielmehr »die einzige geographische Region, die der gegenwärtigen großen Krise des Kapitalismus entkommen« sei, sagte er dem Fernsehsender TeleSur. Dadurch seien die Staaten der Bolivarischen Allianz und anderer regionaler Bündnisse zu einem weltweiten Bezugspunkt für gute Handelsbeziehungen geworden. Das sieht Haitis Präsident Michel Martelly offenbar ähnlich. Am Vorabend des zweiten Jahrestags des Erdbebens, das sein Land am 12. Januar 2010 zerstört hatte, kündigte er an, seine Regierung erwäge eine Vollmitgliedschaft in der ALBA.

Am Dienstag ((10. Jan.) kündigte Venezuelas Präsident Hugo Chávez am Rande der Amtseinführung von Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega zudem an, daß der Staatenbund, der »weltweit fortgeschrittenste Mechanismus zur Integration«, im gerade begonnenen Jahr in eine »neue Etappe« eintreten werde. »Wir müssen die Strukturen und die Einheit der ALBA auf politischem, ökonomischem und sozialem Gebiet vertiefen«, forderte er. Das gelte besonders für die von den Mitgliedsstaaten gegründete ALBA-Bank, die bislang »klein, bescheiden und mit wenig finanziellen Möglichkeiten« gewesen sei, so Chávez. Sie müsse in die Lage versetzt werden, Abkommen mit anderen Finanzinstitutionen zu treffen, um die Armut in Lateinamerika zu bekämpfen.

Auch weltpolitisch treten die ALBA-Staaten zunehmend selbstbewußter auf und präsentieren sich als Stimme der Länder, die von den USA und der EU attackiert werden. So berichtet die kubanische Agentur Prensa Latina derzeit regelmäßig unter dem Rubriktitel »Kreuzzug gegen Syrien« über die Krise in dem arabischen Land.

* Aus: junge welt, 13. Januar 2012


Gegen die Wand

China verweigert sich Iran-Boykott

Von Rainer Rupp **


US-Finanzminister Timothy Geithner besuchte am Donnerstag (12. Jan.) Japan, wo er scheinbar problemlos dessen Unterstützung für den unilateral von Washington verhängten Boykott gegen den Kauf iranischen Öls und gegen Geschäfte mit der iranischen Nationalbank bekam. Eine entsprechende Resolution des US-Kongresses hatte Präsident Barack Obama am Silvesterabend unterzeichnet. In Indien bedurfte es nicht einmal des persönlichen Erscheinens eines Vertreters des US-Imperiums, um Neu Delhi auf US-Linie zu bringen. Bei Geithners Besuch am Dienstag und Mittwoch (10. und 11. Jan.) in Peking ließen ihn seine Gastgeber jedoch gegen eine Wand laufen. China deckt etwa elf Prozent seines Ölimports aus iranischen Quellen. Zugleich konnte der Abgesandte Washintons auf Grund der enormen Verschuldung gegenüber dem größten Kreditgeber der USA nicht im üblichen Kommandoton auftreten.

Sein Besuch in Peking begann einen Tag nachdem Teheran weitere Fortschritte in der Urananreicherung und deren Verlegung in gut geschützte unterirdische Anlagen bestätigt hatte. Zeitgleich mit Geithners Reise bauen die USA im Verbund mit Israel und Großbritannien die militärische Drohkulisse gegen Iran weiter auf. Die neuen US-Sanktionen und deren Befolgung durch die wichtigsten Staaten des Westens brächten »die USA und China auf Kollisionskurs«, zitierte die chinesische Nachrichtenagentur einen Experten der Tsinghua Universität.

Die Führung in Peking weiß längst, daß Washington angesichts der Erosion des eigenen Weltmachtstatus’ das Reich der Mitte als strategischen Gegner im Visier hat. Die USA tun alles, damit es nicht zu einem ebenbürtiger Gegner heranwachsen kann. Angesichts der neuen, gegen China und Iran gerichteten »SeaAir«-US-Militärstrategie macht sich Peking keine Illusionen, daß es vorerst nur gemeinsam mit Moskau dem Druck des US-Hegemons widerstehen kann, wobei eine Verlängerung der Achse um Teheran von zusätzlichem Nutzen wäre.

Erst am 6. Januar warnte Chinas staatliche Nachrichtenagentur »vor dem wachsenden US-Militarismus«, der versuche, die Volksrepublik einzukreisen. Eine Zeitung der KP lehnte eine »Beschwichtigung« (Appeasement) Washingtons ab und forderte vom Militär ein entschiedeneres Auftreten gegen US-Provokationen. Kurz danach forderte Präsident Hu Jintao vor dem Hintergrund wachsender Spannungen und des US-Strebens nach Dominanz im Pazifik, die chinesische Kriegsmarine dazu auf, sich auf militärische Auseinandersetzungen vorzubereiten.

Allerdings versucht Peking, eine offene Konfrontation zu vermeiden, um den US-Falken und ihren Medien keine Vorlage zu geben. Daher taktiert es selbst bei seiner Ablehnung der US-Sanktionen sehr vorsichtig. So verweisen chinesische Medien darauf, daß wegen langsameren Wirtschaftswachstums die Ölimporte aus Iran ohnehin zurückgehen und derzeit Peking und Teheran einen Disput über den Ölpreis führen.

** Aus: junge welt, 13. Januar 2012


Teheran besucht Freunde

Von Martin Ling ***

Die USA und die EU stehen weitgehend allein. Ihr Ansinnen, die Sanktionen gegen Iran zu verschärfen, stößt in anderen Weltregionen auf wenig Anklang. Weder China noch Russland oder Japan können sich dafür erwärmen, den Konflikt mit Teheran weiter anzuheizen - und Lateinamerika schon gar nicht. Überall auf seinem Vier-Länder-Trip erhielt Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad Rückendeckung für sein Ansinnen, die Atomkraft zivil zu nutzen. Rechtlich ist daran nicht zu rütteln: Iran ist im Gegensatz zu Pakistan, Indien oder Israel dem Atomwaffen-Sperrvertrag beigetreten und hat demnach das Recht auf friedliche Nutzung der Kernkraft ohne Wenn und Aber. Stichhaltige Beweise für militärische Projekte liegen nach wie vor nicht auf dem Tisch.

Iran hat in Lateinamerika viele Fürsprecher, vor allem die von Ahmadinedschad besuchten Staaten Kuba, Nicaragua, Venezuela und Ecuador. Der Grund ist einfach: Lateinamerika emanzipiert sich von Washington. Sanktionen und Einmischung in innere Angelegenheiten werden aus leidvoller eigener Erfahrung nicht goutiert. Deswegen erhält Teheran Rückendeckung.

Einen Freibrief für Ahmadinedschad bedeutet das freilich nicht. An den Menschenrechtsverletzungen des Mullah-Regime wird zumindest von Brasilien und Argentinien offen Kritik geübt. Für Brasilien ist das neu, für Argentinien nicht. Dort pflegt man seit Jahren ein distanziertes Verhältnis zu Teheran, das nach wie vor als Drahtzieher hinter den tödlichen Anschlängen auf das jüdische Gemeindezentrum Amia 1994 in Buenos Aires vermutet wird. Nur in der Atomfrage sind sich alle einig.

*** Aus: neues deutschland, 14. Januar 2012 (Kommentar)


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