Kleriker fordern die Macht heraus
Iran: Vereinigung von Ghom stellt Kompetenz des Wächterrates in Frage
Von Jan Keetman *
Die Erklärung, die iranische Theologen am Samstag (4. Juli) auf ihre
Internetseite stellten, war eine symbolische Ohrfeige für die höchsten
Repräsentanten der Islamischen Republik.
Die Vereinigung der Lehrer und Forscher von Ghom bezeichnete den
Islamischen Wächterrat als parteiisch und sprach ihm die Berechtigung
ab, über die Rechtmäßigkeit der Präsidentenwahl vom 12. Juni zu
urteilen. »Wie kann man die Legitimität der Wahl annehmen, nur weil der
Wächterrat das so sagt?« fragten die Theologen rhetorisch.
Die Legitimität der Regierung Ahmadinedschad, die Unparteilichkeit des
Wächterrates und unausgesprochen auch die Autorität des Islamischen
Führers Ali Chamenei, der die Wahl ebenfalls verteidigt hatte – alles
steht mit dieser Erklärung in Frage. Mehr noch, die Theologen zogen
sogar eine Parallele zwischen den »Märtyrern«, die bei Demonstrationen
wegen des angenommenen Wahlbetruges starben und den Märtyrern, die bei
der Islamischen Revolution 1979 von den Truppen des Schah getötet wurden
sowie den Gefallenen im Krieg gegen Irak.
Die Vereinigung der Lehrer und Forscher von Ghom ist eine angesehene
Gruppe, in der viele den Reformern nahestehende Theologen vertreten
sind. Trotzdem ist das Gremium kein Organ nur eines Flügels der
iranischen Politik. Vor der Wahl hatten die Theologen Neutralität
gewahrt. Ihr jetziger Einspruch hat zwar keine unmittelbare
Konsequenzen, führt aber vor Augen, in welch schwieriger Situation sich
das Establishment befindet. In der iranischen Verfassung waren von
Anfang an zwei Fallstricke eingebaut. Der eine ist die doppelte
Legitimation der Islamischen Republik durch Wahlen und zugleich durch
religiöse Autorität. Der andere Fallstrick ist die Festlegung, dass der
religiöse Führer allein diese Autorität repräsentiert. Der Vorwurf des
Wahlbetruges stellte die erste dieser beiden Säulen in Frage, der
Einspruch der Theologen nun die zweite.
Andererseits hat auch der umstrittene Präsident Mahmud Ahmadinedschad im
religiösen Zentrum Ghom viele Unterstützer. Ein Teil der Seminare wird
von seiner Regierung direkt subventioniert und es gehört nicht viel
Fantasie dazu sich auszumalen, dass er nun bemüht sein wird, den
Einfluss der Regierung auf Ghom auszuweiten. Es dürfte nun jedoch
schwerer werden, die Behauptung aufrecht zu halten, die Proteste nach
der Wahl seien vom Ausland inszeniert. In einem Editorial stellte die
konservative Zeitung »Kayhan«, die sich im Besitzt des religiösen
Führers Ali Chamenei befindet, sogar die Behauptung auf, der unterlegene
Kandidat Mir Hussein Mussawi sei ein ausländischer Agent. Damit hätte
ein Agent, nämlich Mussawi, in Iran acht Jahre lang unter Chomeini das
Amt des Ministerpräsidenten innegehabt! Der Machtkampf in Iran muss
schon sehr weit fortgeschritten sein, dass man zu solchen Behauptungen
greift.
Nichtsdestotrotz haben Ahmadinedschad und Chamenei weiter die
staatlichen Medien, die Justiz, die Revolutionsgarden mit ihrer Miliz
auf ihrer Seite, während die Massenproteste unterdrückt werden. Damit
ist der Ausgang des Machtkampfes auf mittlere Sicht wenig zweifelhaft.
Schwieriger könnte die Situation für die Regierung allerdings werden,
wenn mehr prominente Theologen ihr die Legitimität in persönlichen
Äußerungen absprechen. Dies haben bereits die unterlegenen
Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi sowie
der ehemalige Präsident Ayatollah Mohammed Chatami getan.
Mussawi hat am Samstag (4. Juli) einen Report veröffentlicht, in dem er
versucht, den Vorwurf des Wahlbetrugs weiter zu erhärten. So behauptet
Mussawi, die Zahl der gedruckten Wahlzettel übersteige die Zahl der
Wähler um 20 Millionen. Auch dies ist allerdings kein sicherer Beweis
für Wahlbetrug. Da die Wähler nicht gezwungen waren, in einem bestimmten
Wahllokal abzustimmen, lässt sich ein Überschuss an Wahlzetteln mit der
Notwendigkeit rechtfertigen, in den Lokalen eine Reserve für zusätzliche
Wähler vorzuhalten. Die große Zahl zusätzlicher Wahlzettel zeigt aber
zumindest, wie anfällig die Prozedur für Manipulation war.
* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2009
Machtkampf: Spannungen im iranischen Klerus **
Die New York Times veröffentlichte am Sonntag einen Bericht ihrer
Korrespondenten Michael Slackman (Kairo) und Nazila Fathi (Toronto) über
eine Erklärung hoher muslimischer Geistlicher im Iran, mit der letztere
sich nach Ansicht der beiden Journalisten der Führung des Landes unter
Ajatollah Ali Khamenei, widersetzen. In dem Artikel heißt es:
Die wichtigste Gruppe religiöser Führer im Iran hat am Sonnabend die
umstrittene Präsidentschaftswahl und die neue Regierung als illegitim
bezeichnet – ein Akt der Herausforderung gegen den obersten Führer des
Landes und das bisher deutlichste öffentliche Anzeichen für eine größere
Spaltung in der klerikalen Führungsschicht des Landes.
Eine Erklärung der Gruppe, der Gemeinschaft von Forschern und Lehrern
von Qom, bedeutet einen wichtigen, bislang nur symbolischen Dämpfer für
die Regierung und besonders für die Autorität des obersten Führers,
Ajatollah Ali Khamenei (...).
Seit der Wahl hatte sich der Großteil der klerikalen Führungsschicht in
der heiligen Stadt Qom, einem wichtigen religiösen und politischen
Machtzentrum, weitgehend in Schweigen gehüllt (...). Die Gruppe hatte
allerdings bereits früher eine Annullierung der Wahlen verlangt, weil so
viele Iraner gegen die Ergebnisse Einwände erhoben. Aber sie hatte nie
direkt die Legitimität der Regierung und darüber hinaus des obersten
Führers (Khamenei, jW) bezweifelt. (...) Die Erklärung der Kleriker
rügte die politische Führung für das Versäumnis, Beschwerden über
Abstimmungsmanipulationen adäquat zu untersuchen, und prangerte den
Gebrauch von Gewalt bei der Zerschlagung der großen öffentlichen
Proteste an. Sie kritisierte sogar direkt den Wächterrat, die mächtige
Gruppe von Geistlichen, die mit der Prüfung der Wahlen betraut ist. »Ist
es möglich, die Wahlergebnisse allein auf Grund der Bewertung durch den
Wächterrat als legitim zu betrachten?« fragte die Gemeinschaft.
Für den obersten Führer vielleicht noch bedrohlicher ist, daß das
Komitee andere Geistliche aufrief, sich dem Kampf gegen die Weigerung
der Regierung anzuschließen, die Klagen wegen Wahlbetrugs angemessen zu
berücksichtigen. Das Komitee benutzte eine mächtige Symbolik, indem es
die 20 Menschen, die während der Demonstrationen getötet wurden, mit den
Märtyrern verglich, die in der Frühzeit der Revolution und des Krieges
mit dem Irak starben, und indem es andere Geistliche dazu aufforderte,
das zu bewahren, was es »die Würde, die mit dem Blut von Zehntausenden
Märtyrern, gewonnen wurde« nannte.
Die Erklärung wurde am Sonnabend abend auf die Internetseite der
Gemeinschaft gestellt und von vielen anderen Websites übernommen,
einschließlich dem iranischen Programm von BBC (...).
** Aus: junge Welt, 6. Juli 2009
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