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Bombardiert Israel iranische Atomanlagen ...

... dann in der sicheren Annahme, dass die USA nicht zögern werden, ebenfalls in den Krieg zu ziehen

Israel hat am Wochenende bestätigt, dass die eigene Luftwaffe jüngst bei Manövern im Mittelmeer Bombenabwürfe auf iranische Atomanlagen geprobt hat. Gleichzeitig meldeten sich israelische Militärs zu Wort, die einen baldigen Militärschlag gegen Teheran nicht ausschließen. Aus diesem Grund dokumentierte die Wochenzeitung "Freitag" die aktualisierte Version eines Kapitels aus dem neuen Buch des Osnabrücker Sozial- und Regionalwissenschaftlers Mohssen Massarrat: "Kapitalismus - Machtungleichheit - Nachhaltigkeit" (VSA-Verlag, Hamburg 2006), das sich mit den Beziehungen zwischen den USA und Israel beschäftigt.



Von Mohssen Massarrat *

Kein Zweifel - die Eliten beider Staaten sitzen im stürmischen Ozean unserer Welt im gleichen Boot. Während der US-Vorwahlen beteuerten nicht nur John McCain und Hillary Clinton vor der versammelten Lobby des American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) ihre Ergebenheit - in erstaunlich unterwürfiger Form tat das auch Barack Obama. Die Thesen der Politologen John Mearsheimer und Stephen Walt über den Einfluss der Israel-Lobby auf die US-Außenpolitik bewahrheiten sich offenkundig auf ganzer Linie. Umgekehrt gilt, dass amerikanische Regierungen die israelische Politik auch ohne amerikanische Lobby maßgeblich bestimmen.

Wie nie zuvor ist in den letzten Jahren aus dieser Verflechtung eine Art Schicksalsgemeinschaft geworden. Im Libanon-Krieg 2006 formulierte Condoleezza Rice die Bedingungen für einen israelischen Waffenstillstand, als wäre sie auch Außenministerin von Israel: "Wenn die Hisbollah entwaffnet, die Waffenlieferungen unterbunden sind und eine internationale Stabilisierungstruppe im Südlibanon stationiert ist, dann wird Israel einer Waffenruhe zustimmen."

Prekäre Pioniergesellschaften

Doch standen US-Präsidenten nicht immer so bedingungslos hinter Israel. Während des Suez-Krieges 1956 zwischen Frankreich, Großbritannien und Israel auf der einen und Ägypten auf der anderen Seite setzte Präsident Eisenhower die Regierung in Tel Aviv massiv unter Druck, den Waffengang zu beenden.

Israel baute sein Atomprogramm zunächst mit Unterstützung Frankreichs auf, während sich die Begeisterung eines John F. Kennedy für ein Israel mit Atombomben in Grenzen hielt. Gleichwohl erklärte mit Kennedy erstmals ein US-Präsident die Sicherheit Israels zu einem unmittelbaren Anliegen der USA und sprach von "special relationship" wie bei Großbritannien.

In den achtziger Jahren entwickelte sich das Verhältnis von "special" zu "strategic relationship" weiter. Es ist offensichtlich: Israels Beziehung zu den USA wurde in dem Maße intensiviert, wie sich immer klarer herausstellte, dass der Mittlere Osten eine unersetzbare Säule der US-Hegemonie war und bleiben würde. Fortan wurde Israel zu einem genauso unersetzbaren Verbündeten und zum strategischen Brückenkopf der Vereinigten Staaten für den Mittleren Osten und die gesamte arabische Welt.

Doch erst im Januar 2001, mit der Regierungsübernahme der Neokonservativen in Washington, wurde immer klarer erkennbar, wie stark - neben den gemeinsamen Sicherheitsinteressen - Israel und die USA auch durch tiefe kulturelle Verwandtschaften und Parallelen bei ihrer Entstehung miteinander verbunden waren: In der israelischen Vorgeschichte und in der zionistischen Programmatik spiegeln sich, wie der Friedensforscher Gerd Krell meint, "einige zentrale Aspekte des amerikanischen Selbstverständnisses wider. Beide Gesellschaften sind vordergründig säkular, aber in beiden spielt die Religion eine zentrale Rolle. Der Bezug zum Heiligen Land ist nicht nur für viele Israelis, sondern auch für viele US-Amerikaner von hoher Symbolik. Beide Länder sind aus zunächst durchaus prekären Pioniergesellschaften hervorgegangen, die sich in schwierigen Unabhängigkeitskriegen als Staaten etablierten. Beide Gesellschaften sind hochgradig, wenn auch hierarchisiert multikulturell."

Hinzu kommt, dass beide Staaten durch die Vertreibung anderer Völker - indianische Ureinwohner in den USA und Palästinenser in Palästina - gegründet wurden, und die jeweiligen Regierungen ihre innenpolitische Legitimität vorzugsweise der äußeren Bedrohung und den geltenden Feindbildern zu verdanken hatten.

Für Amerika war es ursprünglich die Bedrohung durch die indianischen Ureinwohner, dann durch den Kommunismus während des Kalten Krieges, schließlich durch den Islam und den internationalen Terrorismus. Und für Israel waren zunächst die Araber und die Fatah, nach der islamischen Revolution von 1979 der Iran und seine Revolutionsgarden, schließlich islamische Fundamentalisten wie die Hamas und die Hisbollah sowie der internationale Terrorismus die Hauptquellen dauerhafter Gefährdung. Uri Avnery brachte es vor kurzem auf den Punkt, als er schrieb: "Israel ist ein kleines Amerika - und die USA sind ein großes Israel".

Auch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dank der Selbstpropaganda und dem Gerede vom "Kampf der Kulturen" die Bedrohungsängste in beiden Staaten inzwischen nahezu pathologische Züge annehmen. Der israelische Psychologe Dan Bar-On verweist in diesem Zusammenhang auf das "grundlegende Opfergefühl der jüdischen Bevölkerung" in Israel, um das Verhaltensmuster Israels zu deuten: "Die Opfer haben gegenüber den Tätern einen entscheidenden Vorteil: Sie müssen keine Verantwortung für ihre eigenen Taten übernehmen, da diese nur die Reaktion auf die bösen Taten anderer sind." Der britische Philosoph Oren Ben-Dor behauptet sogar, dass "der israelische Staat ... eine Opfermentalität unter israelischen Juden pflegt", um das Kernproblem Israels zu verbergen. Dies bestehe darin, so Ben-Dor, dass "Israel mit Hilfe von Terror geschaffen worden" und immer noch mit einem moralisch durch nichts zu rechtfertigenden Makel "ethnischer Säuberung" behaftet sei.

Für Israels Verhaltensmuster spielt auch das Schuldgefühl, das andere Völker angesichts des Holocausts empfinden, eine wichtige Rolle. Viele Amerikaner fühlen sich gerade deshalb moralisch verpflichtet, Israels Existenz zu schützen, was dazu führt, jegliche Kritik der israelischen Kriegs- und Besatzungspolitik als "antisemitisch" zu diskreditieren. Doch wird diese Politik selbst von jüdischen Intellektuellen inzwischen immer offener als neue Quelle des Antisemitismus kritisiert. "Wenn Israel die Bevölkerung in den besetzten Gebieten ausraubt und demütigt", schreibt Tony Judt, der Direktor des Remarque-Instituts an der New Yorker Universität, "zugleich aber jedem Kritiker mit lauter Stimme ›Antisemit‹ entgegengeschleudert wird, heißt das in Wirklichkeit: Was im Libanon, in der Westbank und in Gaza geschieht, das sind keine israelischen, sondern jüdische Akte. Und wenn Du das nicht magst, dann nur, weil Dir Juden unsympathisch sind. In vielen Teilen der Welt läuft diese Position Gefahr, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zu werden."

40 mal ein Veto eingelegt

Außer diesen einmaligen historischen, kulturellen und politischen Gemeinsamkeiten, die sich nicht zufällig auch in den gemeinsamen neuen Feinden (Islam und Terrorismus) widerspiegeln, verbindet die USA mit Israel im Mittleren und Nahen Osten ein dem Wesen nach unfriedliches Politikmuster: die USA verfolgen eine Politik, die die Region destabilisiert, da ansonsten die Grundlage ihrer Hegemonie entfiele. Und Israel hat Angst vor dem Frieden, da es sich dazu auf einen Prozess einlassen müsste, an dessen Ende die Rückgabe der besetzten Gebiete stehen würde. Letztlich auch eine kulturelle wie mentale Umorientierung hin zur Koexistenz mit seinen arabisch-islamischen Nachbarn.

Die USA sind aus hegemonialpolitischen Interessen auf einen total verlässlichen regionalen Verbündeten angewiesen - und Israel ist davon überzeugt, dass allein die USA die notwendige Gewähr für seine Existenz gegen die äußeren Bedrohungen liefern können. Damit erweist es sich als der natürliche Verbündete der USA in dieser Region - und das unabhängig von jedwedem Regierungswechsel, während alle anderen US-Verbündeten in der gleichen Region wie Ägypten oder Saudi-Arabien nicht zuletzt wegen der US-Hegemonial- und Israel-Politik bestens dafür prädestiniert sind, nach einem Regimewechsel - wie es im Iran 1979 der Fall war - von Verbündeten zu Feinden der USA zu werden. Auf dieser Basis wurde Israel zum unverzichtbaren Brückenkopf.

Dies erklärt, warum Israel bei der Wirtschafts- und Militärhilfe seit den siebziger Jahren an der Spitze der US-Auslandshilfe liegt und nahezu alle Rüstungsgüter erhält, die es wünscht. Dies erklärt auch, weshalb die USA seit Gründung der Vereinten Nationen im Sicherheitsrat bisher 40 mal ihr Veto eingelegt haben, um Israels Verurteilung wegen der Verletzung internationaler Normen oder völkerrechtlich verbindlicher UN-Resolutionen zu verhindern.

Die Geschichte zeigt freilich auch, dass diese Schicksalsgemeinschaft zu einer der größten Gefahren für den Weltfrieden geworden ist und am wenigsten für die Sicherheit Israels bürgt. Es wäre in dessen Interesse, sich dem Kulturkreis zuzuwenden, aus dem es seine Existenz historisch ableitet: den jüdischen Wurzeln mitten im alten Orient, der Geburtsstätte der drei großen Weltreligionen. Es wäre im Interesse des Weltfriedens, dass auch die USA ihre Beziehungen zu den Staaten im Mittleren Osten normalisieren, will sagen, sowohl die Feindseligkeit gegen Iran wie die Dominanz gegenüber unterwürfigen arabischen Staaten beenden. Vielleicht gelingt Barack Obama ein erster Schritt in diese Richtung.

Zwischentitel von der Freitag-Redaktion

* Aus: Freitag 27, 4. Juli 2008 (Rubrik: "Dokument der Woche")


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