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Die EU droht und wiegelt ab

Widersprüchliche Haltung gegenüber dem iranischen Atomprogramm - Schröder mit Antikriegs-Rhetorik

Noch längst ist das letzte Kapitel im Streit um das iranische Atomprogramm nicht geschrieben. Mit der Wiederaufnahme der Arbeiten in Isfahan hat Teheran der EU einen diplomatischen Dämpfer verpasst. Dennoch kann es sich im Augenblick weder die EU noch gar die wahlkämpfende deutsche Bundesregierung leisten, den Konflikt weiter zu eskalieren.
Im Folgenden dokumentieren wir drei neuere Kommentare und Artikel zu dem Dauerthema "Iranische Atompolitik".



Misstrauisch

Von Karl Grobe*

Die Spuren waffenfähigen Urans in iranischen Gaszentrifugen sind wohl doch Verunreinigungen, die aus dem Herkunftsland stammen. Die Zentrifugen hat Iran auf dem Schwarzmarkt eingekauft; Lieferland war Pakistan. Die Teheraner Atom-Spezialisten haben das immer behauptet. Die internationale Atombehörde IAEO hat jetzt in ihren Analysen nichts anderes gefunden. Damit ist die Befürchtung, das Mullah-Regime strebe insgeheim nach nuklearer Rüstung, nicht ganz entkräftet - verborgene Absichten entziehen sich naturwissenschaftlicher Analyse -, aber sie reduziert sich zusehends auf den Faktor Misstrauen.

Die neue Teheraner Regierung, ein Kabinett von Hardlinern, nährt durch ihre Zusammensetzung das Misstrauen. Ebenso wie die jüngsten Demonstrationen iranischer Studenten vor der britischen Botschaft und ihre Verwünschungen gegen die europäischen Verhandlungswilligen und die USA.

Es kann noch verhandelt werden; es muss verhandelt werden. Die Europäer müssen diese Linie beibehalten. Drohungen mit Waffengewalt geben denen Argumente in die Hand, die doch Atomwaffen wollen, um ihr Land unangreifbarer zu machen. Die kriegerischen Brummtöne von regierenden Washingtoner Hardlinern bewirken just das: Eskalation bis zur Unumkehrbarkeit einer gefährlichen, dann wohl doch militärischen Entwicklung.

* Aus: Frankfurter Rundschau, 16. August 2005


Falscher Verdacht?
Eine Analyse pakistanischer Komponenten von Anreicherungszentrifugen scheint Iran Recht zu geben, wie ein Diplomat sagte. Die Zentrifugen sind mit denen von Iran auf dem Schwarzmarkt erworbenen identisch, Iran behauptet, bei den Uran-Spuren handle es sich um Verunreinigungen. "Das muss sich noch erhärten, aber alle vorläufigen Analysen zeigen, dass die Partikel aus Pakistan zu stammen scheinen", ergänzte der Diplomat. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) wollte dazu keine Stellungnahme abgeben. Die Frage, ob die Spuren waffenfähigen Urans aus dem iranischen Atomprogramm stammen, sei ungeklärt.
Bereits zuvor hatte es jedoch Berichte gegeben, Iran habe das hochgradig angereicherte Uran, dessen Spuren gefunden wurden, nicht selbst hergestellt.
Iran beharrt darauf, das Atomprogramm sei nur auf Energiegewinnung ausgerichtet, westliche Regierungen verdächtigen das Land, Atomwaffen bauen zu wollen.
(Meldungen vom 15./16. August 2005)

Die im Iran gefundenen Partikel hoch angereicherten Urans stammen nach Ansicht der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA nicht aus iranischen Nuklearanlagen. Vorbehaltlich unabhängiger Expertisen gehe die IAEA davon aus, dass Teheran die Wahrheit über die Uran-Rückstände gesagt habe, sagten Diplomaten aus dem Umfeld der UN-Behörde am 19. August der Nachrichtenagentur AFP in Wien. Die verdächtigen Uran-Partikel stammen nach den Worten eines Diplomaten aller Wahrscheinlichkeit nach aus Pakistan.
Meldungen vom 18./19. August)


Faustpfand Natanz

Von Knut Mellenthin*

Isfahan sei »kein Thema mehr«, sagte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid Reza Asefi, am Montag. »Was jetzt noch zur Diskussion auf dem Tisch liegt, ist Natanz.« Teheran habe »konkrete Pläne« für Natanz. »Europas Verhalten wird die Entscheidung erheblich beeinflussen.«

Gemeint ist: Die am 8. August eingeleitete Wiederinbetriebnahme der Konvertierungsanlage von Isfahan, wo Rohuran in Gas umgewandelt wird, ist unwiderruflich. Iran könnte darüber hinaus aber auch die Arbeiten in Natanz wieder aufnehmen, falls das EU-Trio (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) weitere Verhandlungen blockiert. In Natanz soll das gasförmige Uran angereichert werden, um Brennstoff für Atomkraftwerke zu produzieren. Mit der Option, auch in Natanz weiterzuarbeiten – die Anlage ist noch nicht fertiggestellt –, hat Iran ein wirkungsvolles Druckmittel in der Hand, das EU-Trio wieder an den Verhandlungstisch zurückzuholen und vielleicht doch noch einen Kompromiß zu erreichen.

Die am 11. August nach dreitägiger Beratung verabschiedete Erklärung des Vorstands der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) stellte, entgegen dem vorherrschenden Medienecho, keinen Erfolg des EU-Trios dar. Zwar wurde »ernste Besorgnis« über die Wiederinbetriebnahme von Isfahan formuliert. Darüber hinaus wurde Iran aufgefordert, zu seiner freiwilligen Unterbrechung aller mit der Urananreicherung verbundenen Arbeiten zurückzukehren. Aber im Gegensatz zur Absicht des EU-Trios und der USA enthält die IAEA-Stellungnahme keinerlei Ultimatum.

Der einzige konkrete Schritt, auf den sich das Gremium einigen konnte, war der Auftrag an IAEA-Chef Mohamed ElBaradei, am 3. September einen neuen Bericht über das iranische Atomprogramm vorzulegen. Wenn er dann nicht die Stillegung von Isfahan melden kann, werden die USA und das EU-Trio vermutlich die Verweisung des Streits an den UNO-Sicherheitsrat beantragen, um dort Sanktionen durchzusetzen. Genau an diesem Punkt sind sie aber schon mehrfach in der Vergangenheit gescheitert. So zuletzt auch während der Sitzung des IAEA-Vorstands in der vergangenen Woche.

Vor allem die Gruppe der blockfreien Staaten – u.a. Brasilien, Argentinien, Malaysia und Südafrika – wehrt sich gegen eine diskriminierende Behandlung Irans. Diese Länder sehen darin einen gefährlichen Präzedenzfall auch für ihre eigenen Atomprogramme. Da der IAEA-Vorstand traditionell einstimmig, also im Konsens aller 35 dort vertretenen Staaten, entscheidet, haben auch die Blockfreien am 11. August dem Beschluß zugestimmt, obwohl er aus ihrer Sicht nicht optimal ist.

Das hat bei manchen iranischen Politikern und Medien Enttäuschung ausgelöst. Andere verweisen darauf, daß durch das Eingreifen der Blockfreien, zu denen sich zeitweise auch China gesellte, ein Ultimatum verhindert wurde. Außerdem erreichten die Blockfreien, daß in der verabschiedeten Stellungnahme das Recht aller Staaten auf zivile Atomprogramme, einschließlich der Anreicherung, bekräftigt wurde.

Während der letzten Sitzung des IAEA-Vorstands stand zeitweise die Drohung des EU-Trios im Raum, eine Kampfabstimmung zu erzwingen, die die Blockfreien wahrscheinlich verloren hätten. Diese Option wird wohl auch die nächste Sitzung im September bestimmen.

* Aus: junge Welt, 17. August 2005


Schröder spielt Frieden

Von Knut Mellenthin**

Der Streit um das iranische Atomprogramm ist endgültig zum deutschen Wahlkampfthema geworden. Im Bemühen um eine Lösung des Konflikts mit Iran dränge die Bundesregierung auf eine maximale Geschlossenheit des Westens. Dies sei notwendig, um eine »starke Verhandlungsposition« gegenüber Teheran aufzubauen, betonte Vizeregierungssprecher Thomas Steg am Montag in Berlin. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte am Wochenende auf einer Veranstaltung in Hannover lautstark gefordert, militärische Drohungen gegen Iran zu unterlassen. »Wir haben gesehen, daß das nicht funktioniert«. In der Bild am Sonntag legte der Kanzler nach mit dem Versprechen, unter seiner Regierung sei eine deutsche Beteiligung an Kriegshandlungen gegen Iran ausgeschlossen – Schröder hatte mit diesen Äußerungen auf US-Präsident George W. Bush reagiert, der am Freitag gesagt hatte, er schließe eine militärische »Option« nicht aus.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sprang seinem Kanzler am Montag zur Seite. Alle wüßten, daß Iran eine kritische Region sei. Es sei aber eine böswillige Interpretation zu behaupten, Schröder habe Bush persönlich kritisiert. »Der Kanzler hat nicht jemand bestimmtes angesprochen, sondern hat generell deutlich gemacht, daß wir Friedensmacht sein wollen und dazu beitragen, daß Frieden ist in der Welt«, sagte er im rbb-Inforadio.

Die Union sah dies anders. Führende CDU-Politiker kritisierten Schröders Versuch, erneut die Antikriegskarte zu spielen, mit der er schon vor drei Jahren die Bundestagswahl gewonnen hatte. Wolfgang Schäuble erklärte am Montag in der Welt: »Der Bundeskanzler erweckt in Teheran den fatalen Eindruck, daß die Weltgemeinschaft nicht mehr geschlossen ist. Damit nimmt er in Kauf, daß die Gefahr einer iranischen Atombombe wächst.«

Für die SPD gibt es kein besseres Thema, CDU/CSU ins Schwitzen zu bringen. Wahrscheinlich hat Schröder das schon einkalkuliert, als er sich nach der Wahlniederlage in Nordrheinwestfalen für Neuwahlen entschied. Die Zuspitzung des Streits mit Iran war zeitlich genau vorhersehbar. Mehr noch: Die deutsche Regierung hat, im engen Zusammenwirken mit Großbritannien und Frankreich, durch absolute Kompromißlosigkeit dafür gesorgt, daß die seit Herbst 2003 geführten Verhandlungen mit Teheran in der Sackgasse gelandet sind.

Die Bundesregierung kann schon in den nächsten Tagen zeigen, ob sie daraus etwas gelernt hat. Für den 31. August war das nächste Treffen zwischen EU-Trio und Iran vereinbart. Frankreich hat aber erklärt, daß nicht verhandelt wird, sofern Iran nicht die vor einer Woche wieder aufgenommenen Arbeiten in der Urankonvertierungsanlage Isfahan stoppt. Das wird, darin sind sich alle iranischen Politiker einig, nicht geschehen. Trotzdem will Teheran weiter verhandeln. Ein klares Wort aus Berlin gegen die französische Blockadehaltung könnte jetzt dafür sorgen, daß nicht alle Türen zugeschlagen werden.

** Aus: junge Welt, 16. August 2005


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