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Nächste Runde im Streit um das iranische Atomprogramm

IAEA beginnt mehrtägige Beratungen in Wien - Russischer Kompromissvorschlag - Iranische Flucht in den UN-Sicherheitsrat?

Am 24. November beginnt in Wien eine mehrtägige Vorstandstagung des IAEA, der Internationalen Atomenergiebehörde. auf der Tagesordnung: das iranische Atomprogramm. Im Folgenden dokumentieren wir einen interessanten Hintergrundbericht der russischen Nachrichtenagentur Nowosti sowie einen aktuellen Beitrag aus der "jungen Welt".



Will Teheran die Übergabe des eigenen Nukleardossiers an den UNO-Sicherheitsrat?

Die Vermutungen, dass Teheran selbst die Übergabe des iranischen Nukleardossiers an den UNO-Sicherheitsrat initiiert, sind nicht grundlos.

Von Pjotr Gontscharow, RIA Nowosti, Moskau


Es entsteht der Eindruck, dass Teheran alles dafür tut, dass das iranische Nukleardossier an den UNO-Sicherheitsrat übergeben wird. Es ist praktisch unmöglich, die jüngsten Erklärungen und die vom offiziellen Teheran in Bezug auf das iranische Nuklearprogramm unternommenen Schritte anders zu bewerten. Um so mehr, als dies vor einer Tagung des Gouverneursrates der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) passierte. Auf dieser Tagung soll geklärt werden, ob das iranische Nukleardossier dem UNO-Sicherheitsrat zur Prüfung vorgelegt wird, was Iran praktisch mit unweigerlichen internationalen Sanktionen droht oder zu einem neuen Aufschub führt.

Am 24. September hatte der IAEO-Gouverneursrat eine Resolution zu Iran angenommen, die eine Reihe von sehr harten Forderungen enthält. Darunter die Einstellung der Urananreicherung durch Iran und die Aufforderung zur Übergabe des iranischen Dossiers an den UNO-Sicherheitsrat, wenn diese Forderungen nicht erfüllt werden sollten.

Die Resolution lehnt faktisch alle Forderungen Teherans nach der Schaffung eines eigenen vollen Krenbrennstoffzyklus ab, dessen Hauptglied in der technologischen Kette die Urananreicherung ist. Es sei daran erinnert, dass die Entwicklung des technologischen Prozesses zur Urananreicherung die Produktion von Kernwaffen ermöglicht, wessen die USA und eine Reihe anderer Staaten Iran eigentlich verdächtigen.

Soweit ich mich erinnere, hat Teheran auf diese Resolution des IAEO-Gouverneursrates sehr empfindlich reagiert. Es wäre logisch, anzunehmen, dass Teheran Schritte zur Suche nach einer wenn nicht Kompromiss-, so wenigstens Zwischenlösung des Problems unternimmt.

Als Kompromisslösung des Iran-Problems wurde die russische Variante geprüft, laut der alle Arbeiten zur Urananreicherung und zur Produktion von Kernbrennstoff in Russland durchgeführt werden sollen. Als Zwischenlösung wäre es logisch, von Teheran eine Erklärung über die Verlängerung seines Moratoriums für die Urananreicherung zu erwarten, was auf die Fortsetzung der Verhandlungen mit der "europäischen Drei" hoffen ließe. Kaum würde in so einem Fall die "europäische Drei" und die USA auf der Tagung des IAEO-Gouverneursrates fordern, die Iran-Frage an den UNO-Sicherheitsrat zu übergeben.

Mehr noch. Laut einigen Experten haben angeblich die "europäische Drei" (Frankreich, Großbritannien und Deutschland) und die USA in der vorigen Woche Teheran die russische Variante vorgeschlagen. Aber der Leiter der Organisation für Atomenergie Irans, Gholamreza Agazade, wies diese Initiative zurück und erklärte, dass der iranische Kernbrennstoff auf dem Territorium des Landes produziert werden solle.

Damit nicht genug. Bekanntlich benachrichtigte Iran die IAEO Ende Oktober über die Absicht, die Uranverarbeitung wieder aufzunehmen. Der Rohstoff, dessen Verarbeitung in Isfahan geplant ist, reicht für die Entwicklung eines Kernsprengkopfes aus. Schenkt man den aus anonymen, der IAEO nahe stehenden Quellen stammenden Informationen Glauben, so hat Iran die Verarbeitung einer neuen Uranpartie im Nuklearkomplex in Isfahan schon in Angriff genommen. Deshalb sind die Vermutungen, dass Teheran selbst die Übergabe des iranischen Nukleardossiers an den UNO-Sicherheitsrat initiiert, nicht grundlos.

Wer in der IAEO für die Übergabe des iranischen Dossiers und wer dagegen stimmen wird, steht auf einem anderen Blatt. Es ist verständlich, dass der UNO-Sicherheitsrat kein Institut für Studien politischer Probleme ist und ihm Probleme zur Prüfung in der Regel dann übergeben werden, wenn eine Aussicht auf einen Konsens seiner ständigen Mitglieder besteht. Deshalb ist es wichtig, wie sich Russland und China in der IAEO-Sitzung verhalten werden. In der vorangegangenen Sitzung des IAEO-Gouverneursrates hatten sie sich der Stimme enthalten. Es ist noch offen, wie sie sich diesmal entscheiden werden. Der russische Außenminister, Sergej Lawrow, erklärte nach einem Treffen mit US-Außenministerin Condoleezza Rice vor der Presse, dass sich Moskau und Washington geeinigt haben, beim iranischen Nuklearproblem im Format "Drei" plus Russland, plus USA zusammenzuarbeiten. "Wir haben die gemeinsame Einsicht, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen werden könnten. Wir werden alles tun, damit sie zustande kommen", sagte Lawrow.

Natürlich wird Moskau alles tun, was für die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Iran und der "europäischen Drei" und für die Zusammenarbeit Iran-IAEO notwendig ist. Aber dafür reichen die Bemühungen Moskaus allein nicht aus. Notwendig ist auch ein Entgegenkommen Teherans. Vorläufig ist ein solches nicht zu erkennen.

Quelle: Russische Presseagentur Nowosti, 21.11.2005; http://de.rian.ru.


Fauler Kompromiß

IAEA-Tagung: Neue Runde im Streit um Irans nichtmilitärisches Atomprogramm. Teheran soll Zugeständnisse machen

Von Knut Mellenthin*

Der Streit um das zivile iranische Atomprogramm steht erneut auf der Tagesordnung der am heutigen Donnerstag [24.11.2005] beginnenden Vorstandssitzung der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) in Wien. Abermals sind mehrtägige Beratungen über das Thema zu erwarten. Auf seiner letzten Sitzung Ende September hatte das Gremium einer von der EU eingebrachten Resolution zugestimmt, die ausdrücklich feststellte, daß der Streit in die Kompetenz des UNO-Sicherheitsrats fällt. Angenommen wurde die Entschließung mit 22 Stimmen gegen eine einzige Gegenstimme (Venezuela) bei zwölf Enthaltungen (unter anderem Rußland und China). Damit sind USA und EU ihrem Ziel, den Iran mit UNO-Sanktionen unter Druck zu setzen, einen Schritt nähergekommen. Um den Streit aber wirklich an den Sicherheitsrat zu übergeben, wäre eine weitere Resolution des IAEA-Vorstands erforderlich. Außerdem müßte gewährleistet sein, daß Rußland und China Sanktionen mittragen würden, da sie im Sicherheitsrat Vetorecht haben.

Vor diesem Hintergrund scheinen sich Insiderinformationen zu bewahrheiten, wonach USA und EU auch auf der heute beginnenden IAEA-Sitzung nicht die förmliche Einschaltung des Sicherheitsrats anstreben werden. Amerikanische und europäische Politiker wollen sich noch mehr Zeit nehmen, die russische Regierung in ihrem Sinne zu bearbeiten.

Im Zentrum der IAEA-Sitzung wird deshalb vermutlich ein russischer »Kompromißvorschlag« stehen, der den Iranern aber offiziell überhaupt noch nicht vorgestellt worden ist. Der Kern des Vorschlags soll darin bestehen, daß Iran – wie von USA und EU gefordert – auf eigene Urananreicherung verzichtet. Sie soll statt dessen in Rußland vorgenommen werden. Diese schon seit Monaten gehandelte Idee bietet Teheran weder politisch noch wirtschaftlich eine annehmbare Lösung.

Es wird vermutet, daß das EU-Trio (Großbritannien, Deutschland und Frankreich) jetzt Iran zur Wiederaufnahme der Gespräche auffordern wird, die die Europäer im August abgebrochen hatten. Bedingung: Teheran müßte sich zuvor grundsätzlich mit dem russischen Vorschlag einverstanden erklären. Eine vorherige Einstellung der Arbeiten in der Konvertierungsanlage Isfahan, wie bisher gefordert, soll hingegen nicht Bedingung sein.

* Aus: junge Welt, 24. November 2005


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