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Es wäre eine Katastrophe...

Bahman Nirumand über die Gefahr eines Angriffkrieges gegen Iran und die Notwendigkeit einer besonnenen Nahostpolitik *


Vor dem Hintergrund massiver Drohungen Israels gegenüber dem Iran warnt BAHMAN NIRUMAND vor den Gefahren für den Weltfrieden. In seiner soeben erschienenen Studie »Iran. Israel. Krieg« (Verlag Klaus Wagenbach, 112 S., br., 9,90 €) sucht er sachlich und kritisch nach den Gründen für die vorgebliche Feindschaft. Mit Bahman Nirumand sprach für »nd« ADELBERT REIF.


nd: Herr Nirumand, nicht erst seit Beginn der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad liefern sich Iran, Israel und die USA aggressive verbale Attacken. Und diese haben sich jüngst drastisch verschärft. Warum?

Zum einen hat das iranische Regime aufgrund zahlreicher Fehlentscheidungen des Westens in der Region an Boden gewonnen. Durch die Kriege gegen Irak und Afghanistan konnte es in beiden Ländern großen Einfluss erlangen. Iran ist auf dem Weg zu einer regionalen Großmacht. Je mächtiger das Land wird, desto schwieriger wird es für den Westen, seine Interessen in der Region durchzusetzen. Auch kam es, beginnend mit dem »Arabischen Frühling«, zu einem Prozess der Veränderung in den arabischen Staaten, der nicht unbedingt zugunsten des Westens und schon gar nicht zugunsten Israels verläuft.

Zum anderen ist Israel nach dem Libanon-Krieg zunehmend in eine Isolation geraten. Die Politik, die die israelische Regierung im Nahen und Mittleren Osten und insbesondere gegenüber den Palästinensern verfolgt, ist nicht zum Vorteil des Landes. Im Gegenteil, Israel muss fürchten, dass der Westen aufgrund der Ereignisse in der arabischen Welt und der wachsenden Kritik an der israelischen Siedlungspolitik seine Unterstützung reduziert. Selbst die Juden in den USA kritisieren, was Benjamin Netanjahu in Tel Aviv veranstaltet.

Das hält ihn aber nicht davon ab, offen seine Bereitschaft zu einem militärischen Schlag gegen Iran zu signalisieren. Was treibt Tel Aviv dazu, eine kriegerische Katastrophe zu beschwören?

Die israelische Regierung meint, sie könne die Bevölkerung auf einen Krieg vorbereiten, wenn sie Ängste schürt und den iranischen Teufel an die Wand malt. Außerdem hofft sie, wieder mehr westliche Unterstützung zu erhalten, wenn sie Bedrohungsszenarien entwirft. In der Lieferung deutscher U-Boote an Israel zeigte sich schon ein Erfolg dieser Strategie.

Erfolgreich ist Israel mit dieser Politik aber allenfalls nach außen. Innerhalb des Landes zeichnet sich eine wachsende kritische Haltung gegenüber der Politik der Regierung ab.

In der Tat ist die israelische Regierung innenpolitisch einer schwierigen Lage ausgesetzt. Die Bevölkerung fragt sich, warum sie immer in Angst leben soll. Warum sie ein feindliches Verhältnis zu den Palästinensern haben muss. Und warum sie kein friedliches Leben in der Region führen kann. Seit seiner Gründung befindet sich Israel im Krieg. Das ist für die Menschen unerträglich. Die Politik, die Netanjahu betreibt, schadet nicht nur den Nachbarstaaten, sondern auch der eigenen Bevölkerung. Noch nie in seiner Geschichte sah sich Israel in einer so kritischen Situation wie heute. Das Land ist umgeben von Staaten und Völkern, die ihm nur feindlich gesonnen sind.

Und wie bewerten Sie das Verhalten Teherans? Die Äußerungen iranischer Politiker, insbesondere des Präsidenten Ahmadinedschad, sind ebenfalls nicht dazu angetan, die Lage zu beruhigen.

Auch das Regime in Teheran schürt den Konflikt nicht aus Feindschaft gegenüber Israel. Vielmehr geht es ihm darum, Anhänger in der arabischen Welt zu gewinnen. Wenn Sie heute durch die arabischen Länder fahren, dann hängen in den Hütten ärmerer Menschen die Bilder von Ahmadinedschad. Obwohl er von Vielen gehasst wird, gilt er als der einzige Politiker, der den Mut hat, Israel und die USA zu kritisieren und zugunsten der Palästinenser zu sprechen. Zum anderen will das Regime von der innenpolitischen Situation ablenken. Die Unzufriedenheit im Lande wird größer. Das Regime hat große Schwierigkeiten, sich gegenüber der Bevölkerung zu behaupten. Die Flucht nach vorn anzutreten und äußere Feinde schlimmer auszumalen, als sie sind, das ist doch die übliche Methode aller Diktaturen.

Heißt das, dass die iranische Bevölkerung die Attacken ihrer Regierung nicht mitträgt?

Das Bild, das der westlichen Bevölkerung von der iranischen Gesellschaft vermittelt wird, ist verzerrt und weitgehend falsch. Die Gleichsetzung von Regime und Volk führt in die Irre und beleidigt das Volk, weil ein Großteil mit dem Regime überhaupt nicht einverstanden ist. Die überwiegende Mehrheit der Iraner will diese Islamische Republik nicht. Iran ist eine lebendige, vielfältige Gesellschaft. Denken Sie nur daran, wie viele Künstler, Schriftsteller und Filmemacher das Land hervorgebracht hat! Das ist keine zurückgebliebene Gesellschaft, die im Mittelalter lebt. Auch die feindliche Haltung dem Westen gegenüber wollen die Iraner nicht. Sie wollen Freiheit. Das haben sie mehrfach gezeigt, zuletzt 2009, als Millionen Menschen auf die Straße ginge, insbesondere Frauen. Seit dreißig Jahren führen sie einen unerbittlichen Kampf, in dem sie zu selbstbewussten Individuen wurden.

Welche Wirkungen haben denn die Sanktionen, die der Westen fortlaufend gegen den Iran verhängt?

Sie treffen das Volk. So lange Iran Öl hat, können die westlichen Staaten Boykotte erlassen, so viel sie wollen. Mit den Einnahmen aus dem Ölverkauf überlebt das Regime. Das Volk aber leidet unter Entbehrungen. Der UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon wies darauf hin, dass durch die Sanktionen humanitäre Maßnahmen sehr stark reduziert wurden.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass Teheran einen Angriff auf Israel riskiert?

Was sollte Teheran für einen Grund haben, Israel anzugreifen? Selbst wenn das Regime Atomwaffen hätte, gäbe es keinen Anlass. Es bestehen zwischen Iran und Israel keine territorialen Streitigkeiten. Abgesehen davon ist sich Teheran bewusst, dass Israel mit gesamter Kraft zurückschlagen würde. Israel hat 250 Atomsprengköpfe. Auch die NATO wäre sofort zur Stelle, um Israel beizustehen. Es wäre ein selbstmörderisches Abenteuer. Teheran würde das niemals wagen. Die Führung der Islamischen Republik ist verbrecherisch, aber nicht dumm. Sie erkennt sehr wohl, wo ihre Vorteile liegen. Sonst könnte sie sich nicht so lange an der Macht halten.

Und wenn es zu einem Militärschlag der USA oder Israels auf Iran käme?

Iran ist nicht Irak und auch nicht Afghanistan. Es wird schwieriger sein, Iran anzugreifen. Und das iranische Regime ist entschlossen, sich zu wehren. Im Fall eines Angriffs muss man auch mit der iranischen Bevölkerung rechnen. Iran hat achtzig Millionen Einwohner. Ungeachtet der Tatsache, dass die meisten Iraner mit dem politischen System unzufrieden sind, bleiben sie doch Patrioten. Und wenn ihr Land angegriffen wird, verteidigen sie es.

Israel ist ein mit westlicher Technik hochgerüstetes Land. Hätte Iran da eine Chance?

Die Hisbollah ist an der Grenze Israels, und sie würde, wie bereits offen bekundet, Israel mit Raketen angreifen. Israel ist ein kleines Land und sehr gefährdet, wenn seine Feinde beginnen, es anzugreifen. Man konnte das im Fall des Libanons sehen. Trotz seiner militärischen Stärke musste sich Israel sehr schnell aus Libanon zurückziehen. Im asymmetrischen Krieg kann eine moderne und gut aufgerüstete Armee wenig ausrichten. Wenn Sie die Entwicklung in Afghanistan anschauen, da kämpfen die Taliban, eine Gruppe islamistischer Terroristen oder Fundamentalisten, seit Jahren gegen das stärkste Militär der Welt. Und nach elf Jahren Krieg verhandeln die USA auf einmal mit den Taliban, damit sie in ein, zwei Jahren ihre Truppen einigermaßen friedlich abziehen können. Iran ist sehr stark in asymmetrischer Kriegsführung. Es gibt dort über eine Million Bassidsch. Das sind ideologisch geschulte Milizen, die auf einen asymmetrischen Krieg sehr gut vorbereitet sind. Vor allem aber würde es kein Krieg zwischen Iran und Israel oder Iran und den USA bleiben. Dieser Krieg würde sich zum Flächenbrand in der ganzen Region ausweiten. Er würde auch Europa in Mitleidenschaft ziehen. Deswegen sollten sich die Regierungen in Israel und den USA sehr wohl überlegen, ob sie dieses Risiko eingehen wollen.

Weil ein solcher Krieg auch den islamistischen Terrorismus im Westen befördern könnte?

Der islamistische Terrorismus ist ein Produkt dieser Politik. Al-Qaida und die Taliban wurden erst von den USA auf die Beine gebracht. Die US-Regierung ließ Hunderttausende Islamisten aus allen arabischen Ländern nach Afghanistan schaffen, um gegen die Sowjetunion einen Heiligen Krieg zu führen. In Afghanistan nahm der islamistische Terrorismus seinen Anfang. Bin Laden war jahrelang Mitarbeiter des US-amerikanischen Geheimdienstes. Heute haben wir überall in der Welt diese terroristischen Gruppen, und wenn Iran angegriffen wird, entwickelt sich dieses Terrornetz weiter und erstreckt sich auch auf Europa und die USA.

Für die USA wäre ein Krieg gegen Iran also wohl ein noch größeres Desaster als die Kriege gegen Afghanistan und Irak. Hätten die USA dann überhaupt noch Einfluss in der Region?

Zweifellos würde die US-Regierung noch schwerer als heute ihre Interessen in der Region durchsetzen können. Beim Irak sehen wir, was aus dem Land geworden ist und in Afghanistan werden demnächst die Taliban wieder an die Macht kommen. Ein solches Ergebnis ist doch ein politisches Armutszeugnis. Im Iran wäre das noch viel schlimmer. Noch nie in ihrer Geschichte waren die USA im gesamten Nahen und Mittleren Osten, ausgenommen in Israel, so verhasst wie heute. Und jetzt greift dieser Hass allmählich auf Europa über. Denn Europa verfolgt im Nahen und Mittleren Osten die gleiche Politik wie die USA.

Propagiert wird ein Militärschlag gegen den Iran von US-Seite mit nahezu identischen Argumenten wie seinerzeit der Krieg gegen Irak. Man verdächtigt das iranische Regime, heimlich Atomwaffen entwickeln zu wollen.

Dass man immer wieder auf den Atomkonflikt zurückkommt, ist eine Irreführung der Bevölkerung. Ginge es darum, hätte man den Konflikt schon unter Mohammad Chatami lösen können. Chatami bot selbst Verhandlungen an. Als man verlangte, Iran solle während der Verhandlungen die Urananreicherung einstellen, kam er der Forderung nach. Auch das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterzeichnete er. Damit konnten Inspekteure der Atomenergiebehörde dann jederzeit unangemeldet Untersuchungen durchführen.

Selbst US-Geheimdienste erklären, dass es absolut keine Beweise gebe, dass Iran an einer Atombombe arbeite. Es geht in Wirklichkeit um wirtschaftliche sowie militär- und geostrategische Interessen. Der gesamte Nahe Osten ist ein unglaublich wichtiges Gebiet. Das wird auch im neuen Jahr so sein.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 27. Dezember 2013


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