Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Keine Chance mehr für Reformen in Iran?

Ein Jahr nach dem überraschenden Sieg Mahmud Ahmadinedschads bei den Präsidentschaftswahlen

Von Karin Leukefeld*

Vor einem Jahr, am 24. Juni 2005, gewann Mahmud Ahmadinedschad überraschend die Präsidentschaftswahlen in Iran. Mit 61,7 Prozent der Stimmen setzte er sich in der Stichwahl gegen den favorisierten früheren Staatschef Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (35,9 Prozent) durch, der 35,9 Prozent erhielt. Angetreten war Ahmadinedschad mit der Parole »Wir haben die Islamische Revolution nicht gemacht, um die Demokratie in Iran einzuführen.«

Die AZAD-Universität für Kunst und Architektur liegt im Herzen der iranischen Hauptstadt Teheran. Auf der schmalen Einbahnstraße, die an dem unscheinbaren Gebäude vorbeiführt, herrscht lebhafter Verkehr. Es ist Mittagszeit, die Studenten drängen hinaus und laufen – lachend und diskutierend – unter den Schatten spendenden Platanen auf und ab.

Ob sich ihr Leben unter dem neuen Präsidenten geändert habe? Naja, meint Mohammad, der im 3. Semester Städteplanung studiert, besser sei es nicht gerade geworden. Sein Freund Hamid wird deutlicher: »Was das Verhältnis zwischen der westlichen Welt und uns betrifft, wirft uns die jetzige Regierung um 20 Jahre zurück.« Die vorherige Regierung habe versucht, den Abstand zu verringern, »aber die neue Regierung tut genau das Gegenteil«.

Zwei andere Studenten sind anderer Ansicht. »Bei allem Respekt für Herrn Khatami (den Vorgänger Ahmadinedschads im Präsidentenamt – d. Red.), wir mögen ihn wirklich sehr, aber die frühere Regierung hat doch nur geredet. Getan haben sie nichts, acht Jahre lang gab es Stillstand, mit Ahmadinedschad bewegt sich wenigstens was.« Zumindest habe er in Sachen Atomprogramm eine klare Position bezogen, fügt der andere Student hinzu: »Für die nationalen Interessen des Landes ist seine Politik auf jeden Fall besser.« Der politische Stillstand sei aber nicht nur von der vorherigen Regierung verursacht worden, sondern auch vom Ausland. »Die haben ständig nach Schwachpunkten gesucht.«

Einig sind sich die Studenten in einem: »Unser größtes Problem ist die Arbeitslosigkeit«, vielleicht gelinge es ja Ahmadinedschad, das zu lösen.

Die iranischen Reformpolitiker waren bisher der festen Überzeugung, Studenten und Studentinnen gehörten zu ihrer sicheren Basis, doch sie müssen umdenken. »Wir haben uns auf die Zivilgesellschaft in der Mittelschicht konzentriert«, sagte Mohammad Reza Tajik, seinerzeit Berater von Präsident Mohammad Khatami, kürzlich zu einem iranischen Journalisten. »Wir haben zu wenig auf die Forderungen und Wünsche der Unterschichten geachtet.« Vor allem habe es der Reformbewegung an theoretischen Grundlagen gemangelt, glaubt Tajik außerdem. Praktische Erfahrung, Strategie und Taktik hätten gefehlt, um Provokationen von innen und von außen zu begegnen. Doch er sieht auch Erfolge der Reformpolitik. Eine »Veränderung im Denken, Verhalten und Reden« habe stattgefunden. »Heute haben wir einen anderen Blick auf die Beziehung zwischen Religion und Demokratie, zwischen Religion und Freiheit, auf Werte und Politik.«

Von außen betrachtet, scheint die Reformdebatte in Iran unter der Präsidentschaft Ahmadinedschads verstummt. Doch hinter verschlossenen Türen und in den eigenen Medien diskutieren die verschiedenen Strömungen und Parteien durchaus intensiv. Aus den Fehlern des achtjährigen Reformexperiments will man lernen. Khatami habe kein Regierungsprogramm gehabt, kritisiert der frühere Bürgermeister Teherans, Golam Hossein Karbaschi, der auch Generalsekretär der Partei Kargozaran-e Sazandegi von Ali Akbar Hashemi Rafsandschani ist. »Khatami wollte nicht gewinnen, er wollte neue Ideen in der Gesellschaft verankern«, sagt Karbaschi.

Auch Ebrahim Yazdi, einst Weggefährte des Revolutionsführers Ruhollah Khomeini und Vorsitzender der Iranischen Freiheitsbewegung, macht Führungsschwäche für das Scheitern der Reformbewegung verantwortlich. Khatami sei immer Präsident geblieben, so Yazdi. »Er war nie der politische Führer, den das Land gebraucht hätte.«

Mohammad Reza Khatami, der Bruder des früheren Präsidenten, bestätigte kürzlich auf Fragen iranischer Journalisten, mehrere Parteien der Reformbewegung seien mit der Diskussion eines neuen politischen Projekts befasst, der »Front für Demokratie und Menschenrechte«. »Sie können sicher sein, dass es die Front geben wird«, sagte er. Doch solange man sich nicht geeinigt habe, gebe es auch nichts darüber zu berichten.

Der Journalist Akbar Gandschi, der am 18. März 2006 nach fünf Jahren Haft freigelassen worden war, wählte kürzlich einen Auftritt in Italien, um seine Kritik öffentlich zu äußern. Reformen hätten in seiner Heimat keine Chance, solange Iran diese politische Struktur habe. Als Beispiel verwies Gandschi auf den Mangel an Pressefreiheit. Die iranische Regierung beschuldige »ausländische Feinde«, das Land angreifen zu wollen. Schon jetzt, so die Regierung, sei eine »kulturelle Invasion« im Gange, die sich auf eine Basis in Iran stütze. Diese Basis, so Akbar Gandschi weiter, sei nach Ansicht der Regierung die iranische Presse, weswegen Journalisten gemeinhin als »feindliche Agenten« angesehen würden. Ihre Unterdrückung gelte demzufolge als eine »Maßnahme zur Rettung der Nation«.

Die freie Presse organisiert sich privat in Iran, was nicht leicht ist in einer weitgehend staatlich organisierten, finanzierten und kontrollierten Medienlandschaft. Während die staatlichen Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsender landesweit Verbreitung finden, werden die privaten und zumeist reformorientierten Medien vor allem in der Hauptstadt gelesen. Zunehmend finden sich – jenseits propagandistischer Webseiten wie www.regimechangeiran.com – kritische Stimmen auch im Internet. Die iranische Bloggergemeinde wächst innerhalb und außerhalb des Landes.

Greifbarer als anonyme Webseiten sind jedoch neue Zeitungen, wie »Etemad e-Melli« (Nationales Vertrauen), die sich als Sprachrohr der gleichnamigen Partei des ehemaligen Parlamentspräsidenten Mehdi Kharubi versteht. Zu den zumeist sehr jungen Redakteuren gehört auch Fariba Pajooh, die das Außenressort leitet. Als Korrespondentin berichtete sie aus Afghanistan, Irak und Palästina. Unter Präsident Khatami habe es eine Welle von Zeitungsgründungen gegeben, erinnert sie sich im ND-Gespräch. Damals habe auch sie mit dem Journalismus angefangen. Alle ihre früheren Zeitungen wurden verboten. »Doch wir geben nicht auf. Wir fangen immer wieder neu an«, sagt sie lachend und zitiert eine iranische Redewendung über Journalisten: »Die Leute sagen, wer hier in Iran als Journalist arbeitet, ist entweder verliebt oder verrückt.«

Vertreter der Zivilgesellschaft tun sich schwer mit dem Regierungswechsel. Monir Amadi Qomi vom Institut für Frauenstudien in Teheran kämpfte jahrelang darum, den Teilnehmerinnen ihrer Management- und Buchhaltungskurse offiziell anerkannte Zeugnisse ausstellen zu können, um ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Kurz vor dem Regierungswechsel 2005 erhielt das Institut endlich die ersehnte Genehmigung, doch seitdem hat sich manches verändert. »Unglücklicherweise hat sich der Regierungswechsel sehr schlimm auf alles ausgewirkt«, erklärt sie im ND-Gespräch. Wichtige Projekte seien von den Behörden auf Eis gelegt worden. Besonders schlecht sei die Sicht der neuen Regierung auf die Frauenarbeit: »Für die frühere Regierung waren Frauen unabhängige Menschen. Die neue Regierung sieht Frauen nur in ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau.«

Unter dem Motto »Frauenrechte sind Menschenrechte« versuchten Mitte Juni Frauen im Zentrum Teherans eine Demonstration zu veranstalten. Ein Gericht hatte den Aufmarsch zuvor verboten, weil er nach Regierungserkenntnissen »vom Ausland gesteuert« sei. Die Frauen, die sich dennoch zusammenfanden, wurden umgehend von der Polizei auseinandergetrieben. Auch Schlagstöcke wurden eingesetzt. 70 Frauen seien festgenommen worden, berichtete eine Journalistin, darunter auch drei Kolleginnen von ihr. Für die Anerkennung der Frauenrechte tritt auch die Anwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi ein. Der politische Druck aus dem Ausland aber, so hat sie wiederholt erklärt, verringere den Freiraum für die Reformer.

An der AZAD-Universität ist denn auch zu erfahren, dass Kritik an der neuen Regierung nicht unbedingt heißt, alles gut zu finden, was aus dem Westen kommt. Manche Leute ahmten einfach nach, was sie im Satellitenfernsehen oder im Internet sehen, glaubt der Student Mohammad. Ob aus Protest oder weil die Leute sich frei fühlten, das wisse er nicht. »Sie denken gar nicht darüber nach«, sagt er. Er selber suche nach einem Mittelweg. »Wenn etwas gut für mich ist, dann tue ich es auch. Aber ich denke darüber nach.«

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2006


Zurück zur Iran-Seite

Zurück zur Homepage