Iran: Revolution gegen Revolution
Säbelrasseln des Regimes und der Opposition für den finalen Kampf um die Macht
Von Behrouz Khosrozadeh *
Die Regimekritiker in Iran geben nicht auf. Auch am Donnerstag (31.
Dez.) kam es im Zentrum der Hauptstadt Teheran zu Protestaktionen und in
deren Folge zu neuen Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften.
Einen Tag zuvor hatte das Regime um den religiösen Führer Ayatollah Ali
Chamenei und Präsident Mahmud Ahmadinedschad seinerseits Stärke
demonstrieren wollen und in Teheran einige hunderttausend auf die Straße
gebracht. Offenbar versprach man sich davon, Moral und Selbstvertrauen
zurückgewinnen zu können nach der grandiosen Demonstration der
Opposition am Sonntag zuvor.
Wie ist momentan die Kräftekonstellation?
Die radikale sowie ein Teil der traditionellen Geistlichkeit bilden die
klerikale Stütze der Regierung. Erstere produziert die radikalsten
Drohgebärden gegen die Oppositionsführung. Dazu kommen die zivilen
Anhänger, von denen viele dank der Vetternwirtschaft des Regimes
Privilegien genießen. Die würden sie alle, nebst ihrer Freiheit, bei
einem Sturz verlieren.
Von den Universitätsangehörigen verteidigt nur ein winziger Teil die
Regierungspolitik. Gestützt wird sie aber von einem Teil der
Basarhändler und einer Gruppe von Madahs. Bei letzteren handelt es sich
um Gewalt verherrlichende Prediger, die in religiösen Veranstaltungen
Gedichte rezitieren und stets Chamenei und die Regierung hochleben
lassen. Sie spielen eine große Rolle bei der Organisierung der zivil
gekleideten Schlägermiliz gegen die Oppositionellen.
Anhänger hatte das Regime bislang vornehmlich auf dem Lande. Deren Zahl
allerdings schrumpft nach der miserablen ökonomischen Bilanz der
Regierung rapide. Da in Iran heute knapp 70 Prozent der Bevölkerung in
Städten leben, spielen die Dorfbewohner ohnehin keine entscheidende
Rolle, wenn die Städter - wie bei den Wahlen - aktiv ins politische
Geschehen eingreifen.
Die Revolutionswächter und die Basidsch-Miliz sowie einige zivile
Milizen wie Ansar-e Hisbollah bilden die Gewaltmaschinerie des Regimes.
Die Opposition, »die Grüne Bewegung«, reicht quer durch alle
Gesellschaftsschichten. Noch hält die Mehrheit des reformistischen wie
auch des regimekritischen traditionellen Klerus relativ still. Nur
wenige preschen seit Monaten vor, an ihrer Spitze der kürzlich
verstorbene Großayatollah Hussein Ali Montaseri. Der beeindruckende
Respekt, den das Volk Montaseri zollte, wird an den übrigen Geistlichen
nicht spurlos vorbeigehen.
Die Stütze der Opposition bildet das intellektuelle Milieu -
Bildungsbürgertum, Hochschulangehörige, Künstler, Schriftsteller. Bei
der Beerdigungszeremonie für Montaseri kamen aus allen Landesteilen
Angehörige der Mittelschicht, die weder leidenschaftliche
Moscheebesucher noch Pilger in die heilige Stadt sind, nach Qom. Laut
Regierungsstatistik haben 70 Prozent der drei bis vier Millionen
Studenten bei den Präsidentschaftswahlen Mir Hossein Mussawi gewählt.
Unter den Unterstützern der Opposition sind Personen sowohl aus dem
Umfeld von Republikgründer Ayatollah Chomeini als auch aus dem der
legendären im Krieg mit Irak 1980-88 gefallenen Sepah-Kommandeure.
Zur Gegnerschaft Ahmadinedschads zählt auch die enttäuschte
Arbeiterschaft. Expräsident Ali Akbar Rafsandschani hat am klarsten den
Umfang der Opposition beschrieben: »Das Regime hat Geld, Militär und
kann Sicherheitskräfte auf die Straße bringen. Doch seine Gegner sind
Dozenten, Studenten, Manager, Arbeiter etc., und es war nicht klug,
Sepah- und Basidsch-Milizen auf sie loszulassen.«
Die Opposition hat nicht die geringste Mühe, Menschen zu mobilisieren,
während das Regime, von seinem fanatischen Anhang abgesehen,
Staatsdienern und Schülern frei geben und Menschen mit Omnibussen zu den
Demonstrationen bringen muss.
Die Regierung befindet sich wie zwischen den Klingen einer Schere. Im
Inland diskreditiert, gerät sie zunehmend auch unter Druck des Auslands.
Der Zweckverbündete Russland prüft die Stabilität des iranischen Regimes.
In Teheran wartet alles darauf, ob das Regime die rote Linie mit der
Verhaftung von Oppositionsführern überschreitet. Das könnte zur
Radikalisierung und zu landesweiten Protesten führen. Denn Mussawi,
Expräsident Mohammed Chatami oder Rafsandschani sind trotz ihrer
Eigenschaft als Oppositionsführer die letzten Brücken zwischen Regime
und Volk. Irans Opposition ist heute nicht straff hierarchisch
organisiert. Die Führung bewegt sich wissentlich auf einem schmalen Grat
zwischen Sieg und gewaltsamem Tod. Der Opposition könnte neben
Straßenaktionen zweierlei zum Sieg verhelfen: ein Riss in den Reihen der
Sicherheitskräfte und ein Generalstreik. Beides geschah 1979, und kurz
danach schmolz die Schah-Monarchie wie Schnee.
* Dr. Behrouz Khosrozadeh, gebürtiger Iraner, lehrte an der
Georg-August-Universität zu Göttingen. Er ist heute in der Stadt als
Publizist tätig.
Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2010
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