Welche Rolle spielen die Langzeitverträge, die Iran mit China und Indien über die Lieferung von Öl und Gas abgeschlossen hat?
Hintergründige Fragen von Clemens Ronnefeldt an die Eskalation des iranischen Atomkonflikts *
Der frühere Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde und
Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei gab dem "Spiegel" ein
Interview im Zusammenhang mit seiner Präsidentschaftskandidatur in
Ägypten, bei dem auch der Konflikt um das iranische Atomprogramm zur
Sprache kam. Das Interview erschien am 19.4.2011 bei Spiegel-online in englischer Sprache unter:
www.spiegel.de (externer Link).
Daraus Auszüge:
(...) SPIEGEL: Ihr Optimismus ist bewunderungswürdig. Als Sie noch
Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in
Wien waren, fühlten Sie Sich sogar noch zuversichtlich, dass Sie den
nuklearen Konflikt zwischen Iran und der internationalen Gemeinschaft
lösen könnten. Das hat aber nicht geklappt.
ElBaradei: Wir waren tatsächlich mehrmals kurz vor einer Lösung. Die
Iraner waren 2003 bereit, aber die Administration des damaligen
US-Präsidenten George W. Bush war es nicht. Dann, 2010, als Präsident
Barack Obama seine Hand ausgestreckt hat, konnten die Iraner sie nicht
ergreifen wegen inländischer politischer Machtkämpfe.
SPIEGEL: In Ihren bald herauskommenden Memoiren beschreiben Sie, wie
Sie betrogen wurden in Ihren Untersuchungsversuchen.
ElBaradei: Ich halte mich strikt an die Tatsachen und ein Teil davon ist, dass die Amerikaner und die Europäer uns wichtige Dokumente und
Information vorenthalten haben. Sie waren an einem Kompromiss mit der
Regierung in Teheran nicht interessiert, aber an Regimewechsel -
durch jegliche notwendigen Mittel.
SPIEGEL: Und die armen Iraner waren völlig unschuldig?
ElBaradei: Nein, sie haben auch Tricks angewendet. Aber der Westen hat
nie versucht zu verstehen, dass das Wichtigste für Iran war,
Anerkennung zu erhalten und als gleichwertig behandelt zu werden. (...)
(Übersetzung: Dr. Anka Schneider)
Im englischen Original:
(...) SPIEGEL: Your optimism is admirable. When you were still the
director general of the International Atomic Energy Agency (IAEA) in
Vienna, you even felt confident that you could solve the nuclear
conflict between Iran and the international community. But that didn't
work out.
ElBaradei: We were in fact on the verge of a solution on several
occasions. The Iranians were willing in 2003, but the administration
of then US President George W. Bush was not. Then, in 2010, when
President Barack Obama extended his hand, the Iranians couldn't take
it, because of domestic political power struggles.
SPIEGEL: In your soon-to-be-published memoirs, you describe how you
were deceived in your attempts to investigate.
ElBaradei: I adhere strictly to the facts, and part of that is that
the Americans and the Europeans withheld important documents and
information from us. They weren't interested in a compromise with the
government in Tehran, but regime change -- by any means necessary.
SPIEGEL: And the poor Iranians were completely innocent?
ElBaradei: No, they too engaged in trickery. But the West never tried
to understand that the most important thing for Iran was getting
recognition and being treated as an equal. (...)
Source: http://www.spiegel.de/international/world/0,1518,757786,00.html
Unter der Annahme, dass die Kernaussagen ElBaradeis zutreffend sind,
stellen sich derzeit einige Fragen, die weiterer Untersuchungen
bedürfen:
1. Warum hat der derzeitige Generaldirektor der IAEA, der Japaner
Yukiya Amano, den Kurs von Mohamed ElBaradei verlassen und
am 8.11.2011 einen
Bericht veröffentlicht, dessen Iran belastende und
weitgehend bekannte Aussagen von Mohamed ElBaradei noch abgelehnt
worden waren, in den offiziellen IAEA-Bericht übernommen zu werden?
2. In welcher Beziehung steht der Kurswechsel von Yukiya Amano zu den
vom "Guardian" am 2.12.2010 veröffentlichten "WikiLeaks"-Aussagen,
wonach Yukiya Amano dem US-Botschafter Glyn Davies am 16.9.2009 - zwei
Monate nach Yukiya Amanos Wahl zum IAEA-Generalsekretär im Juli 2009 -
zugesagt hatte, in Übereinstimmung mit den strategischen Schlüsselentscheidungen der USA in der Iran-Atomwaffen-Anschuldigungs-Angelegenheit zu handeln?
http://www.guardian.co.uk/world/us-embassy-cables-documents/230076
3. Gehören zu den von Mohamed ElBaradei genannten "jeglichen Mitteln"
für einen Regimewechsel in Iran auch der Einsatz des Computervirus
"Stuxnet", der in der iranischen Anreicherungsanlage Natanz schwere
Schäden hinterlassen hat, die Ermordung einiger ranghoher iranischer
Atomwissenschaftler oder möglicherweise auch die Explosion auf einem
Raketenstützpunkt der Revolutionären Garden Irans unweit von Teheran,
bei der am 12.11.2011 mit General Hasan Moghaddam - neben 16 weiteren
Angehörigen der Revolutionären Garden - eine Schlüsselperson des
iranischen Raketenprogramms getötet wurde?
4. Begründet das von ElBaradei genannte Motiv des Regimewechsels allein die Sorge der US-Regierung und der EU-Staaten vor einer iranischen
Atombombe und deren Auswirkungen auf Israel sowie auf die sunnitischen
westlich orientierten Erdöllieferstaaten der Region? Welche Rolle
spielen bei der Suche nach einem "regime change" die Langzeitverträge,
die Iran mit China und Indien über die Lieferung von Öl und Gas
abgeschlossen hat - und die vermutlich nur bei einem Sturz der
derzeitigen Machthaber in Qom und Teheran so ausgehandelt werden
könnten, dass das iranische Öl und Gas in den nächsten Jahrzehnten in
Richtung Westen statt nach Osten fließt?
5. Welche Motive treiben die israelische Regierung gerade zum jetzigen
Zeitpunkt, Iran mit Krieg zu drohen? Welche Rolle spielt bei der Wahl
des gegenwärtigen Zeitpunkts die US-Präsidentschaftswahl Ende des
Jahres 2012, wobei Barack Obama im nächsten Jahr kaum noch einen
israelischen Angriff auf Iran unterstützten könnte, ohne vermutlich
seine Wiederwahl zu gefährden?
6. Droht die israelische Regierung mit Krieg, um dadurch lediglich die
US-Regierung, die EU und auch andere Staaten zu schärferen
Sanktionsmaßnahmen gegenüber Iran zu bewegen? Sollen - aus Sicht der
israelischen Regierung - mit dem Thema der verschärften Bedrohung
Israels durch Iran die Themen "Gründung eines Staates Palästina", "Kritik an Besatzung und Siedlungsbau" und "Soziale Missstände in Israel" aus der vordersten internationalen Diskussionsreihe gedrängt werden?
7. Als Frankreich 1980 in der Nähe von Bagdad einen Reaktor baute, der
das Material für ein bis zwei Atombomben pro Jahr hätte produzieren
können, zerstörten 14 israelische Kampfflugzeuge am 7. Juni 1981 den
unmittelbar vor der Fertigstellung stehenden irakischen Reaktor bei
Tuweitha. Die Arbeiten am Reaktor unterlagen zu diesem Zeitpunkt der
Internationalen Atomenergiebehörde in Wien (IAEA), der die israelische
Führung keine effektive Kontrolle zutraute.
Im Juni 1981 verurteilte der UN-Sicherheitsrat - mit Zustimmung der
USA - den israelischen Luftangriff auf den irakischen Atomreaktor in
der Resolution 487 als "danger to international peace and security
created by the premeditated (...) attack" (SRRes. 487 (Präambel)) und
"clear violation of the Charter of the United Nations and the norms of
international conduct (SRRes. 487 (1))" und forderte Israel auf, "to
refrain in the future from any such attacks or threats thereof"
(SRRes. 487 (2)).
http://www.ipw.rwth-aachen.de/pub/paper/paper_01.html
Sanktionen scheiterten anschließend am US-Veto
In Verletzung dieser UN-Resolution bombardierte die israelische
Luftwaffe im Jahre 2007 eine Nuklearanlage in Syrien.
Wenn die UN-Resolution 487 von der israelischen Regierung klar den
Verzicht auf die Androhung von zukünftigen weiteren Attacken auf
Atomanlagen anderer Staaten fordert, stellen die gegenwärtigen
Aussagen führender israelischer Politiker (
"Peres droht Iran mit Angriff" http://www.sueddeutsche.de/r5w38W/298715/Peres-droht-Iran-mit-Angriff.html) nicht bereits eine zu ahndende Verletzung der UN-Resolution 487 dar?
8. Wie sind die Aussagen der
UN-Charta in Artikel 2 mit der derzeitigen westlichen Politik gegenüber Iran oder auch Libyen vereinbar?
Der Artikel 2 beginnt mit den Aussagen:
"Die Organisation und ihre Mitglieder handeln im Verfolg der in Artikel
1 dargelegten Ziele nach folgenden Grundsätzen:
1. Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit
aller ihrer Mitglieder.
2. Alle Mitglieder erfüllen, um ihnen allen die aus der Mitgliedschaft
erwachsenden Rechte und Vorteile zu sichern, nach Treu und Glauben die
Verpflichtungen, die sie mit dieser Charta übernehmen.
3. Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch
friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale
Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.
4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."
Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes, im November 2011
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