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Propagandisten mörderischer Illusionen

Kriegsbefürworter preisen Militärschlag gegen Iran als schnell, billig und risikoarm an

Von Knut Mellenthin *

Die psychologische Kriegführung gegen Iran eskaliert weiter. Israelis und Amerikaner seien dabei, sich auf eine militärische »Option« zu einigen, behauptete am Montag David Rothkopf in einem Artikel der Zeitschrift Foreign Policy. Das zweimonatlich erscheinende Magazin läßt bekannte Autoren unterschiedlicher Richtungen zu Wort kommen. Hauptsächlich allerdings solche, die den beiden Kongreßparteien nahestehen. Rothkopf ist Chef des Blattes. Nebenbei betreibt der 56jährige auch eine internationale Beraterfirma. Davor leitete er ein anderes Unternehmen dieser Branche und noch früher arbeitete er für Kissinger Associates, eine vom ehemaligen Außenminister Henry Kissinger gegründete und geleitete Beraterfirma. Außerdem war er Anfang der 1990er Jahre unter Präsident Clinton Staatssekretär im Handelsministerium, steht er heute angeblich der Regierung von Barack Obama nahe und gehört den Vorständen von rund einem Dutzend »Think Tanks« und ähnlichen Vereinen an. Rothkopfs Artikel wurde von allen wichtigen israelischen Medien aufgegriffen, während er außerhalb Israels kaum Beachtung fand. Damit ist über den Text schon alles Wesentliche gesagt.

Hier geht es zum Originalartikel von Rothkopf:

A Truly Credible Military Threat to Iran
The Israelis and the Americans are zeroing in on a strike option that has a real chance of deterring the mullahs -- and defusing Mitt Romney's attacks. By David Rothkopf. In: Foreign Policy, October 8, 2012; http://www.foreignpolicy.com



Auch wenn Rothkopf behauptet, er habe seine Informationen von einer »Quelle, die dicht an den Diskussionen – zwischen israelischen und US-amerikanischen Fachleuten – dran ist«, sprechen alle Umstände dafür, daß der Autor nicht reale Planungen referiert, sondern eine Idee, die nicht notwendigerweise seine eigene sein muß, ins Gespräch zu bringen versucht. Sie lautet: »chirurgischer Schlag«. Das sei nach Ansicht der Diskussionsteilnehmer »derzeit die wahrscheinlichste Form« des militärischen Vorgehens, behauptet Rothkopf.

Und wirklich, die Attraktivität dieser Idee ist offensichtlich: Der Angriff ausschließlich aus der Luft werde »nur ein paar Stunden« dauern, das ganze Unternehmen gerade mal ein bis zwei Tage in Anspruch nehmen, und Verluste sind bei Rothkopf überhaupt keine vorgesehen. Die versprochenen Vorteile sind jedoch riesig: Erstens werde das iranische Atomprogramm »um viele Jahre zurückgeworfen«. Zweitens, und hier behauptet Rothkopf, einen anonymen Verfechter dieser Option wörtlich zu zitieren: »Irak, Syrien und Libanon werden gerettet; der Friedensprozeß – zwischen Israelis und Palästinensern – wird wiederbelebt; der Golf wird gesichert; Rußland und China erhalten eine unmißverständliche Botschaft; die amerikanische Vorherrschaft in der Region wird für die nächsten zehn Jahre sichergestellt.«

Der Autor läßt seine Leser nicht einmal im unklaren, was er mit dieser Idee bezweckt. Die Bevölkerung der USA sei »kriegsmüde«; »jede komplexe, teure oder hochriskante Aktion« sei »a tough political sell back home«: den eigenen Leuten schwer zu verkaufen. Darunter leide derzeit die »Glaubwürdigkeit« aller militärischen Drohungen.

Der Ausweg liegt für jeden angehenden Werbekaufmann auf der Hand: Auf der einen Seite müssen die voraussichtlichen Risiken und Kosten des eigenen Vorschlags hemmungslos nach unten gelogen werden. Auf der anderen Seite können die angeblichen Vorteile der empfohlenen »Option« gar nicht groß genug dargestellt werden. Man mag sich in diesem Zusammenhang an all die neokonservativen Beratungsprofis erinnern, die den Irak-Krieg – bevor er begonnen wurde – als Sonntagsspaziergang verkauften und dem US-Publikum ausmalten, wie seine tapferen Soldaten von der dankbaren irakischen Bevölkerung mit Blumen und Süßigkeiten empfangen werden würden.

Rothkopf erwähnt in seinem Artikel nicht einmal die Wahrscheinlichkeit und die möglichen Formen iranischer Reaktionen auf einen Angriff. Er folgt damit einer breiten Schule von Propagandisten der »militärischen Option«, die als wahrscheinlich unterstellen, daß Iran nur in sehr geringem Ausmaß zurückschlagen würde. Bezeichnenderweise gehören zu diesen Illusionsverkäufern weder Militärs noch Geheimdienstleute. In Israel ebensowenig wie in den USA.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Oktober 2012


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