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Hoffnung im Atomstreit?

Irans neu gewählter Präsident Rohani strebt »Versöhnung mit der Welt« an. Israels Regierung fordert noch mehr Druck auf Teheran

Von Knut Mellenthin *

Israel hat negativ auf die Wahl von Hassan Rohani zum nächsten Präsidenten des Iran reagiert. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu äußerte sich besorgt, daß der Wahlsieg des als »gemäßigt« geltenden 64jährigen zu »Illusionen« im Streit um das iranische Atomprogramm und zur Lockerung der Sanktionen führen könnte. Notwendig sei im Gegenteil eine Steigerung des »Drucks«. Verteidigungsminister Mosche Jaalon erklärte bei einem Treffen mit seinem amerikanischen Amtskollegen Charles Hagel in Washington, für Israel bedeute die Wahl Rohanis »keinen Unterschied«. Den Iranern müsse »deutlich gemacht werden, daß die militärische Option auf dem Tisch liegt«.

Rohani, der im Wahlkampf eine gesellschaftliche Liberalisierung und eine »Versöhnung mit der Welt« versprochen hatte, siegte mit überraschend großem Vorsprung. Von kaum jemand vorausgesehen erreichte er schon im ersten Wahlgang am Freitag die absolute Mehrheit. Bei einer Beteiligung von 72,7 Prozent entfielen auf ihn 50,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der Zweitplazierte, Teherans Bürgermeister Mohammad Baqer Qalibaf, kam nur auf 16,6 Prozent. An dritter Stelle liegt der derzeitige Chefunterhändler im Atomstreit, Said Dschalili, mit 11,4 Prozent.

Der Wahlsieger war von zwei ehemaligen Präsidenten, Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (1989–1997) und Mohammad Khatami (1997-2005) unterstützt worden. Beide stehen den sogenannten Reformern nahe. Deren eigentlicher Vertreter im Rennen, Khatamis Erster Vizepräsident Mohammad Resa Aref hatte seine Kandidatur Anfang voriger Woche zurückgezogen und zur Wahl Hassan Rohanis aufgerufen. Dies, verbunden mit Appellen mehrerer, zum Teil illegalisierter Oppositionsorganisationen, führte offenbar dazu, daß Rohani auch massiv Stimmen aus dem »grünen« Protestlager erhielt, wo zuvor für einen Wahlboykott geworben worden war.

Rohani, der einzige Kleriker unter den acht Kandidaten, bezeichnete seinen Erfolg als »Sieg von Weisheit, Mäßigung, Fortschritt und Religiosität über Extremismus und unethisches Verhalten«. Im Wahlkampf hatte der ehemalige Chefunterhändler im Atomstreit (2003–2005) das iranische Vorgehen in diesem Konflikt so oft und heftig als »radikal« und »unflexibel« angegriffen, daß die Wahl geradezu zu einem Referendum gegen die seit 2005 betriebene Politik und zu einer Demontage der iranischen Verhandlungsposition wurde.

Rohani hatte als Chefunterhändler zwar verhindert, daß die USA und ihre europäischen Partner den Streit in den UN-Sicherheitsrat trugen. Der Preis dafür war aber, daß Iran seine Arbeiten an der Urananreicherung einstellen mußte. Jetzt trat Rohani im Wahlkampf mit dem populistischen Versprechen auf, er werde »Irans atomare Rechte mit minimalen Kosten verteidigen«, das »Vertrauen« des Westens gewinnen und das Land von den Sanktionen befreien, ohne Abstriche vom zivilen Atomprogramm zu machen. Wie er das anstellen will, verriet er jedoch nicht.

Westliche Medien heben hervor, daß die Außenpolitik, einschließlich der Linie im Atomstreit, vom Obersten Revolutionsführer Ali Khamenei und nicht vom Präsidenten bestimmt wird. Allerdings hat Rohani, das macht die Vorgänge verblüffend, kompliziert und rätselhaft, anscheinend durchaus Khameneis Vertrauen. Beleg dafür ist unter anderem seine Mitgliedschaft in mehreren wichtigen Gremien wie dem Schlichtungsrat und der Expertenversammlung, die ohne Khameneis Zustimmung nicht möglich wäre, vor allem aber seine Rolle im Nationalen Sicherheitsrat. Den hatte Rohani seit seiner Schaffung 1989 sechzehn Jahre lang geleitet. Nach der Wahl von Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten gab Rohani diese Position im August 2005 auf. Er blieb aber Mitglied des Sicherheitsrats, dem sonst nur Minister und militärische Führer angehören, und zwar als persönlicher Repräsentant Khameneis. »Ich habe das Privileg einer langen Erfahrung enger Zusammenarbeit mit dem Obersten Führer«, erläuterte Rohani vor einer Woche gegenüber der in London erscheinenden Zeitung ­Asharq Al-Awsat. »Ich gehe davon aus, daß ich vom Obersten Führer dieselbe Unterstützung und dasselbe Vertrauen für meine außenpolitischen Initiativen und Maßnahmen erhalten werde.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 18. Juni 2013


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