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Krieg um jeden Preis?

Die USA bereiten sich weiterhin auf einen Waffengang gegen Iran vor

Unter dem Titel "Naher und Mittlerer Osten. Krieg - Besatzung - Widerstand" erscheint dieser Tage im Bonner Pahl-Rugenstein-Verlag ein von Nick Brauns und Dimitri Tsalos herausgegebener Band zu politischen Problemen der Region (209 S., brosch., 16,90 Euro, ISBN 978-3-89144-385-9). Zum ersten Mal schreiben deutschsprachige Autoren und Vertreter palästinensischer, libanesischer, irakischer und afghanischer Volksbewegungen in einem Buch über einen politischen Großraum, der einer permanenten imperialistischen Aggression ausgesetzt ist. Es handelt sich um die überarbeiteten Beiträge zweier Konferenzen, die im Februar und März 2007 in Berlin und Chianciano/Italien zum Thema stattfanden. Wir dokumentieren aus dem Band vorab Auszüge der Analyse Rainer Rupps zum Thema "US-Strategien im arabisch-persischen Raum". [Dieser Beitrag wurde in der "jungen Welt" veröffentlicht.]



Von Rainer Rupp *

Viele Indikatoren sprechen dafür, daß die Bush-Administration schon seit langem immer wieder kurz davor stand, militärisch gegen Iran loszuschlagen, sie sich aber aufgrund vielfacher interner und externer Bedenken und Hindernisse nie zum Angriff hatte durchringen können. Anfang des Jahres 2007 waren die bürgerlichen Medien voll mit Warnungen wie: »Im Frühling sind die USA bereit zuzuschlagen.« Dabei wurde detailliert über die amerikanischen Kriegsvorbereitungen berichtet. So wurde z. B. in der britischen Tageszeitung The Guardian am 2. Februar 2007 der ehemalige CIA-Direktor für Aufstandsbekämpfung Vincent Cannistraro zitiert: »Die Ziele für einen Luftkrieg gegen die iranischen Atomanlagen sind bereits ausgesucht, und die militärischen Mittel, um ihn durchzuführen, sind bereits in Stellung gebracht. Wir planen den Krieg, und das ist unglaublich gefährlich«. Trotz aller Dementis von US-Verteidigungsminister Robert Gates schreite die US-Kriegsplanung gegen Iran fort, so Cannistraro.

In der Tat waren bis Ende Februar auf Befehl von US-Präsident George W. Bush zwei Flugzeugträger, die »Eisenhower« und die »John C. Stennis«, mit ihren Begleitschiffen im Persischen Golf eingetroffen. Zugleich war eine »Assault Group« (Angriffsgruppe) unter Führung des amphibischen Kampfschiffes »Bataan« auf dem Weg in den Golf, wo bereits ein weiterer Angriffsverband wartete. Bei einer Assault Group handelt es sich um je sieben Kriegsschiffe mit insgesamt 2200 US-Marineinfanteristen, Kampfhubschraubern, senkrecht startenden Kampfbombern vom Typ »Harrier« und anderem Gerät zur Erstürmung feindlicher Küsten.

Üben für den Angriff

Insgesamt hatte Washington zu diesem Zeitpunkt etwa 50 Kriegsschiffe im und um den Persischen Golf zusammengezogen. Auch britische Minensuchboote, spezialisiert auf Operationen in flachen Gewässern, wie sie vor der iranischen Küste und in der strategisch wichtigen Straße von Hormus üblich sind, waren mit von der Partie. Hunderte US-Kampfflugzeuge standen in der Region bereit: auf den Flugzeugträgern, auf der riesigen US-Base in Katar, in Bahrain, auf den vier großen US-Luftstützpunkten in Irak, auf Diego Garcia im Indischen Ozean und in Afghanistan. Sogar auf der US-Basis Incirlik in der Türkei war Verstärkung eingetroffen, obwohl die türkische Regierung bereits letztes Jahr erklärt hatte, daß türkisches Territorium den USA für einen Angriff auf Iran nicht zur Verfügung stehe.

Laut britischen Medien übten auch die Isra­elis bereits eifrig Luftangriffe gegen Iran. Dies wurde durch eine Nachricht aus Griechenland indirekt bestätigt. Der Hintergrund ist, daß der Operationsradius der israelischen Kampfjets nicht ausreicht, um ohne nachzutanken Iran zu bombardieren. Die Betankung während des Fluges gehört jedoch nicht zur Standardausbildung israelischer Piloten, die mit Ausnahme der Zerstörung des irakischen Atomkraftwerkes Osirak im Jahre 1981 keine Fernangriffe geflogen sind. Daher ließ es aufhorchen, als die zivile griechische Luftüberwachung (FIR-Athen) am 5. Februar 2007 einen Vorfall meldete, bei dem Dutzende nicht angemeldeter israelischer Kampfjets beim Üben der Luftbetankung über dem Mittelmeer in den griechischen Luftraum eingedrungen waren. Griechische F-16-Abfangjäger identifizierten die israelische Luftflotte, die aus sieben zu Tankern umgebauten israelischen Boeing 707, einem Gulfstream-Jet zur elektronischen Kriegsführung und aus 25 F-16- und F-15-Jagdbombern bestand, die alle mit dem Davidstern gekennzeichnet waren. Der griechischen Meldung zufolge handelt es sich bereits um die zweite derartige Übung innerhalb weniger Wochen.

Alarmierende Meldungen kamen auch aus Paris, wo Le Figaro unter Berufung auf französische Militärexperten Mitte Februar berichtet hatte, daß Washington inzwischen ausreichende militärische Mittel in der Golfregion zusammengezogen habe, »um bis zu 40 Tage lang rund um die Uhr einen Luftkrieg gegen Iran zu führen«. Laut Figaro will die US-Satellitenaufklärung inzwischen 1500 Ziele ausgemacht haben, die direkt oder indirekt mit Irans Atomprogramm in Verbindung stehen. Allerdings dürfe niemand daran zweifeln, daß bei einem US-Angriff auch zivile Ziele wie iranische Industrieanlagen und Ölinstallationen erheblich beschädigt würden, so die Experten im Figaro.

Wie die US-Luftwaffe tatsächlich einen Angriff gegen Iran plant, darüber gab Sam Gardner Auskunft, seines Zeichens Oberst a. D. der US-Airforce, der jahrzehntelang für die Planung von Luftkriegen verantwortlich gewesen war und in diesem Zusammenhang auch besondere Erfahrungen mit dem »Ziel Iran« gesammelt hat. Auch Gardener war Mitte Februar 2007 der Überzeugung, daß »die Vorbereitung des Luftkrieges gegen Iran in vollem Gang« war. »Alles, was in den letzten Wochen geschehen ist, paßt zu dem, was wir normalerweise tun, wenn wir Luftschläge vorbereiten. Niemand soll davon ausgehen, daß wir Iran nicht angreifen, weil wir im Irak festsitzen«, sagte Gardner, der eine Luft­operation »von ungeheurer Zerstörungskraft« erwartete.

Laut Gardner hatte das Pentagon 1500 Ziele ausgewählt, die direkt mit dem iranischen Atomprogramm zusammenhängen. Aber damit – so gab er zu bedenken – werde sich ein Pentagon-Planer nicht begnügen, und er führte aus: Iran habe z.B. zwei Anlagen zur Herstellung von chemischen Waffen, und da wären dann auch noch die Produktionsstätten der ballistischen Raketen und ihre Lager. Außerdem gebe es 14 iranische Luftwaffenbasen und die iranischen Kampfflugzeuge in ihren befestigten Unterständen. Auch die »Bedrohung« für die Schiffahrt im Golf, d. h. die iranischen Dieselunterseeboote und die Land-See-Raketen, müßte ausgeschaltet werden. Ebenso die Munitionslager und die Verkehrsknotenpunkte, die Brücken, die Befehls-Kommandostellen und Kommunikationszentren, usw., usf. Und so kämen schnell 15000 bis 20000 Ziele zusammen. Aber nicht alle könnten aus der Luft zerstört werden. Deshalb müßten Spezial-Bodentruppen eingesetzt werden; zur Zerstörung tief unter Fels vergrabener Ziele hatte das Weiße Haus bereits im Sommer 2006 ausdrücklich befohlen, den Einsatz von Mini-Atombomben in die Planung mit einzubeziehen.

Auf Eskalationskurs

Während die Bush-Administration in der Region ihre militärische Schlagkraft aufbaute, verschärfte sie zugleich mit einer Reihe von politischen Provokationen die Spannungen zwischen Teheran und Washington, die der Präsident mit seiner Rede zur »Lage der Nation« Mitte Januar bereits kräftig angeheizt hatte. Auf Befehl von Bush patrouillieren nun amerikanische Kampflugzeuge über der irakisch-iranischen Grenze, angeblich mit dem Auftrag, Waffenschmuggel zu verhindern und Verdächtige (!) – gegebenenfalls auch auf iranischem Territorium – zu bekämpfen, was völkerrechtlich einem kriegerischen Akt gleichkäme. Laut US-Medien sind die Piloten angewiesen, ihre Missionen »aggressiv« zu fliegen, also konfrontativ, womit Grenzzwischenfälle geradezu programmiert sind.

Zugleich hat Bush befohlen, angebliche »iranische Agenten« in Irak zu jagen und zu töten. Diesem Befehl vorangegangen war die Entführung hochrangiger Iraner, die mit Diplomatenpaß auf Einladung des irakischen Präsidenten Talabani zu sicherheitspolitischen Beratungen in den Irak gekommen waren. Sie waren auf dem Rückweg von einem offiziellen Treffen mit der irakischen Seite von einer Spezialtruppe der US-Besatzer gekidnappt worden. Erst nachdem Talabani energisch gegen diese amerikanischen Gangstermethoden protestiert hatte, wurden die irakischen Geiseln wieder freigelassen, und sie konnten den Irak verlassen. (...)

Weiter angeheizt wurde die Lage Anfang Februar, als die US-Besatzer bei einer Pressekonferenz in Bagdad mit manipulierten Beweisen Iran beschuldigten, den irakischen Widerstand mit modernen Waffen zu versorgen. Daher sei Iran »mitschuldig am Tod von 170« US-Soldaten. Bei dem Versuch, in Eile einen neuen Kriegsgrund zu schaffen, waren die angeblichen »Beweise« jedoch zu offensichtlich manipuliert worden, wodurch die »Beweisführung« unhaltbar wurde. (...)

Trotz der politischen und militärischen Eskalation, die viele Beobachter bereits im Frühjahr 2007 einen US-Militärschlag gegen Iran erwarten ließ, sprachen viele Indikatoren gegen einen bevorstehenden Angriff. Und das nicht nur, weil Präsident Bush, seine Außenministerin Condo­leezza Rice und sein neuer, eher der Realpolitik von Bush senior zuneigender Verteidigungsminister Robert Gates nicht müde wurden zu versichern, daß es keinen Angriff geben werde. Zudem war Gates als Vertrauter von Bush senior und Vertreter der alten, traditionellen republikanischen Linie nach dem Rücktritt von Donald Rumsfeld gewissermaßen als Aufpasser von George W. Bush geschickt worden. Daher war es kaum vorstellbar, daß Gates mit der Unterstützung eines Angriffs gegen Iran einen noch größeren Fehler machen würde als sein Vorgänger. Zudem hatte Gates gemeinsam mit Zbigniew Brzezinski, dem ehemaligen Sicherheitsberater von US-Präsident James Carter, Ende 2006 einen Bericht veröffentlicht, in dem wegen der gefährlichen und nicht absehbaren Folgen für die US-Interessen in der Region vor einem US-Angriff auf den Iran nachdrücklich gewarnt worden war.

Natürlich – so wurde von Beobachtern argumentiert – hätte das Dementi der Bush-Führung auch ein Bluff sein können, um das Überraschungsmoment zu erhalten. Aber für einen gegen Iran gerichteten Bluff dieser Art gab es keinen Grund. Denn wegen des offensichtlichen US-Aufmarschs in der Region war Teheran sowieso gewarnt, und der mögliche taktische Vorteil eines Überraschungsangriffs war so bereits vergeben. Zudem hatte die Bush-Administration schon im Fall Irak den Krieg angekündigt und zu keinem Zeitpunkt ihre Angriffsabsichten dementiert.

Wachsender Widerstand

Es gab aber noch weitere Gründe, die gegen einen US-Krieg gegen Iran sprachen. So hatte die demokratische Mehrheit im US-Kongreß eine Bewegung in Gang gebracht, die Präsident Bush letztlich die Autorität für den »Krieg gegen den globalen Terror« entziehen soll. Zugleich haben die Demokraten Gesetze auf den Weg gebracht, auf deren Grundlage die Gelder für den Krieg in Irak gekürzt und der Abzug der US-Truppen erzwungen werden soll. Die Finanzierung eines neuen, vom Kongreß abgelehnten Krieges gegen Iran wäre somit sehr problematisch geworden.

Von den vier US-amerikanischen Waffengattungen Luftwaffe, Marine, Bodentruppe und Marineinfanterie hatte sich Mitte 2006 nur die Luftwaffe für einen Krieg gegen Iran ausgesprochen. Alle anderen haben ihn als zu gefährlich abgelehnt. Insbesondere die Armee und die Marines fürchten als Bodentruppen im Kriegsfall in verlustreiche Kämpfe verwickelt zu werden. Mit ihren bereits jetzt überforderten Kräften wären sie dort mit einem Kriegsschauplatz konfrontiert, der zwanzigmal so groß und gefährlicher ist als derzeit das sogenannte Dreieck des Todes im sunnitisch dominierten Teil des Irak. Und außer der US-Luftwaffe vertraut niemand auf deren Fähigkeiten, einen Krieg allein aus der Luft zu gewinnen. Daher ist der Widerstand gegen einen Krieg gegen Iran in der militärischen Führungsspitze der USA sehr groß, nicht zuletzt, weil Iran eine Reihe von Möglichkeiten der asymmetrischen Kriegsführung zur Verfügung stehen, mit denen Teheran den US-Interessen in der Region nicht nur empfindlich schaden könnte, sondern auch schwere Opfer an US-Soldaten und Material abverlangen würde

Widerstand gegen einen Angriff auf Iran gab es indes auch auf seiten aller europäischen Verbündeten Washingtons. Alle haben in der Vergangenheit eindeutig erklärt, daß sie gegen eine militärische Lösung des Konfliktes mit Iran sind. Zu einer Zeit, in der die Bush-Administration mehr denn je auf internationale, insbesondere europäische Unterstützung angewiesen ist, würde sie ein neuerlicher kriegerischer Alleingang weltweit vollständig isolieren. Zumal die katastrophalen Auswirkungen eines US-Angriffes für die Weltwirtschaft ausschließlich Washington zur Last gelegt würden.

Wenn aber nach Lage der Dinge ein tatsächlicher Angriff gegen Iran ausgeschlossen scheint, warum hat Washington in der Region dann mit Flugzeugträgern und Battle Groups wiederholt eine gefährliche Drohkulisse aufgebaut? Das erste Mal geschah das im Oktober 2006 vor der ersten Entscheidung im UN-Sicherheitsrat, ob Sanktionen gegen Iran verhängt werden sollten. Auch der Aufbau der zweiten Drohkulisse im Februar 2007 fällt zeitlich mit den Vorbereitungen zur Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über eine Verschärfung der Sanktionen gegen Iran zusammen. Daher liegt die Erklärung nahe, daß mit den Drohkulissen weniger die Iraner als die anderen Länder in dem Gremium beeinflußt werden sollten. Sie sollten – wie 2003 im Fall Irak geschehen – davon ausgehen, daß Washington wieder einen militärischen Alleingang unternähme, sollten sie den von den USA geforderten scharfen Sanktionen nicht zustimmen.

In Teheran hat man die US-Drohkulissen im Golf als Teil von Washingtons psychologischer Kriegsführung gesehen. (...)

Ob es sich bei der Drohkulisse, die von Israel aufgebaut wird, auch um psychologische Kriegsführung handelt, darüber (geben offizielle iranische Stellen – d. Red.) leider keine Auskunft. Nach ihrem verlorenen Krieg gegen die von Iran unterstützte Hisbollah im Libanon im Sommer 2006 drängen die Hardliner der Olmert-Regierung Washington mehr denn je zu einem Waffengang gegen Iran. Wiederholt hat Tel Aviv inzwischen auch mit einem Alleingang gegen die iranischen Atomanlagen gedroht. Dafür haben sowohl US-Präsident Bush als auch sein Vize Dick Cheney, einer Ermunterung gleich, stets öffentlich Verständnis gezeigt. Bereits Ende 2005 hat das Pentagon Israel 500 Spezialbomben geliefert, die tief in den Fels eindringen und unterirdische Bunkeranlagen zerstören können. Allerdings weiß bis heute niemand, wo genau am Ende von kilometerlangen Tunneln die iranischen Atomanlagen verbunkert sind. Zudem hat Teheran deutlich gemacht, daß es keinen Unterschied macht, ob es von israelischen oder von US-amerikanischen Flugzeugen und Raketen angegriffen wird. Iran würde auf jeden Fall zurückschlagen.

Wehrhafter Iran

An dieser Stelle nun einige Worte über die Stärke der iranischen Streitkräfte und den Anteil Washingtons an deren ursprünglichem Aufbau. Bereits zu Beginn des Kalten Krieges hatten die USA Iran zu einem Bollwerk gegen die Sowjet­union aufgerüstet. In den Jahren 1947 bis 1965 erhielt Iran US-Militärhilfe in Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar geschenkt. Von 1965 bis 1969 lieferten die USA Waffen nur noch zu günstigen Krediten, und ab 1969 hatte man den Schah so weit, daß er den Ölreichtum des Landes für modernste Waffen aus den USA verschwendete und sogar das im Iran stationierte US-Militär mit fürstlichen Gehältern entlohnte.

Die enormen Ölpreiserhöhungen von 1974 führten dazu, daß Teherans Waffenkäufe in den USA bis 1979 sprunghaft anstiegen. Insgesamt lieferten die USA nach eigenen Angaben bis 1979 Rüstungsgüter im Wert von 10,7 Milliarden Dollar, mit denen Iran zur stärksten Macht der Golfregion avancierte. Zugleich beherbergte Iran die größte US-Militärmission in der Welt, mit 1500 US-Soldaten und 45000 militärischen »US-Zivilisten«. Sie alle mußten nach Ayatollah Khomeinis islamischer Revolution 1979 fluchtartig das Land verlassen. Im April 1980 brach Washington die diplomatischen Beziehungen zu Teheran ab, womit auch die 1959 gegründete CENTO am Ende war, der »Zentrale Militärpakt« (Central Treaty Organisation), dem neben den USA und Großbritannien die Türkei, Pakistan und Iran angehörten.

Bis heute haben die USA keine diplomatische Vertretung in Teheran. Mit dem Verlust Irans ging auch der Einfluß der USA in der Golfregion kontinuierlich zurück, bis dann 1991 der erste US-Krieg gegen Irak die Wende brachte. Mit dem zweiten Irak-Krieg im Jahr 2003 und der Besetzung des Landes hatten sich die US-Krieger im Irak eine ähnliche Entwicklung erhofft, wie sie zuvor im Iran in den Jahren vor 1979 stattgefunden hatte.

Da die amerikanischen Waffensysteme im iranischen Arsenal lange Zeit dominierten, war die Abhängigkeit von US-Ersatzteilen und -Technikern enorm. Dadurch wurde das iranische Militär vom US-Embargo ab 1980 so schwer getroffen, daß es sich bis heute noch nicht voll erholt hat. Versuche, das US-Waffenembargo zu unterlaufen, gelangen nur teilweise. Interessant, daß ausgerechnet Israel immer wieder eine wichtige Rolle bei der Lieferung von militärischen US-Ersatzteilen an Iran gespielt hat.

Aber selbst das Weiße Haus hat lange Jahre die rigorose Embargopolitik des eigenen Außenministeriums unterlaufen und über Israel 2008 moderne TOW-Panzerabwehrraketen und 235 Bausätze für Hawk-Luftabwehrraketen an Iran geliefert. Allerdings hat Teheran auch vom siegreichen Vietnam US-Ersatzteile gekauft. Aber all dies hat nicht ausgereicht, um die damals moderne, hochgezüchtete Armee des Schahs instandzuhalten. Notgedrungen setzte die Kannibalisierung der Waffensysteme ein, d. h. intakte Systeme wurden zu Ersatzteillieferanten für andere Systeme. Hinzu kamen die hohen Verlustraten im Irak-Iran-Krieg (1980–1988).

Inzwischen aber hat Iran in eigener Regie eine ganze Palette zielgenauer ballistischer Kurz- und Mittelstreckenraketen den Streitkräften zugeführt, mit denen es die US-Basen und regionalen US-Kommandozentralen im ganzen Mittleren Osten, in Afghanistan und Irak, im Golf und in der Türkei erreichen kann. Damit nicht genug. Iran ist eines der wenigen Länder, das schwere Panzer baut. Auch in anderen Bereichen der militärischen Hochtechnologie hat das Land beachtliche Fortschritte gemacht. Neben eigenen Entwicklungen von tragbaren Panzer-Flugzeugabwehrraketen hat man auch in Rußland modernste Militärtechnologie gekauft, u.a. die hochentwickelten Thor-Flugabwehrsysteme, die inzwischen operationell sind und den potentiellen US-Angreifern einiges Kopfzerbrechen bereiten dürften.

Asymmetrischer Krieg

Außerdem hat Teheran, wahrscheinlich mit Hilfe ehemaliger sowjetischer Wissenschaftler, superschnelle Torpedos und Land-See-Raketen in seinem Arsenal, vor denen selbst die US-Kriegsmarine im Persischen Golf Respekt hat.

Trotz all dieser beachtlichen Fortschritte sind die iranischen Streitkräfte jedoch für das hochgerüstete Militär der US-Supermacht in einem konventionellen Krieg kein ebenbürtiger Gegner, obwohl Washington im Kriegsfall mit empfindlichen Verlusten rechnen müßte. Irans wahre militärische Stärke liegt jedoch bei seinen vielfältigen Möglichkeiten der asymmetrischen Kriegsführung, zumal die iranische Führung fest entschlossen ist, im Falle eines US-Angriffs »den Krieg ins Lager der Gegner zu tragen«, womit auch die Mobilisierung und Unterstützung des Widerstands gegen die US-Besatzer in Irak und Afghanistan gemeint sein dürfte.

So ist man aus guten Gründen in Washington an einem Bodenkrieg im Iran nicht interessiert. Neokonservative Schreibtischstrategen wie Richard Perle argumentierten statt dessen, daß »eine Staffel von B-2-Bombern genügen würde, um in einer Nacht das iranische Problem aus dem Weg zu räumen«. Doch wenn es zum Angriff käme, dann wäre ein Landkrieg in Iran für die USA nicht zu vermeiden. Zu lang und unübersichtlich sind die Grenzen Irans mit Irak und Afghanistan, über die hinweg Teherans Einheiten immer wieder gegen US-Truppen operieren und diese nach und nach, mit verheerenden Konsequenzen, immer tiefer in den Iran hineinziehen würden.

Zugleich hätte Iran die Möglichkeit, die Straße von Hormus zu schließen, über die der größte Teil des Golföls in die reichen Industrieländer des Westens und Japans gelangt. Zugleich würden die entlang der Küste tief im Fels versteckten Raketenbatterien eingesetzt werden, um den US-amerikanischen Schiffsverkehr lahmzulegen. Von den über sechshundert kleinen Häfen entlang der Küste könnten kleine Boote, mit superschnellen Torpedos ausgerüstet, Jagd auf US-Kriegsschiffe machen. Um diese Gefahr zu vermeiden, wären die USA gezwungen, mit Bodentruppen den Küstenstreifen zu erobern und zu besetzen, um ihn dauerhaft kontrollieren zu können. Wenn US-Truppen aber erst einmal auf iranischem Territorium sind, dann ist davon auszugehen, daß sie ständig von kleinen Gruppen aus der Tiefe des Landes angegriffen werden. Dagegen würden nur der Abzug oder die Ausweitung des Krieges und der weitere Vorstoß ins Landesinnere helfen. Um dies durchzustehen, müßte Washington jedoch zu Hause wieder die politisch inakzeptable allgemeine Wehrpflicht einführen, denn das Pentagon hat sich im Irak verausgabt und verfügt nicht mehr über genügend Soldaten für eine mittlere Militäraktion in einem anderen Land.

Als eines der wichtigsten Mittel der asymmetrischen Abschreckung kann Iran zudem auf eine einfache, aber höchst effiziente Verteidigungswaffe zurückgreifen, die bereits der mächtigen Sowjetarmee in Afghanistan das Rückgrat gebrochen hat: die tragbare, von der Schulter abgefeuerte Flugabwehrrakete, im westlich-amerikanischen Militärjargon MANPAD genannt. Irans Arsenale sind mit modernen russischen MANPADS gefüllt, und seit kurzem stellt die iranische Rüstungsindustrie diese anscheinend auch selbst her. Wenn Iran seine Arsenale öffnet und den irakischen und afghanischen Widerstand mit Flugabwehrsystemen dieses Typs versorgt, dann ist es mit der auf Hubschrauber und tieffliegende Kampfjets gestützten militärischen Überlegenheit der US-Soldaten im Operationsgebiet schnell vorbei. Und dann kann der Widerstand seinen Vorteil ausspielen, nämlich seine lokalen Terrainkenntnisse, gepaart mit hoher Mobilität. Ein Alptraumszenario für jeden US-Strategen, der die Niederlage der Sowjetarmee in Afghanistan studiert hat.

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, daß die militärische Führung im Pentagon an einem Krieg mit Iran nicht interessiert ist. Für die Neokonservativen in und außerhalb der Bush-Administration wird inzwischen die Zeit knapp. Denn sie sind überzeugt, daß dieser Krieg nur noch möglich ist, solange Bush im Amt ist. Dabei sind sich die Neokonservativen durchaus des Schadens bewußt, den dieser Waffengang gegen Iran Amerika und dem Rest der Welt zufügen würde. Aber die Alternative dazu beschwören sie als noch schlimmer, denn – so ihr Argument – wenn in zehn Jahren Iran die Atombombe habe, dann können die USA nicht länger im Golf schalten und walten, wie sie wollen. Mit der US-Dominanz in der Region sei es dann ein für alle mal vorbei. Und das gleiche würde natürlich für Israel gelten, das sich nicht länger auf sein Atombombenmonopol stützen könnte, um die benachbarten Länder zu dominieren.

Wenn dagegen jetzt – so das Kalkül der Hardliner in Washington – Krieg gegen Iran geführt und das Land in die Steinzeit zurückgebombt wird, dann wäre das zwar für Amerika verlustreich und würde weltweit zu einer Wirtschaftskrise führen, aber von allen Ländern der Welt seien die USA am besten in der Lage, die Verluste zu verwinden und die Krise zu meistern. Und in zehn Jahren wäre die Krise überwunden; die USA würden nicht nur den Golf, sondern den Größeren Mittleren Osten mehr denn je dominieren, und der Status von Israel als unangefochtener regionaler Supermacht wäre sicher wie nie zuvor.

* Rainer Rupp arbeitete vom Januar 1977 bis zu seiner Verhaftung im Juli 1993 als DDR-Kundschafter unter dem Decknamen "Topas" in der politischen Abteilung im Brüsseler Hauptquartier der NATO, wo er als hoher Beamter angestellt war.

Aus: junge Welt, 22. Juni 2007


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