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Hindernis für Lösungen

Iran bedauert Sanktionsbeschluß des UN-Sicherheitsrates. Teheran hält aber an zivilem Atomprogramm fest. Ahmadinedschad: Resolution "gebrauchte Papierserviette"

Von Knut Mellenthin *

Iran zeigt sich von den am Mittwoch (9. Juni) im UN-Sicherheitsrat beschlossenen neuen Sanktionen unbeeindruckt. Eine Reihe von Politikern und Diplomaten bedauerte zwar die Entscheidung als zusätzliches Hindernis für eine Verständigung, kündigte aber gleichzeitig das Festhalten Irans an seinem zivilen Atomprogramm an. Präsident Mahmud Ahmadinedschad verglich die Resolution mit einer gebrauchten Papierserviette, die in den Papierkorb gehöre.

Am Donnerstag (10. Juni) gab es Gerüchte, daß Iran seine Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) einschränken wolle. Die Meldungen bezogen sich indessen zunächst nur auf Äußerungen eines Parlamentsabgeordneten, Alaiddin Boroudscherdi. Er hat angekündigt, daß der von ihm geleitete Ausschuß für Nationale Sicherheit und Außenpolitik am Sonntag beginnen werde, den Entwurf eines entsprechenden Gesetzes auszuarbeiten. Indessen gibt es keine Indizien, daß Teheran womöglich seine Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag in Frage stellen könnte. Zu diesen gehört auch die vollständige Kontrolle des zivilen Atomprogramms durch die IAEA. Allenfalls könnte die iranische Seite freiwillige Vereinbarungen mit der IAEA kündigen, die über die vertraglichen Pflichten hinausgehen.

Der Sicherheitsrat hatte die Resolution bei zwei Gegenstimmen (Brasilien und Türkei) und einer Enthaltung (Libanon) angenommen. Im Gremium sind 15 Staaten vertreten, darunter als ständige Mitglieder China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA. Jeder von diesen fünf hat das Recht, eine Entschließung durch sein Veto zu verhindern.

Die neuen Sanktionen bleiben weit hinter früheren westlichen Forderungen zurück. Politiker sind sich weltweit einig, daß Iran dadurch nicht »in die Knie gezwungen werden« kann. In erster Linie dient der Beschluß dazu, den substanzlosen Theorien über geheime iranische Atomwaffenpläne mehr Gewicht zu verleihen, indem Rußland und China als zwar unfreiwillige, aber nicht ganz schuldlose Kronzeugen vorgeführt werden.

Darüber hinaus stellt die Resolution ein »legales Sprungbrett«, so US-Kriegsminister Robert Gates, für sehr viel weitergehende Sanktionen der USA und der EU dar. Neben einigen Maßnahmen, die für alle Staaten verbindlich sind, enthält der Text hauptsächlich Punkte, die unterschiedlich weit ausgelegt werden können. Danach sind zum Beispiel Sanktionen gegen praktisch sämtliche iranischen Unternehmen möglich, sofern ein »Verdacht« besteht, daß sie auf irgendeine Weise zum angeblichen Atomwaffenprogramm beitragen. Niemand wird die USA und ihre Verbündeten daran hindern können, von dieser Lizenz einen sehr umfangreichen Gebrauch zu machen. Mit der Formel, daß es »eine mögliche Verbindung zwischen Irans Einkünften aus dem Energiesektor und der Finanzierung seiner proliferationssensiblen nuklearen Aktivitäten« - also dem angeblichen Waffenprogramm - gebe, hat die Resolution dem Mißbrauch bereits Tür und Tor geöffnet.

Ebenfalls am Mittwoch, kurz vor der Abstimmung im Sicherheitsrat, übergab die aus Rußland, Frankreich und den USA bestehende sogenannte »Wien-Gruppe« dem Iran ihre Antwort auf dessen gemeinsam mit Brasilien und der Türkei präsentierten Kompromißvorschlag. Der Brief ist so destruktiv und frostig formuliert, daß er von den meisten Medien als glatte Ablehnung des iranischen Angebots interpretiert wurde. Tatsächlich enthält er einzelne »Bedenken«, von denen einige bloßen Nachfragecharakter haben, andere diskutierbar und wieder andere völlig unsinnig sind.

* Aus: junge Welt, 11. Juni 2010


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