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Erst Washington, dann Brüssel

EU auf den Spuren der USA: Neue Strafmaßnahmen gegen Iran verhängt. Bankbüros geschlossen

Von Knut Mellenthin *

Unter dem Druck der USA hat die Europäische Union am Wochenanfang zusätzliche Sanktionen gegen Iran beschlossen. Der britische Premierminister Gordon Brown hatte die Maßnahmen im Alleingang schon am Montag voriger Woche angekündigt. Das offenbar unabgesprochene Vorpreschen des Juniorpartners der USA war als Zeichen für Meinungsverschiedenheiten innerhalb der EU interpretiert worden.

Der genaue Inhalt der jetzt vereinbarten Sanktionen war am Dienstag (24. Juni)(bei jW-Redaktionsschluß) noch nicht bekannt. Nach den vorliegenden Informationen steht die staatliche iranische Großbank Melli im Zentrum der Strafmaßnahmen. Ihre Konten im Bereich der EU sollen eingefroren, ihre Büros in Hamburg, London und Paris geschlossen werden; der Bank wird jede Geschäftstätigkeit in Europa untersagt. Begründet wird das damit, daß Melli an der Atomwirtschaft und Rüstungsindustrie Irans beteiligt sei. Ferner unterhalte sie Finanzbeziehungen zu »Terrororganisationen« – gemeint sind Hisbollah und Hamas. Zu den neuen Sanktionen gehören außerdem Einreiseverbote gegen »leitende« Personen der iranischen Wirtschaft und Verwaltung. Die USA-Regierung hatte ähnliche Sanktionen gegen die Melli-Bank und zwei weitere iranische Großbanken schon im Oktober vorigen Jahres verhängt und die EU-Partner seither bedrängt, sich anzuschließen.

Die Sanktionen der USA und der EU erweitern die Strafmaßnahmen, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in drei Resolutionen am 23. Dezember 2006, 24. März 2007 und 3. März 2008 beschlossen hat. Sie untersagen unter anderem die Lieferung von Gütern, die dem iranischen Atomprogramm oder der Raketenproduktion dienen können. Außerdem wurden gegen zahlreiche Iraner, die mit dem Atomprogramm oder der Revolutionsgarde in Verbindung stehen sollen, Einreiseverbote und die Beschlagnahmung ihrer Auslandskonten angeordnet. Darüber hinaus forciert die US-Regierung seit etwa einem Jahr Maßnahmen außerhalb der UNO, um Druck auf Rußland und China auszuüben, die den Konfrontationskurs nur noch zögerlich mitmachen.

Im Vorfeld der jetzt verabschiedeten neuen EU-Sanktionen hatten iranische Zeitungen unter Berufung auf Regierungsmitglieder gemeldet, daß die betroffenen Banken damit begonnen hätten, ihre Gelder aus Europa abzuziehen, um sie vor der unmittelbar drohenden Beschlagnahmung zu retten. Einlagen in Höhe von 75 Milliarden Dollar, so hieß es, seien teils in Gold und Ak­tien umgewandelt, teils auf Konten bei asiatischen Banken umgeleitet worden. Diese absolut logisch und plausibel erscheinenden Schutzmaßnahmen wurden jedoch von iranischen Stellen kategorisch dementiert. Es sei kein Geld aus Europa abgezogen worden, erklärten Bankensprecher in Teheran vor einer Woche. Das werde auch künftig nicht geschehen. Es gebe keine derartigen Pläne, und es sei darüber noch nicht einmal diskutiert worden.

Die scheinbare Gelassenheit der iranischen Banken mag damit zusammenhängen, daß Teheran laut Presseberichten erhebliche Handelsschulden bei europäischen Unternehmen hat, mit deren Nicht-Rückzahlung Iran drohen könnte.

* Aus: junge Welt, 25. Juni 2008

Weitere aktuelle Meldungen

EU veröffentlicht Namensliste zu Sanktionen gegen Iran

Im Streit um das iranische Atomprogramm hat die EU die Liste von 35 Organisationen und Einzelpersonen veröffentlicht, gegen die sich ihre neuen Sanktionen richten. Dazu zählt vor allem die größte iranische Handelsbank Melli, wie aus der in Brüssel veröffentlichten Liste hervorgeht. Melli habe Unternehmen, die Produkte für das iranische Atom- und Raketenprogramm lieferten, finanzielle Unterstützung gegeben oder versucht zu geben, hieß es zur Begründung. Die Bank wurde mit einem europaweiten Geschäftsverbot belegt.

Ebenfalls auf der Liste stehen die iranische Luftfahrtfirma AIO sowie das Unternehmen für die Produktion und die Beschaffung von nuklearem Brennstoff. Zu den sanktionierten Einzelpersonen gehören der Chef der iranischen Atomenergiebehörde, Resa Aghasadeh, und ein ranghoher Vertreter des Obersten nationalen Sicherheitsrats, Ali Hoseinitasch. Ihnen ist künftig die Einreise in die EU verboten, zudem werden ihre Guthaben in Europa eingefroren.

Die EU-Mitgliedsländer hatten sich am Montag (23. Juni) auf neue Sanktionen geeinigt, um den Druck auf Teheran zu erhöhen, die umstrittene Urananreicherung einzustellen. Der Westen verdächtigt Teheran, an der Entwicklung von Atomwaffen zu arbeiten, Teheran weist dies zurück.

Nachrichtenagentur AFP, 24. Juni 2008


Sanktionen haben laut Teheran keinen Einfluss auf das Atomprogramm

Die neuen EU-Sanktionen werden nach Darstellung Teherans keinen Einfluss auf das iranische Atomprogramm haben. Präsident Mahmud Ahmadinedschad reagierte am Dienstag (24. Juni) mit heftiger Kritik. Einige Tyrannen in der Welt hätten den Iran längst verurteilt und wollten das Nuklearprogramm stoppen. «Ein Gerichtshof sollte gebildet werden, um alle zu richten und zu bestrafen, die versuchen, die Rechte der iranischen Nation zu verletzen», sagte Ahmadinedschad der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA zufolge vor einer Gruppe Juristen in Teheran.

Außenamtssprecher Mohammad Ali Hosseini erklärte nur wenige Stunden zuvor, dass die Sanktionen keinerlei Einfluss haben würden. Die «Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik» der EU werden den Iran nicht davon abhalten, seine nuklearen Rechte umzusetzen, erklärte Hosseini. Die neuen Sanktionen schadeten nur den europäischen Interessen im Iran. Die EU beschloss am Montag (23. Juni), im Atomstreit mit dem Iran ihre Sanktionen zu verschärfen und die Guthaben der iranischen Großbank Melli in Europa einzufrieren. Zudem wurden Reisebeschränkungen gegen iranische Nuklear-Experten verhängt.

Am Dienstag (24. Juni) veröffentlichte die EU-Kommission die komplette Liste der von den neuen Sanktionen betroffenen Firmen. 20 Unternehmen und 15 neu hinzugekommene Experten unterliegen demnach wegen vermuteter Verbindungen zum iranischen Atomprogramm den EU-Sanktionen. Darunter waren auch ranghohe Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und der Revolutionswächter, der Pasdaran. Auch der Kommandeur der Pasdaran, Ali Dschafari, steht auf der Liste. Die USA stufen die dem Klerus unterstehende militärische Truppe der Revolutionswächter seit Oktober als Terrororganisation ein.

Die Melli-Bank mit Niederlassungen in Hamburg, London und Paris ist das größte iranische Kreditinstitut. Sie wird verdächtigt, das iranische Atomprogramm und den Bau von Raketen mitzufinanzieren. Die USA hatten das Vermögen der Bank in den Vereinigten Staaten bereits im vergangenen Jahr auf Eis gelegt.

Teheran würde Antrag auf Eröffnung einer US-Vertretung prüfen

Teheran hatte am Montag (23. Juni) Bereitschaft zu neuen Verhandlungen signalisiert, lehnte eine Einstellung der umstrittenen Urananreicherung aber erneut und kategorisch ab. IRNA berichtete am Dienstag außerdem unter Berufung auf das Außenministerium, dass eine US-Anfrage zur Eröffnung einer diplomatischen Vertretung im Iran geprüft werden könnte. Die Regierung werde alle offiziell gestellten Anfragen in Erwägung ziehen.

Nachrichtenagentur AP, 24. Juni 2008


Iran zieht sich aus deutschen Aktien zurück

Der Iran löst seine Wertpapierbestände in Deutschland auf. Wie aus Daten der Bundesbank hervorgeht, die der DIE ZEIT vorliegen, hat das wegen seines Atomprogramms international in der Kritik stehende Land allein im ersten Quartal dieses Jahres per saldo deutsche Aktien, Investmentzertifikate und Anleihen im Wert von 11 Millionen Euro verkauft. Auch 2007 überstieg der Wert der Verkäufe jenen der Käufe um 22 Millionen Euro.

Wirtschaftliche Erwägungen allein können die Auflösung der Depots laut Experten nur schwer erklären. Alle anderen ausländischen Investoren haben im gleichen Zeitraum massiv Geld nach Deutschland gebracht. Im ersten Quartal flossen per saldo 7,7 Milliarden Euro aus dem Ausland in die heimische Wertpapiermärkte. Auch Iran hatte noch im Jahr 2005 seine Bestände in Deutschland um 214 Millionen Euro aufgestockt.

Vermutet wird, dass die Angst vor neuen Finanzsanktionen für die Auflösung der Depots verantwortlich ist. Die EU hat diese Woche beschlossen, Guthaben der iranischen Bank Melli in Europa einzufrieren. Das Institut unterhält eine Filiale in Hamburg und wird verdächtigt, das Atomprogramm mitzufinanzieren. Die USA haben das Vermögen der Bank Melli in den Vereinigten Staaten bereits 2007 auf Eis gelegt.

ots, 25. Juni 2008




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