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"Union der Iranischen Republikaner"

Eine neue Chance für die iranische Opposition?

Von A. Schirazi

Vom 8. - 10.1.2004 fand an der Freien Universität in Berlin der Gründungskongreß einer oppositionellen iranischen Sammlungsbewegung statt, die es verdient, aufmerksam beobachtet zu werden. Dem Kongreß ging eine lange Vorbereitungszeit voraus, in der u.a. eine Grundsatzerklärung ausgearbeitet wurde, die 1050 hauptsächlich im Exil lebende Iraner unterzeichnet hatten. Wer diese Erklärung unterschrieben hatte, konnte als Stimmberechtigter an dem Kongreß teilnehmen. Aus zeitlichen und finanziellen Gründen gelang dies aber nur ungefähr einem Drittel der Unterzeichner. Größer war zeitweise die Zahl der Beobachter des Kongresses, Oppositionelle, die aus verschiedenen Ländern Europas, den USA, aber auch dem Iran gekommen waren. Bei einer Zählung der Organisatoren waren bis zu 740 Personen im Kongreßsaal anwesend.

Bei den Teilnehmern des Kongresses handelte es sich hauptsächlich um Ehemalige. Ehemalige Kommunisten, Revolutionäre, Islamisten, meistens einstige Kader und Mitglieder entsprechender Organisationen, von der Tudeh-Partei angefangen bis zu den Organisationen der Volksfedaiyan und Volksmojahedin. Ihnen gemeinsam war die Abkehr von fast allen ihren alten Dogmen, Doktrinen und Glaubenssätzen, von denen sie aufgrund der unterschiedlich intensiven Reflexionen inzwischen Abschied genommen hatten. Dazu kam eine kleinere Zahl von Mitgliedern, die eine eher liberale bzw. sozialdemokratische Vorgeschichte aufweisen konnten. Die Erklärung, auf die sie sich schon im Vorfeld des Kongresses geeinigt hatten, besteht aus zwei Teilen: 1. Kritik der bestehenden Verhältnisse im Iran: Die Politik der staatlichen Reformislamisten wird für gescheitert erklärt. "Die politische Struktur und die Verfassung der Islamischen Republik, die Religion und Politik verbinden und auf der Grundlage der Diskriminierung der Bürgerinnen und Bürger entstanden sind, können nicht der Ausgang für eine moderne und demokratische Kodifizierung des Rechts und die Regelung der gesellschaftlichen Koexistenz sein." 2. Darstellung der Grundsätze und Prinzipien der Sammlungsbewegung, die als politische Forderungen aufgestellt und realisiert werden sollen.

In der Forderung nach einem republikanisch-demokratischen System spiegelt sich die Erfahrung mit der Islamischen Republik wider: "Das republikanische System gründet auf der Trennung von Staat, Religion und Weltanschauung, ohne jedoch die Beteiligung von Anhängern von Religionen und Weltanschauungen an der Politik einzuschränken. Diese Trennung ermöglicht die demokratische Koexistenz aller Religionsgemeinschaften, Konfessionen und Weltanschauungen und verbietet es dem Staat, sich in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger einzumischen."

Die meisten Fragen konnten aus Zeitgründen nicht thematisiert werden. So auch die Fragen nach einem förderalen System oder die Frage der freien Marktwirtschaft. Zwar gab es eine Abstimmung, die eine knappe Mehrheit für die Marktwirtschaft brachte, aber im Grunde wurde die Frage nach einem gerechten Wirtschaftssystem nicht ausdiskutiert. In der Plattform heißt es nur etwas lapidar: "Freiheit, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung bedingen sich gegenseitig."

Weitere Forderungen waren die nach Schutz der Natur und der Umwelt und der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. In der Plattform heißt es: Wir "fordern die Abschaffung jeder Art von geschlechtsbedingten, kulturellen , politischen und sozialen Ungleichheiten. Die erforderlichen Grundlagen für die gesellschaftliche und persönliche Entwicklung der Frauen müssen gesetzlich garantiert werden." Und weiter in der Plattform: Aufhebung aller bisherigen kulturellen, politischen und sozialen Diskriminierungen gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten in Iran. Die Einigung auf diese Ziele, und was noch wichtiger ist, das Zustandekommen des Kongresses sowie dessen Ausgang stellen in der Geschichte der iranischen Opposition in der Zeit nach der Revolution von 1979 ein beachtenswertes Novum dar. Ein langjähriger Prozeß von Spaltungen, Zwistigkeiten und Isolation konnte - zumindest teilweise - beendet werden. Der Kongreß verlief auffallend ruhig. Meinungsverschiedenheiten wurden sachlich ausgetragen.

Man einigte sich für die Sammlungsbewegung auf die Bezeichnung "Union der iranischen Republikaner". Der Name UIR wurde in Abgrenzung zu den Monarchisten und den Islamisten gewählt.

Der Kongreß beschloß, eine 30% Quotierung für Frauen in allen Gremien zuzulassen. Dies wurde auch gleich bei der Wahl der 50 Mitglieder des Koordinationsrats umgesetzt. Inzwischen ist auch der Beschluß umgesetzt worden, daß aus diesem gewählten Gremium ein Exekutivkomitee und ein politisches Führungskomitee gebildet werden. Obwohl die UIR im Ausland und auf Initiative der Exiliraner gegründet wurde, kann sie damit rechnen, daß viele politisch interessierte und politisch aktive Inlandiraner ihrer Grundsatzerklärung zustimmen werden, wenn sie sich dazu offen äußern könnten. Einige Mutigere unter ihnen hatten schließlich an dem Kongreß teilgenommen. Andere hatten die Gelegenheit, über Internet den ganzen Kongreßablauf zu verfolgen. Unter demokratischen Verhältnissen könnte aus der Kooperation der beiden Teile eine Partei mit entsprechender Basis entstehen.

Wie die Verhältnisse im Iran sich entwickeln werden, wird man nach dem Ausgang der Wahlen sehen. Allerdings muß man befürchten, daß die Unterdrückung der Opposition noch mehr zunehmen wird als in der Zeit davor. Angesichts dieser Aussichten stellt sich die Frage, wie die UIR auf die politische Entwicklung im Iran in ihrem Sinne Einfluß nehmen will?


Dieser Beitrag erschien in: inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Nr. 37, April 2004

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