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Noch eine Todesmeldung aus Teheran

Mussawi will Trauerfeier für Opfer veranstalten / Streit um Ahmadinedschads Vertrauten

Von Jan Keetman, Istanbul *

Wieder eine Todesmeldung aus Teherans berüchtigtem Evin-Gefängnis: Die Familie des 25-jährigen Mohsen Ruholamini sei vor drei Tagen aufgefordert worden, den Leichnam des jungen Mannes abzuholen, berichtete die Zeitung »Etemad Melli« am vergangenen Sonnabend.

Mohsen Ruholamini ist der Sohn des Chemieprofessors Abdolhossein Ruholamini, Leiter des Teheraner Pasteur-Instituts. Der wiederum ist ein enger Vertrauter des bei der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 12. Juni unterlegenen konservativen Kandidaten Mohsen Resai. Der ehemalige Oberkommandierende der Revolutionsgarde hatte das verkündete Wahlergebnis anfangs heftig kritisiert, sich dann aber zurückgehalten.

Der junge Ruholamini war am 9. Juli während einer Demonstration gegen den Sieg Mahmud Ahmadinedschads festgenommen worden. Seine Familie erhielt erst die Nachricht, er werde frei gelassen, dann die Nachricht von seinem Tod. Über die Umstände des Todes ist nichts bekannt.

Das Evin-Gefängnis ist in Iran berüchtigt. Erbaut wurde es in der Schah-Zeit. Viele spätere Führer der Islamischen Revolution kennen es aus eigener bitterer Erfahrung von innen. Trotzdem wurde es nahtlos übernommen und ausgebaut. Ein Teil der Zellen liegt unter der Erde. Ehemalige Häftlinge berichten vor allem von psychischer Folter durch Scheinerschießungen, Schlafentzug und monatelangen Aufenthalt in weißen, schallgedämpften Räumen bei ständigem Licht.

Noch immer ist unklar, wie viele Iraner bei den Protestdemonstrationen oder nach ihrer Festnahme ums Leben gekommen sind. Die offiziellen Angaben, wonach es rund 20 sein sollen, werden stark bezweifelt. Amnesty International machte den Fall von Parvin Fahimi öffentlich. Die Frau war fast einen Monat auf der Suche nach ihrem 19-jährigen Sohn Sohrab Arabi, der von einer Demonstration drei Tage nach der Wahl nicht zurückgekehrt war. Schließlich wurde sie von einem Gericht vorgeladen, um eine Kaution für die Freilassung ihres Sohnes zu hinterlegen. Doch bei Gericht zeigte man ihr bei dem Termin nur eine Mappe mit Bildern von 50 bis 60 Toten. Unter den Bildern war auch das Foto ihres Sohnes, der durch einen Schuss in die Brust getötet wurde.

Präsidentschaftskandidat Mir Hussein Mussawi will nun eine Trauerfeier für die Opfer veranstalten. Die Nachrichtenagentur ILNA berichtete am Sonntag, Mussawi und Mehdi Karrubi, sein ebenfalls unterlegener Mitbewerber ums Präsidentenamt, hätten für kommenden Donnerstag eine entsprechende Erlaubnis beim Innenministerium beantragt. Beabsichtigt sei eine schlichte, 90 Minuten lange öffentliche Gedächtnisveranstaltung. Politische Äußerungen solle es dabei nicht geben, stattdessen sollten Koranverse verlesen werden. Ob Mohsen Resai sich nach dem Tod des Sohnes seines Vertrauten diesem Antrag anschließen wird?

Während der Disput über die Wahl in keiner Weise gelöst ist, geht das Hauen und Stechen in den Reihen der politischen Elite des Landes weiter. 50 Mitglieder des Expertenrates (siehe Lexikon) haben den ehemaligen Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani aufgefordert, mehr Loyalität gegenüber Revolutionsführer Ali Chamenei zu zeigen. Rafsandschani -- Vorsitzender des Expertenrats -- hatte in der vorletzten Freitagspredigt indirekt Kritik an Chamenei geäußert.

Doch Rafsandschani steht mit seinen Loyalitätsproblemen nicht alleine. Selbst der angebliche Wahlsieger Mahmud Ahmadinedschad ist inzwischen ins Feuer der Kritik konservativer Kräfte geraten. Tagelang trotzte er einer Aufforderung Chameneis -- laut Verfassung die Nummer 1 im Staate --, seinen gerade erst ernannten Stellvertreter Esfandiar Rahim Maschaie zu entlassen. Maschaie, dessen Tochter mit Ahmadinedschads Sohn verheiratet ist, hatte den Zorn der Konservativen im vergangenen Jahr durch die Bemerkung erregt, Iran sei ein Freund des israelischen Volkes. Das entspricht durchaus der offiziellen Politik, wonach politische Differenzen zwischen den Regierungen nichts mit den Beziehungen zwischen den Völkern zu tun haben. Dennoch wurde Widerstand gegen die Ernennung Maschaies laut, dem Chamenei schließlich mit der schriftlichen Anordnung entsprach, den ersten Stellvertreter des Präsidenten umgehend wieder zu entlassen. Dessen Ernennung sei »gegen die Interessen der Regierung« und werde »Zwietracht und Frustration« unter ihren Anhängern hervorrufen.

Nichts geschah jedoch. Daraufhin forderte der konservative Ajatollah Ahmed Chatami den Präsidenten bei der landesweit übertragenen Freitagspredigt auf, Gehorsam zu zeigen. Am Abend wurde der handgeschriebene Brief Chameneis im Fernsehen gezeigt. Darauf trat Rahim Maschaie von sich aus zurück. Ahmadinedschad ernannte ihn postwendend zu seinem Berater und Kabinettschef. Maschaie sei eine »Vertrauensperson, aufopferungsvoll und fromm«.

Ahmedinedschads Weigerung, der Weisung Chameneis sofort nachzukommen, werde Folgen für den Präsidenten haben, hieß es in konservativen Kreisen. »Das Parlament wird jetzt alles genauer unter die Lupe nehmen, denn die Opposition wartet nur auf den kleinsten Ausrutscher des Präsidenten, um ihn und seine Anhänger bloßzustellen«, zitierte dpa-Korrespondent Farshid Motahari einen anonymen iranischen Journalisten.

Dem Revolutionsführer Ali Chamenei mag es mit seinem Drängen auf die Entlassung Maschaeis auch darum gegangen sein, sich wieder als Autorität zu profilieren, die über den politischen Gruppierungen steht. Indem Ahmadinedschad nicht reagierte, untergrub er andererseits die unbedingte Autorität des geistlichen Oberhaupts. Chamenei mag es bisher nicht bemerkt haben, aber es sind nicht nur liberale Kräfte, die einen anderen Staat wollen, das Lager Ahmadinedschads strebt ebenfalls nach mehr Macht, als es nach der Verfassung haben kann.

Die Zeitung »Aftab-e Jasd« sah indes in dem Streit um die Vizepräsidentschaft Rahim Maschaies nichts anderes als ein Manöver, das die Aufmerksamkeit von den Konflikten um die Präsidentschaftswahl ablenken sollte.

Lexikon - Der Expertenrat

Ein wichtiges Feld des gegenwärtig tobenden Machtkampfes in Iran sind die Institutionen der Islamischen Revolution. Das vielleicht einflussreichste Gremium ist der sogenannte Expertenrat, der den Revolutionsführer bestimmt.

Der Expertenrat besteht aus 86 »tugendhaften und erfahrenen« Geistlichen, mindestens mit dem religiösen Titel Hodschatoleslam, die für acht Jahre vom Volk gewählt werden. Die laufende Amtsperiode begann im Dezember 2006. Der Rat tritt jedes Jahr für mindestens fünf Tage zusammen und hat die Aufgabe, nach Artikel 111 der Verfassung, die Amtsführung des Revolutionsführers (gegenwärtig Ali Chamenei) zu beobachten und seine gesetzlichen Pflichten zu überprüfen. Im Krankheitsfalle oder bei Missachtung seiner Pflichten kann der Revolutionsführer vom Expertenrat seines Amtes enthoben werden. Faktisch dürfte dies kaum vorkommen, da der Revolutionsführer die Hälfte eines anderen wichtigen Gremiums, des Wächterrats, bestimmt. Dieser Wächterrat nimmt die Vorauswahl der Kandidaten für alle Wahlen, auch die zum Expertenrat, vor. Der Expertenrat verfügt über einen siebenköpfigen »Informationsdienst«, der Dossiers über den Revolutionsführer erstellt und damit die Tagungen des Expertenrates vorbereitet.

Derzeit macht eine konservative Mehrheit Front gegen den Vorsitzenden des Gremiums, Expräsident Akbar Hashemi Rafsandschani. In einer von 50 Mitgliedern unterzeichneten Erklärung wird Rafsandschani aufgefordert, seine Loyalität zum islamischen System und seine Unterstützung für den obersten Führer Ajatollah Chamenei klarzustellen. Außerdem solle er sein Engagement für die Opposition »endgültig einstellen«. ND



* Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2009


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