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Ruhe vor dem Sturm

In Kampagne der USA und ihren Verbündeten gegen Iran könnte bald wieder Bewegung kommen. Gespanntes Warten auf das Treffen in der nächsten Woche

Von Knut Mellenthin

Wenige Tage vor der nächsten Verhandlungsrunde über das iranische Atomprogramm scheint im US-Kongreß »Ruhe vor dem Sturm« zu herrschen. Mit größter Spannung wird darauf gewartet, ob die Iraner beim Treffen mit der internationalen Sechsergruppe, das am Mittwoch und Donnerstag nächster Woche in Genf stattfinden soll, einen neuen Vorschlag präsentieren werden – und, falls ja, wie dieser aussehen wird. Sollte das iranische Angebot völlig ausbleiben oder sehr weit von den Forderungen der USA und ihrer Verbündeten entfernt sein, könnte es mit der Ruhe im Kongreß bald vorbei sein.

Mindestens bis zur Begegnung in Genf, aber vielleicht nicht sehr viel länger, liegt ein neues Sanktionsgesetz auf Eis. Es passierte schon am 31. Juli das Abgeordnetenhaus, bedarf aber noch der Zustimmung des Senats, wo die Demokraten in der Mehrheit sind. Die Beschlußfassung im Sommer stellte vier Tage vor der Amtseinführung von Hassan Rohani einen unübersehbaren Affront gegen den neuen iranischen Präsidenten dar, und sie erfolgte mit 400 gegen nur 20 Stimmen sehr deutlich. Dem Gesetz hatten, für die Öffentlichkeit überraschend, auch die meisten der 131 Parlamentarier aus beiden Parteien zugestimmt, die einen am 19. Juli veröffentlichten Brief an Präsident Barack Obama unterschrieben hatten. Darin war gefordert worden, nach dem Regierungswechsel in Teheran der Diplomatie Raum zu lassen und zu diesem Zeitpunkt keine zusätzlichen Sanktionen gegen Iran zu beschließen.

Hauptpunkt des derzeit beim Senat ruhenden Gesetzentwurfs ist die Absicht, den iranischen Erdölexport im Lauf eines Jahres um eine Million Barrel pro Tag (mbpd) zu reduzieren. Nicht zuletzt aufgrund des Totalboykotts, den die EU im Juli 2012 eingeführt hat, ist Irans Ölexport gegenwärtig nur noch halb so groß wie vor zwei Jahren. Mit etwa 1,5 mbpd liegt er auf dem niedrigsten Stand seit 1986, als sich Iran im Krieg mit dem Irak befand. Die mit dem neuen Sanktionsgesetz intendierte Kürzung würde davon nur noch 500000 Barrel pro Tag übriglassen. Da die USA und ihre Partner ohnehin kein iranisches Öl mehr kaufen, müßte das angestrebte Ziel durch angedrohte wirtschaftliche und finanztechnische Strafmaßnahmen gegen Irans Hauptabnehmer erzwungen werden. Das sind China, Japan, Indien, Südkorea und die Türkei. Nicht wenige Experten in den USA, auch im Umkreis der Regierung, warnen davor, daß solche Sanktionen ein zweischneidiges Schwert seien. Denn es sei unklar, wie lange jene Länder sich das amerikanische Diktat noch gefallen lassen werden.

Am Donnerstag hat der republikanische Abgeordnete Trent Franks einen Gesetzentwurf in Umlauf gebracht, der vermutlich für erhebliche Unruhe sorgen wird. Derzeit sucht Franks noch Mitunterzeichner für seinen Vorstoß. Das Gesetz soll den Präsidenten ermächtigen, militärische Gewalt gegen »legitime Ziele« im Iran anzuwenden, um folgendes zu erreichen: Erstens Durchsetzung aller das iranische Atomprogramm betreffenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Zweitens »Abschreckung« Irans von der unterstellten »Entwicklung nuklearer Waffen«. Drittens »Verminderung der iranischen Fähigkeiten, künftig solche Waffen zu entwickeln«.

Der einflußreichste Kriegstreiber der Republikaner, Senator Lindsey Graham, hat eine ähnliche Initiative schon vor mehreren Wochen angekündigt, scheint sie aber bisher noch nicht konkretisiert zu haben. Es wird allgemein davon ausgegangen, daß es in beiden Häusern des Kongresses keinen großen Appetit auf ein derartiges Ermächtigungsgesetz gibt. Anders als Graham gehörte Franks, ein Mitglied der rechtspopulistischen Tea-Party-Strömung, zu den Parlamentariern, die sich vor einigen Wochen weigerten, Obama grünes Licht für Militärschläge gegen Syrien zu geben. Sein jetziger Vorstoß verdeutlicht, daß die Motive der Gegner einer Syrien-Intervention sehr unterschiedlich und widersprüchlich waren.

* Aus: junge Welt, Samstag, 12. Oktober 2013


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