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Keine Einigung in Genf

Verhandlungen über das iranische Atomprogramm ergebnislos vertagt

Von Knut Mellenthin *

Eine Verständigung zwischen dem Iran und der Sechsergruppe, die am Freitag fast schon unterschriftsreif schien, ist nun doch wieder gefährdet. Nach dreitägigen Verhandlungen in Genf zum iranischen Atomprogramm vertagte man sich am späten Sonnabend und will sich am 20. November wieder treffen. Dann aber, ersten Medienberichten zufolge, nur auf niedrigerer Ebene. Möglicherweise werden die Außenminister der Sechsergruppe wieder dazu stoßen, falls sich wirklich eine Einigung in allen wesentlichen Punkten abzeichnen sollte. Die internationale Verhandlungsgruppe besteht aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats – China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und USA – plus Deutschland. Bis auf China, das nur einen stellvertretenden Minister geschickt hatte, waren diesmal in Genf alle Verhandlungsteilnehmer durch ihre Außenminister vertreten.

Es war der Franzose Laurent ­Fabius, der das Treffen platzen ließ. Den von iranischen und US-amerikanischen Diplomaten gemeinsam ausgearbeiteten Entwurf für ein Interimsabkommen werde Frankreich nicht unterzeichnen, stellte Fabius klar. Denn schließlich müsse man »den Bedenken Israels Rechnung tragen«.

Wegen der bisher erstaunlich gut funktionierenden Vertraulichkeit der Verhandlungen wurde nicht völlig deutlich, was Fabius an der amerikanisch-iranischen Vorlage auszusetzen hatte. Was er dazu öffentlich von sich gab, verriet Erschreckendes: Der französische Außenminister hat keine Ahnung von den diskutierten Themen. So fabulierte er im Sender France Inter: »Der Reaktor von Arak produziert eine Menge Plutonium, das ein hohes Proliferationsrisiko hat. Wir wollen nicht, daß das während der Verhandlungen weitergeht.« – Tatsächlich befindet sich dieser Reaktor allerdings noch im Bau. Seine Fertigstellung wurde mehrmals verschoben. Ob Iran den derzeit angekündigten Termin, Sommer 2014, halten kann, ist ungewiß. Danach würde es noch mindestens ein weiteres Jahr dauern, bis der Reaktor aktiviert werden könnte. Das Abkommen, zu dessen Unterzeichnung es jetzt nicht kam, sieht angeblich vor, daß Iran während eines sechsmonatigen Moratoriums darauf verzichtet, Arak in Betrieb zu nehmen. Und schließlich: Um dort irgendwann aus verbrauchten Brennstäben Plutonium zu gewinnen, müßte Iran eine Aufarbeitungsanlage bauen. Darauf hat es jedoch ausdrücklich verzichtet.

Alle an den Verhandlungen beteiligten Außenminister, sogar Fabius selbst, äußerten sich nach der Vertagung zuversichtlich. Die bisherigen Gespräche seien »sehr konstruktiv« gewesen und man sei »auf dem richtigen Weg«, um noch bestehende Differenzen auszuräumen. Tatsächlich ist das aber keineswegs selbstverständlich.

Das französische Störmanöver hat der israelischen Regierung und ihrer internationalen Lobby zehn Tage wertvolle Zeit verschafft, um vor allem in den USA eine Widerstandsfront aufzubauen. Israels Wirtschaftsminister Naftali Bennett, der zugleich Vorsitzender der rechtsextremen Koalitionspartei Habajit Hajehudi ist, hat schon am Sonntag mehrere Initiativen eingeleitet. So rief er mit einem offenen Brief die wichtigsten jüdischen Organisationen der ganzen Welt auf, ihre Regierungen unter Druck zu setzen, um eine Einigung mit Iran zu verhindern. Außerdem kündigte er an, daß die israelische Regierung sich direkt an »Dutzende« von US-amerikanischen Kongreßabgeordneten mit demselben Ziel wenden werde.

Dabei werden die israelischen Politiker vermutlich nicht viel Überredungskunst aufbringen müssen. Einflußreiche Senatoren und Abgeordnete aus beiden großen Parteien haben sofort verkündet, daß das, was sie aus Genf gehört hätten, »gefährlich für Amerika« sei (Senator Ted Cruz, Republikaner), daß sie »zutiefst beunruhigt« seien (Abgeordneter Eliot Engel, Demokrat), und daß »die Dämme brechen werden, wenn die Einzelheiten bekannt werden« (Abgeordneter Michael McCaul, Republikaner). In Washington steht wahrscheinlich eine wilde Woche bevor.

* Aus: junge Welt, Montag, 11. November 2013


Paris stoppt Atomgespräche mit Iran

Noch keine Einigung, aber weiter Hoffnung auf eine Verhandlungslösung in Genf

Von Marc Engelhardt, Genf **


Die Gespräche über das iranische Atomprogramm sind ohne Ergebnis vertagt worden, weil Frankreich Teheran nicht traut. Diplomaten sind dennoch optimistisch.

Über dem Hotel Intercontinental waren bereits dunkle Regenwolken aufgezogen, als die Gespräche über das iranische Atomprogramm um ein Uhr früh am Sonntagmorgen endeten. So wie das Wetter, so hatte sich auch das Geschehen im Inneren der abgeschirmten Konferenzsäle entwickelt: Während am Samstag zunächst bei Sonnenschein noch Hoffnung auf eine Einigung herrschte – angefeuert durch die überraschende Anreise von US-Außenminister John Kerry und seinen Kollegen der Vetomächte im Sicherheitsrat und Deutschlands –, zeichnete sich im Laufe des Tages ab, dass es wohl doch noch nicht genügend Vertrauen selbst für eine Übergangslösung geben würde.

»Es hat konkrete Fortschritte gegeben, aber es gibt auch weiterhin Differenzen«, erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die nach Genf geladen hatte. »Es gibt meines Erachtens keinen Zweifel daran, dass wir uns jetzt näher sind als zuvor«, legte John Kerry nach, der seit seiner Ankunft am Freitag mehr als zehn Stunden mit seinem iranischen Amtskollegen Dschawad Sarif geredet haben soll. Der amtierende Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach von wichtigen Fortschritten. Und auch Sarif selber gab sich zuversichtlich, dass bei der nächsten Gesprächsrunde am 20. November mit weiteren Fortschritten zu rechnen sei. »Ich bin nicht enttäuscht«, so Sarif. »Wir hatten drei sehr produktive Tage, darauf werden wir aufbauen.«

Gescheitert sind die Gespräche offenbar nicht an Sarif und auch nicht an US-Außenminister Kerry. Beide waren nach Informationen aus Diplomatenkreisen zum Schluss zu einem ersten Kompromiss bereit: Die Regierung des neuen iranischen Präsidenten Hassan Rohani hätte für sechs Monate das Atomprogramm ausgesetzt, dafür hätten die USA erste Sanktionen gelockert – für den wirtschaftlich stark angeschlagenen Iran von größter Wichtigkeit. Im Windschatten des Übergangsabkommens hätte die 5+1-Runde dann über ein umfassendes Abkommen verhandelt, das dem Westen die erhoffte Sicherheit und Iran die Möglichkeit auf ein ziviles Atomprogramm garantieren würde.

Doch ausgerechnet Frankreichs Außenminister Laurent Fabius ließ den von EU-Diplomaten seit Wochen mühevoll vorbereiteten Kompromiss platzen. »Es sind noch einige Fragen offen, die geklärt werden müssen«, teilte er den wartenden Journalisten lapidar mit, noch bevor Verhandlungsführerin Ashton vor die Presse trat. Unter Diplomaten ist das mehr als ein Tritt gegen das Schienbein. Bis kommende Woche soll auf Wunsch Frankreichs über den Baustopp am Schwerwasserreaktor in Arak verhandelt werden, in dem waffenfähiges Plutonium produziert werden könnte. Auch die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent, an der die Iraner festhalten wollen, will Fabius noch vor einem ersten Entgegenkommen stoppen. Für eine zivile Nutzung, so seine Argumentation, würden fünf Prozent vollkommen ausreichen.Gescheitert ist die Verhandlungsrunde aber nicht an solchen technischen Details, sondern vor allem an mangelndem Vertrauen.

Vor zehn Jahren hatte Iran schon einmal einem Stopp der Urananreicherung zugestimmt, das Abkommen zwei Jahre später aber gebrochen. »Da ist soviel Vertrauen verloren gegangen, dass es mehr als zwei Verhandlungsrunden braucht, um es wieder herzustellen«, glaubt ein Diplomat. Ihm zufolge sind die Unterhändler aber trotz Frankreichs Blockade zuversichtlich. »Dass Kerry und Sarif den Saal durch die gleiche Tür betraten, bei den Gesprächen sogar nebeneinander saßen – all diese kleinen Zeichen sind in der Summe der Beleg, dass in den drei Tagen mehr erreicht wurde als in den letzten zehn Jahren.«

** Aus: neues deutschland, Montag, 11. November 2013


Durchbruch verschoben

Von Olaf Standke ***

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Auch so ließen sich die Verhandlungen um das iranische Atomprogramm am Wochenende in Genf zusammenfassen. Als die Außenminister der fünf Vetomächte im Weltsicherheitsrat und ihr Nochamtskollege Guido Westerwelle einschwebten, schien es für einen Augenblick sogar, als würde der in den vorangegangenen Tagen immer wieder beschworene Durchbruch tatsächlich gelingen. Am Ende war es nicht Teherans Führung, die die Hoffnungen platzen ließ.

Frankreich reichte eine Übergangslösung auf dem Verhandlungstisch nicht aus. Danach hätte Iran sein Nuklearprogramm zunächst ausgesetzt und im Gegenzug wären einige der verhängten Wirtschaftssanktionen gegen das Land gelockert oder im Ausland blockierte Gelder aus Öleinnahmen freigegeben worden. Danach sollte ein weitergehendes Abkommen verhandelt werden, um sicherzustellen, dass Teheran nicht an Atomwaffen arbeitet. Paris aber warnte u.a. mit Blick auf den im Bau befindlichen Schwerwasserreaktor in Arak vor »betrügerischen Spielen«. Doch schien es so, als würde sein Nein allein Israels Regierung froh machen, die am Wochenende ihr tiefes Misstrauen gegenüber den iranischen Absichten bekräftigt hat. Genau das aber sieht nicht nur Teherans Verhandlungsführer Sarif schwinden – und hofft auf die nächste Runde in zehn Tagen.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 11. November 2013 (Kommentar)


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