Erdogan will vermitteln
Türkischer Premier plant Reise nach Teheran
Von Jan Keetman, Istanbul *
Während in den meisten Ländern die Nachricht von einer neuen iranischen Anreicherungsanlage,
die in einem Berg nahe dem religiösen Zentrum Ghom gebaut wird, mit Protest aufgenommen
wurde, verteidigte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan den Nachbarstaat Iran.
Das Verlangen der USA nach mehr Druck auf Iran passt gar nicht ins Konzept der türkischen
Außenpolitik – und ebenso wenig zu Erdogans politischem Profil. Die Bilder, die türkische Zeitungen
von einem Treffen Erdogans mit Barack Obama ausgewählt hatten, zeigten den Premier mit in
Falten gelegter Stirn. Nichts von der heiteren Atmosphäre, die Politiker zu versprühen suchen, wenn
sie wissen, dass sie mit dem mächtigsten Mann der Welt abgelichtet werden.
Sobald Erdogan wieder auf türkischem Boden stand, kritisierte er, dass vom iranischen
Atomprogramm gesprochen werde, nicht aber von den Atomwaffen anderer Staaten. Gemeint war
vor allem Israel, dessen Atomwaffen ein offenes Geheimnis sind. Sodann wiederholte Erdogan seine
Kritik am israelischen Gaza-Feldzug mit seinen zahlreichen zivilen Opfern. Schließlich fragte
Erdogan rhetorisch, ob israelische Phosphorbomben keine Massenvernichtungswaffen wären.
Beunruhigung wegen iranischer Atompläne? Nicht im mindesten, jedenfalls nicht bei Erdogan,
obwohl sich sein Land für 1,3 Milliarden Dollar Abwehrraketen kaufen will – und das wohl kaum, um
israelische Geschosse abzuwehren.
Die gemäßigt islamische Regierung Erdogan war die erste, die Mahmud Ahmadinedschad zu
seinem umstrittenen Wahlsieg im Juni gratulierte. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu war
erst vor ein paar Tagen in Teheran, und Erdogan hat sich entschlossen, in diesem Monat ebenfalls
nach Iran zu reisen, um dessen regierung zur Mäßigung im Atomstreit zu bewegen.
Im Grunde versucht Ankara, die iranisch-türkischen Beziehungen nach dem Muster der syrischtürkischen
Beziehungen zu gestalten. Während sich Washington auf Damaskus einschoss,
verbesserte Ankara sein Verhältnis und konnte schließlich, wenn auch ohne unmittelbaren Erfolg,
als Vermittler zwischen Israel und Syrien sowie Irak und Syrien auftreten.
Auch im Atomstreit zwischen dem Westen und Iran wäre Erdogan gerne als Mittler aufgetreten. Ein
erster Vorstoß in dieser Richtung wurde letzten Herbst von der Regierung unter George W. Bush
abgelehnt. Davutoglu hat den Vermittlungsvorschlag jüngst in Teheran wiederholt, und Erdogans
geplante Reise kann man auch als eine Initiative in diese Richtung sehen. Unterstützung findet das
aber in den USA nicht.
Bezeichnenderweise konnte sich die Türkei nicht einmal mit dem Vorschlag durchsetzen, die
heute (1. Okt.) beginnenden Gespräche zu beherbergen. Ein Grund dafür ist sicher, dass sich Erdogan zur Sache
nicht wie ein zurückhaltender Vermittler zwischen Ost und West gibt, sondern wie ein Anwalt des
Ostens.
Dass Recep Tayyip Erdogan gegen Druck auf Teheran ist, macht ihn in der türkischen Öffentlichkeit
sicher nicht weniger populär. In allen Meinungsumfragen sind die islamischen Nachbarn in Iran den
Türken weit sympathischer als etwa die USA, und dies gilt insbesondere für Erdogans eigene
konservativ-islamische Klientel. Auch die türkische Wirtschaft könnte unter Sanktionen gegen Iran
leiden.
Schließlich will Ankara auch sicherheitspolitisch enger mit Teheran zusammenarbeiten. Ankara hat
gemeinsam mit Irak und Syrien eine Hochkommission für strategische Zusammenarbeit ins Leben
gerufen und möchte auch Iran daran beteiligen. Der Grund für das Interesse Ankaras an der
Zusammenarbeit mit Teheran ist klar: Auch Iran hat ein Problem mit der kurdischen PKK bzw. deren
iranischem Ableger PJAK.
* Aus: Neues Deutschland, 1. Oktober 2009
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