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Spiel mit dem Feuer

Obama stellt Iran in Sachen Atomstreit Ultimatum bis September

Von Knut Mellenthin *

Barack Obama hat die »Deadline«, den Termin, bis zu dem Iran im Atomstreit einlenken soll, um drei Monate verkürzt. Am Rande des G-8-Gipfels im italienischen L'Aquila drohte der US-Präsident am 10. Juli mit »weiteren Schritten«, falls Iran nicht bis zum Treffen der G-20 im September die Forderung nach Einstellung aller Arbeiten an der Uran-Anreicherung akzeptiert hat. Das Treffen der zwanzig bedeutendsten Industrienationen, auf die 85 Prozent der Weltwirtschaft entfallen, findet am 24. und 25. September in Pittsburgh (USA) statt. Noch im Mai hatte Obama erklärt, daß man zum Jahresende eine Bilanz der iranischen Haltung ziehen und dann über eventuell erforderliche weitere Maßnahmen beraten wolle. Der US-Präsident äußerte sich damals während des Besuchs von Benjamin Netanjahu in Washington. Die Fristsetzung wurde allgemein als Zugeständnis an den israelischen Premierminister interpretiert. Zuvor hatten die Regierung in Jerusalem und die amerikanische Pro-Israel-Lobby gefordert, Obama müsse sein Verhandlungsangebot an Iran mit einer Befristung verbinden.

Daß die israelische Regierung die Zwischenzeit erfolgreich genutzt hat, um den Druck auf Obama zu erhöhen, die Frist weiter zu verkürzen und damit ein Scheitern der Verhandlungen noch wahrscheinlicher zu machen, konnte man spätestens der Tageszeitung Haaretz vom 6. Juli entnehmen: »Israelische Regierungsbeamte, die mit der iranischen Angelegenheit befaßt sind, berichten, daß die Zusammenarbeit mit Deutschland, Großbritannien und Frankreich sehr fruchtbar war und daß die drei europäischen Mächte mit Israel gemeinsam daraufhin gewirkt haben, zwei Ziele zu erreichen: die USA dazu zu bringen, den Dialogprozeß mit Iran schon während der UNO-Vollversammlung im September zu bewerten, statt noch mehrere Monate abzuwarten, und sicherzustellen, daß der militärische Anhang zum Iran-Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde, der im September fällig ist, veröffentlicht wird.«

Die UNO-Vollversammlung wird am 15. September eröffnet. Die wesentlichen Debatten finden am 23. bis 26. und am 28. bis 30. September - also nach Pittsburgh - statt.

Obama begleitete die Bekanntgabe der neuen Fristsetzung mit auffallend alarmistischen Sätzen: »Wir haben nicht vor, endlos lange zu warten und die Entwicklung nuklearer Waffen und den Bruch internationaler Verträge zuzulassen, um dann eines Tages zu erwachen, uns in einer viel schlimmeren Situation wiederzufinden und nicht mehr handlungsfähig zu sein.« Die Diktion ähnelt sehr der Rhetorik der damaligen Nationalen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice vor dem Angriff auf Irak im Frühjahr 2003. Sie hatte gewarnt, daß die »smoking gun«, der Beweis für die Existenz eines irakischen Nuklearwaffen-Programms »ein Atompilz« sein könnte. Anders als damals präsentiert die heutige US-Regierung aber noch nicht einmal scheinbare Anhaltspunkte für ihre Behauptung, Iran arbeite an der Entwicklung von Atomwaffen.

Iran, so sagte Obama in L'Aquila weiter, habe immer noch die Wahl, »durch die Tür zu gehen«, also sich den Forderungen der USA und der EU zu unterwerfen. »Wenn Iran sich entscheidet, nicht durch diese Tür zu gehen, dann werden nicht nur die G-8, sondern, denke ich, auch eine Menge anderer Länder sagen, daß wir weitere Schritte unternehmen müssen.« Ob er dabei »nur« an harte Wirtschaftsanktionen, vielleicht auch eine militärische Seeblockade denkt oder an offene Kriegshandlungen, führte Obama nicht aus.

* Aus: junge Welt, 13. Juli 2009


Obamas Anmaßung

Von Rainer Rupp **

Seine Abreise vom G8-Gipfel im italienischen L'Aquila führte US-Präsident Barack Obama zu einer 24-Stunden-Visite in Ghana. Am Samstag (11. Juli) traf er dort unter riesigem Jubel der Bevölkerung ein. Die Menschen sehen den schwarzen Präsidenten als einen der Ihren an. In seiner Rede vor dem ghanaischen Parlament richtete Obama das Wort an ganz Afrika. Im Gegensatz zu seinen vorhergegangenen Antrittsbesuchen in Europa, Südamerika und im Mittleren Osten, trat er in Ghana jedoch nicht in der bescheidenen Pose des Fragestellers auf, der lediglich gekommen sei, um zuzuhören und die Probleme seiner Gastgeber besser zu verstehen und dem es fern liege, amerikanische Order zu erteilen. In Accra präsentierte sich der US-Präsident als jemand, der Afrikas Probleme durchschaut hat und nun gekommen war, den Weg zu weisen. Obwohl er selbst nie in Afrika gelebt hat und den Kontinent nur von wenigen Besuchen kennt, glaubt Obama offensichtlich, seine dunkle Hautfarbe und seine, ihm weitgehend fremde, afrikanische Verwandtschaft verleihe ihm bereits die Qualifikation, Afrika Lektionen zu erteilen.

Ohne auf die materiellen Ursachen der gesellschaftlichen Mißstände in Afrika einzugehen, geißelte Obama in Accra deren Symptome wie Korruption, Gewalt, Kriege, Kindersoldaten und forderte zugleich Eigentumsrechte und Rechtsstaatlichkeit. Dabei schlug der neue schwarze »Master« im Weißen Haus einen weitaus schärferen Ton an, als seine beiden weißen Vorgänger Bush und Clinton bei deren Afrika-Besuchen. Zudem versprach Obama, daß Amerika »Wandel« und »Hoffnung« nach Afrika bringen werde. Denn, so Obama im O-Ton: »Wenn es Völkermord in Darfur gibt oder Terroristen in Somalia, dann sind das nicht einfach afrikanische Probleme - sie sind weltweite Herausforderungen für die Sicherheit, und sie verlangen eine globale Antwort.«

An einer solchen Antwort bastelt Obamas Botschafterin bei der UNO, die neokonservative Afroamerikanerin Susan Rice, schon seit langem, mindestens seit sie unter Präsident Clinton als Staatssekretärin für Afrika im US-Außenministerium den Plan verfolgte, mit Hilfe eines damals noch aufzustellenden und inzwischen geschaffenen US-militärischen Oberkommandos für Afrika (AFRICOM) und mit anderen militärischen Programmen die wichtigsten afrikanischen Länder zu durchdringen.

Derzeit bemüht sich Susan Rice in den Vereinten Nationen um die Akzeptanz einer neuimperialen US-Doktrin unter dem Deckmantel humanitärer Interventionen in Afrika. So sind laut einer Erklärung des US-Außenministeriums vom 29. Juni 2009 friedenserhaltende Missionen der UN »nicht immer die richtige Antwort«, insbesondere für Afrika. Bestimmte Situationen verlangten vielmehr mit stillschweigender Zustimmung des UN-Sicherheitsrats eine US-geführte militärische Intervention, der sich andere regionale oder multinationale Kräfte anschließen könnten.

Das Ganze wird mit der »Responsibility to Protect«- bzw. der R2P-Doktrin rechtfertigt, die unter Federführung von Rice, die Obama nahesteht, entwickelt wurde. Laut dieser »Verantwortung-zu-schützen«-Doktrin stehen Nationen in der Pflicht, gewaltsam zu intervenieren, falls ein Staat nicht bereit oder nicht fähig ist, seine Bevölkerung zu schützen oder seinen anderen Verpflichtungen nachzukommen. Wie zur Bestätigung sagte Obama in Ghana: »Wir haben die Verantwortung, diejenigen zu unterstützen, die verantwortungsvoll handeln, und diejenigen zu isolieren, die das nicht tun, und genau das wird Amerika tun.«

** Aus: junge Welt, 13. Juli 2009 (Kommentar)


Yes, you can

Von Martin Ling ***

Den Ton hat Barack Obama in Ghana getroffen. Zumindest für seine unzähligen Fans unter Afrikas Normalbevölkerung, die ihn als »Sohn Afrikas« feiert und ihn der eigenen politischen Elite zur Nachahmung anempfiehlt.

Der Frust über die eigene politische Führung sitzt in vielen afrikanischen Ländern tief. Kaum ein Bürger, der nicht ein Lied über die vom US-Präsidenten angeprangerten Missstände singen könnte: Korruption, die Vetternwirtschaft anhand der Stammeszugehörigkeit, staatliche Willkür sowie die zahlreichen Bürgerkriege.

Und so trifft Obamas Ansatz, Demokratie, Chancen, Gesundheit und die friedliche Konfliktlösung fördern zu wollen, sicher ebenso auf Zustimmung wie sein »Yes you can«-Appell an die junge Bevölkerung, das Schicksal des Kontinents in die eigenen Hände zu nehmen und von den Politikern Rechenschaft zu verlangen.

Doch Obama schafft es auch beim Thema Afrika, vage zu bleiben: Er redet von unfairem Handel, ohne die Baumwollsubventionen für die US-Farmer, die den westafrikanischen Produzenten Millionenverluste zufügen, auch nur zu erwähnen. Er redet von Bürgerkriegen, ohne zu erwähnen, dass die Abnehmer für die umkämpften Rohstoffe im Norden sitzen. Ganz so einfach wie Obama mit seinen Appellen an Politiker und Normalbevölkerung in Afrika die Weichen auf Entwicklung stellen will, ist sie nicht zu haben. Dazu bedarf es einer fairen Partnerschaft. Diese Konkretion lässt auf sich warten.

*** Aus: Neues Deutschland, 13. Juli 2009 (Kommentar)


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