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Rote Linie verschoben

Für Washington gilt "Atomwaffenpotential" jetzt als Kriegsgrund gegen Iran

Von Knut Mellenthin *

Die US-Administration hat offenbar die israelische Argumentation für einen Kriegsgrund gegen Iran übernommen. Danach stellt nicht erst die Entwicklung von Atomwaffen die »rote Linie« dar, an deren Überschreiten Teheran mit militärischer Gewalt gehindert werden müsse, sondern bereits die technische Fähigkeit dazu (»nuclear weapon capability«). Die US-amerikanische Pro-Israel-Lobby AIPAC feierte am Freitag den politischen Erfolg an der ersten Stelle ihrer Website.

Außenministerin Hillary Clinton hatte am Mittwoch (29. Feb.) bei einer Anhörung des Außenpolitischen Ausschusses des Abgeordnetenhauses erklärt: »Es ist absolut eindeutig, daß die Politik des Präsidenten darin besteht, Iran daran zu hindern, ein ›Atomwaffenpotential‹ zu haben.« Die Außenministerin antwortete mit dieser Aussage auf die Frage, ob die US-Regierung es zulassen würde, daß Iran ein »nuklearer Schwellenstaat« werde, der nahe an der Möglichkeit stehe, Atomwaffen zu bauen.

Es ist längst eingespielte Routine, daß Clinton verkündet, was »die Politik des Präsidenten« sei, während Barack Obama schweigt. Die Israel-Lobby, die dem Präsidenten kaum verhohlen mißtraut, scheint mit dieser Arbeitsteilung zufrieden. Die führenden Republikaner, die eng mit ihr kooperieren, werfen Obama vor, in der Behandlung Teherans »zu weich« zu sein und den Iranern praktisch den Weg zur Bombe zu öffnen.

Hintergrund von Clintons Äußerung ist, daß alle maßgeblichen Militärs und Geheimdienstler der USA öffentlich erklärt haben, die iranische Führung habe nach ihren Erkenntnissen bisher nicht die Entscheidung getroffen, Atomwaffen entwickeln zu lassen. Mit der neuen Sprachregelung wird dieses Problem aus der Welt geschafft: Was ein »Atomwaffenpotential« ist, läßt sich weder genau definieren noch klar erkennen. Nach Ansicht vieler Experten besitzt Iran diese Fähigkeit im technischen Sinn bereits. Das gleiche gilt aber nach Einschätzung der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA auch für 40 bis 50 andere Länder, unter diesen beispielsweise Deutschland und Japan.

Der Amerikanisch-Israelische Ausschuß für öffentliche Angelegenheiten, AIPAC, hatte im Februar im Senat eine Resolution angeschoben, die Obama zu einem harten Kriegskurs nötigen soll. Der Antrag, der unter anderem von dem ehemaligen Demokraten und nun unabhängigen Senator Joe Lieberman eingebracht wurde, wird von 32 der 100 Mitglieder des Senats als Erst­unterzeichner unterstützt. Die rechtlich nicht bindende, aber politisch sehr wirkungsvolle Resolution fordert den Präsidenten auf, »die iranische Regierung daran zu hindern, die Fähigkeit zur Herstellung von Atomwaffen zu erreichen«. Dazu sollen »alle erforderlichen Mittel« eingesetzt werden. Lieberman, der sich schon für die Irak-Kriege von 1991 und 2003 eingesetzt hatte, erklärte, falls Obama sich zum Angriff auf die iranischen Atomanlagen entschließen sollte, würde er im Kongreß starke Unterstützung durch beide Parteien haben.

Vor dem Hintergrund der permanenten Kriegsdrohungen waren am Freitag rund 48 Millionen Iranerinnen und Iraner aufgerufen, die 290 Mitglieder des Parlaments neu zu wählen. Die »Oppositionsbewegung« praktizierte einen Boykott, doch kandidierten auch einige Politiker, die als »Reformer« gelten. Der religiöse Führer Ajatollah Ali Khamenei hatte aufgerufen, durch eine hohe Wahlbeteiligung ein deutliches Zeichen gegen die Kriegstreiber zu setzen. Vor vier Jahren hatten 61 Prozent der Berechtigten ihr Votum abgegeben.

* Aus: junge Welt, 3. März 2012


Heimspiel für Netanjahu

Israels Premier will bei USA-Reise für gemeinsames Vorgehen gegen Iran werben

Von Knut Mellenthin **


Benjamin Netanjahu drängt die USA, sich eindeutig auf einen Krieg gegen Iran festzulegen. Der israelische Regierungschef wird am nächsten Montag (5. März) auf dem Jahreskongreß der Pro-Israel-Lobby AIPAC in Washington sprechen. Bei dieser Gelegenheit wird er auch mit Präsident Barack Obama zusammentreffen. Die Reise gilt als Heimspiel für den Gast aus Israel: Er weiß eine übergroße Mehrheit des Kongresses automatisch hinter sich. Denn die Republikaner haben den Vorwurf, der Amtsinhaber sei »soft on Iran«, behandele Iran zu sanft, zu einem zentralen Punkt des Präsidentschaftswahlkampfs gemacht.

Wie die israelische Tageszeitung Haaretz am Mittwoch berichtete, will Netanjahu eine klare öffentliche Aussage erreichen, daß die USA sich für den Fall, daß Iran bestimmte »rote Linien« überschreitet, auf militärische Aktionen vorbereiten. Wo diese Linien nach Ansicht der israelischen Regierung liegen sollten, ist noch nicht genau bekannt. Möglicherweise könnte die technische »Atomwaffenfähigkeit« als Kriegsgrund ausreichen, die der Iran nach Ansicht von Experten jetzt schon besitzt – ebenso wie 40 oder 50 andere Staaten. Die Vertreter der Pro-Israel-Lobby im amerikanischen Senat haben eine Resolution auf den Weg gebracht, die diese Position unterstützt.

Das Weiße Haus hat, ebenfalls Haaretz zufolge, der israelischen Regierung am Dienstag vorgeschlagen, nach dem bevorstehenden Treffen zwischen Obama und Netanjahu eine gemeinsame Erklärung zu veröffentlichen. Das Ziel soll hauptsächlich sein, die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Regierungen zu »überbrücken« und als Drohgeste an Teheran eine »einheitliche Front« zu demonstrieren.

In der vorigen Wochen hatte der republikanische Senator John McCain, Obamas Gegner bei der Präsidentenwahl 2008, bei einem Besuch in Tel Aviv erklärt, es dürfe in der Bewertung der iranischen Gefahr »kein Tageslicht« zwischen den Positionen Israels und der Vereinigten Staaten geben. Gemeint ist, daß die US-Regierung den israelischen Einschätzungen und Schlussfolgerungen niemals öffentlich widersprechen darf.

Laut Haaretz hatte sich Netanjahu bei McCain über US-amerikanische Politiker und Militärs beschwert, die sich gegen einen Angriff auf den Iran zum jetzigen Zeitpunkt aussprechen. Besonders verärgert sei man über entsprechende Äußerungen von Generalstabschef Martin Dempsey. Der Nationale Sicherheitsberater Obamas, Tom Donilon, der zur selben Zeit wie McCain Israel besuchte, soll Netanjahu versichert haben, daß Dempsey nicht Obamas Meinung wiedergegeben habe und daß dieser »unglücklich« über die Stellungnahme des Generals sei.

Mehrere Nachrichtenagenturen und Zeitungen haben am Montag (27. Feb.) gemeldet, daß Israel entschlossen sei, einen eventuellen Angriff auf den Iran der US-Regierung nicht vorher mitzuteilen. Eine solche Entscheidung – die vermutlich einen Krieg in der gesamten Region auslösen und die USA hineinziehen würde – sei »eine innere Angelegenheit« Israels, in die sich niemand »einmischen« dürfe.

** Aus: junge Welt, 1. März 2012


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