Rätsel um Washingtons Iran-Pläne
George Bush hat seine Verbalangriffe auf Teheran eingestellt. Aber das Militär macht mobil
Von Max Böhnel, New York *
Trotz der laufenden Verhandlungen zwischen Iran und EU-Vertretern sowie milder Worte des US-Präsidenten
gibt es Anzeichen dafür, dass die Bush-Regierung vor den Wahlen am 7. November einen Angriff auf Iran plant.
Der ausgebliebene diplomatische Showdown zwischen den USA und Iran vor der UNOVollversammlung
hat in den US-amerikanischen und internationalen Medien zur These vom »neuen
Realismus« der USA-Außenpolitik geführt. Die »Washington Post« attestierte dem Weißen Haus
beispielsweise, in Bushs zweiter Amtszeit habe endgültig die Diplomatie wieder die Oberhand
gewonnen, die »Option Iran-Krieg« sei vom Tisch. Doch Berichte von zwei ernst zu nehmenden
alternativen Nachrichtenquellen lassen das Gegenteil vermuten. Demnach plant das Pentagon
innerhalb weniger Tage die Entsendung einer ganzen Armada von Kriegsschiffen mit dem Ziel
iranische Küste.
Die Wochenzeitung »The Nation« berichtete in ihrer Online-Ausgabe unter der Überschrift »War
signals?« (Kriegssignale) unter Berufung auf Militärs, das Weiße Haus und das Pentagon hätten
Marschbefehle für die Entsendung einer »strike group« aus Kriegsschiffen in den Persischen Golf
vor die Westküste Irans erteilt. Die Flotte, zu der unter anderem die mit Atomwaffen bestückten
Flugzeugträger »Eisenhower«, Zerstörer, Fregatten und U-Boote gehören, soll in diesen Tagen
auslaufen und in etwa drei Wochen am Bestimmungsort sein.
Die Öffentlichkeitsabteilung der Marine bestätigte der »Nation« zufolge den Befehl zum Auslaufen.
Zuvor sollen mehrere auf der »Eisenhower« stationierte Offiziere ihrem Ärger Luft gemacht und
Kriegsgegner über den Plan informiert haben. Die Regierung wolle Iran angreifen, ohne den
Kongress informiert zu haben, teilten die Informanten der Zeitschrift mit.
Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Entsendung des Flugzeugträgers eine reine
militärische Routinemaßnahme ist, um die »Enterprise«, einen Flugzeugträger, von dem aus seit
Monaten Ziele in Afghanistan angegriffen werden, abzulösen. Denn dessen auf sechs Monate
veranschlagter Einsatz geht demnächst zu Ende. Bleibt die »Enterprise« trotzdem länger, so ist die
Entsendung der »Eisenhower« und ihrer Begleitschiffe ein deutliches Kriegssignal, schlussfolgert die
»Nation«. Ungewöhnlich ist jedenfalls der Zeitpunkt des Auslaufbefehls. Denn die »Eisenhower«, die
in Norfolk (Bundesstaat Virginia) überholt und aufgerüstet wurde, sollte ursprünglich erst im
November zum Einsatz kommen.
Auch das Online-Magazin »The Raw Story« (www.rawstory.com) veröffentlichte kürzlich einen
Bericht über die »Iran strike option« und stützte sich dabei auf Aussagen von hochrangigen Militärs
und Geheimdienstoffizieren. Das Pentagon habe die erste Planungsphase für einen Krieg gegen
Iran beendet und sei vom so genannten contingency planning zum konkreteren »branches and
sequels planning« übergegangen. Über die erste Phase hatte der Enthüllungsjournalist Seymour
Hersh erstmals im April in der Zeitschrift »New Yorker« berichtet. Damals hatten sich nach Hershs
Recherchen wichtige Militärs gegen einen Atomwaffeneinsatz gegen Iran als »aberwitzig« gesperrt.
Heute, ein halbes Jahr später, liege die damals verworfene Planungsoption wieder auf dem Tisch,
behauptet »The Raw Story«. Merkwürdigerweise war auch auf eine Titelgeschichte der Zeitschrift
»Time« vor wenigen Tagen kein nennenswertes USA-Massenmedium zur weiteren Recherche
aufgesprungen. Der »Time«-Reporter Michael Duffy hatte berichtet, dass die Besatzungen von USamerikanischen
Minenschiffen und Minensuchern angewiesen wurden, sich bis Anfang Oktober
bereit zum Auslaufen in Richtung Iran zu melden.
Tatsächlich ist die »iranische Bedrohung« seit dem UNO-Auftritt von Irans Präsident
Ahmadinedschad in den USA-Medien nicht mehr präsent. George Bush hatte bei seiner UNO-Rede
darauf verzichtet, die iranische Führung in Zusammenhang mit Terrorismus zu bringen oder die
iranische Bevölkerung zum »Regimewechsel« aufzufordern. Stattdessen benutzte er eine
überraschend milde Sprache. Iran und die USA würden eines Tages »gute Freunde und enge
Partner in der Sache des Friedens« sein, sagte Bush. Washington habe nicht einmal »etwas gegen
Irans Streben nach einem wirklich friedlichen Atomkraftprogramm einzuwenden«.
Eine der wenigen Stimmen aus dem USA-Kongress, die sich überhaupt für die Nachricht von der
Entsendung der »Eisenhower« interessierten, ist die des Abgeordneten und Kriegsgegners Maurice
Hinchey aus New York. Seit einiger Zeit gebe es »Spekulationen, dass es einen Angriff auf Iran vor
dem 7. November geben könnte«, hieß es aus seinem Washingtoner Büro. Angriffe auf Iran seien
jedoch »ein ganz schlimmer Fehler, für den Nahen Osten und für die USA«.
* Aus: Neues Deutschland, 2. Oktober 2006
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